Pritzker-Preis für Francis Kéré
Die höchste Auszeichnung der internationalen Architektur-Szene geht heuer an Diébédo Francis Kéré: Der auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit fokussierte Baukünstler wurde mit dem Pritzker-Preis 2022 geehrt.
Nutzerfreundliche Schulen, Gesundheitsinstitute, Wohnungen, öffentliche Gebäude und Räume. Oft in Ländern, in denen es an Ressourcen mangelt und Gemeinschaft lebenswichtig ist: Diébédo Francis Kérés Werke sind mehr als nur beeindruckende Gebäude. In Burkina Faso geboren und in Berlin lebend, ermächtigt und verändert der Architekt seit Jahren Gemeinschaften durch seine Arbeit. Sein Markenzeichen: Soziales Engagement und kluger Einsatz lokaler, dem natürlichen Klima entsprechender Materialien. Jetzt wurde der 56-jährige Baukünstler wohlverdient mit dem „Nobelpreis der Architektur“, dem Pritzker-Preis 2022, ausgezeichnet.
„Francis Kéré leistet Pionierarbeit im Bereich der Architektur. Nachhaltig für die Erde und ihre Bewohner – in Ländern mit extremer Knappheit. Er ist gleichermaßen Architekt und Diener, indem er Leben und Erfahrungen unzähliger Bürger verbessert. In einer Weltregion, die manchmal vergessen wird“, kommentiert Tom Pritzker die Entscheidung. Und der Vorsitzende der Hyatt Foundation, die den begehrten Award sponsert, betont: „Durch Gebäude, die Schönheit, Bescheidenheit, Kühnheit und Erfindungsreichtum demonstrieren, und durch die Integrität seiner Architektur, hält Kéré die Mission dieses Preises würdevoll aufrecht.“
Als bedeutendes Werk, das die weitere Arbeit des engagierten Architekten prägte, gilt die 2001 in Gando, Burkina Faso, errichtete Grundschule. Nicht nur für, sondern vor allem mit den künftigen Nutzern entstand ein zeitgemäßes Gebäude. Und zwar eines, das mit begrenzten Mitteln extremer Hitze und schlechten Lichtverhältnissen trotzt.
Erste Schule fürs einstige Heimatdorf
Zugleich bekam das Dorf, das einst Francis Kérés Heimat war, damit endlich seine eigene Bildungseinrichtung. Der Architekt selbst hatte als Kind noch zu Verwandten ziehen müssen, um eine Schule besuchen zu können.
Kéré sammelte international Spenden und eröffnete den Bürgern vor Ort neue Möglichkeiten – von der Konzeption bis zur handwerklichen Ausbildung. Einheimischer Lehm wurde mit Zement angereichert, um Ziegelsteine mit bioklimatischer thermischer Masse zu bilden. Damit wird kühlere Luft im Inneren gehalten, während Wärme über die Ziegeldecke und ein überhängendes, erhöhtes Dach entweichen kann.
Werke, die Chancen schaffen
Der Erfolg dieses Projekts führte zu einem Anstieg der Schülerzahl von 120 auf 700. Und er wurde zum Ausgangspunkt für den Bau von Lehrerwohnungen (2004), eines Erweiterungsbaus (2008) und einer Bibliothek (2019).
Jeder verdient Qualität, jeder verdient Luxus, und jeder verdient Komfort. Wir sind miteinander verbunden. Und die Sorgen um Klimawandel, Demokratie und Knappheit gehen uns alle an.
Architekt Diébédo Francis Kéré
In der Begründung der Pritzker-Preis Jury heißt es unter anderem: „Kéré weiß aus seinem Innersten, dass es in der Architektur nicht um das Objekt, sondern um das Ziel geht. Nicht um das Produkt, sondern um den Prozess. Das Gesamtwerk von Francis Kéré zeigt uns die Kraft im Ort verwurzelter Materialität. Seine Gebäude für und mit Gemeinschaften kommen direkt von diesen selbst – in Fertigung, Material, Programmen und ihrem einzigartigen Charakter.“
Nachhaltig & sozial zum Pritzker-Preis
Wie bei Yvonne Farrell und Shelley McNamara im Jahre 2020 oder Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal (2021) geht der Pritzker-Preis auch diesmal an einen Architekten, der soziale und nachhaltige Ziele verfolgt. Im Fall von Francis Kéré feiert allerdings ein weiterer, erfreulicher Aspekt quasi „Premiere“: Erstmals wurde ein auf dem afrikanischen Kontinent geborener und dort tätiger Architekt ausgezeichnet.
Dass die Arbeit des nunmehrigen Pritzker-Preis Inhabers tatsächlich Großes für ganze Generationen bewirkt, ist unumstritten. Nicht nur, weil Kérés Projekte – wie etwa die Schule in Gando – Menschen neue Zukunftschancen verschaffen. Sondern ganz klar auch deshalb, weil sie alle greifbaren Möglichkeiten nützen, der drohenden Klimakatastrophe Einhalt zu gebieten.
Kluge Konzepte
So kam etwa beim Startup Lions Campus (2021, Turkana, Kenia), einem Campus für Informations- und Kommunikationstechnologien, örtliches Bruchsteinmaterial zum Einsatz. Und gestapelte Türme dienen zur passiven Kühlung: Sie minimieren den sonst zum Schutz der technischen Geräte erforderlichen Betrieb und Energieaufwand der Klimaanlage.
Das Burkina Institute of Technology (2020, Koudougou, Burkina Faso) basiert auf kühlenden Lehmmauern. Diese wurden an Ort und Stelle gegossen, um den Bauprozess zu beschleunigen. Überhängende Eukalyptusbäume, die wenig Schatten bieten, wurden zum natürlichen Rahmen schräger Wellblechdächer, die das Gebäude während der Regenzeit schützen.
Was andernorts oft nicht zutrifft, unterstützte Kérés Wirken in Burkina Faso doch: Man vertraute schon lang vor dem Pritzker-Preis aufs Können des im eigenen Land geborenen Baukünstlers. Ein Umstand, der den Weg zu einem der wichtigsten und ehrgeizigsten Projekte des Architekten ebnete: Der Nationalversammlung von Burkina Faso. Das Vorhaben in Ouagadougou wurde trotz unsicherer Zeiten in Auftrag gegeben, konnte aber noch nicht gebaut werden.
Verbindendes Gebäude
Nachdem der burkinische Aufstand im Jahr 2014 die frühere Struktur zerstört hatte, entwarf der Architekt ein abgestuftes und gitterförmiges Pyramidengebäude. Der Komplex beherbergt im Inneren einen Saal für 127 Personen, während er im Außenbereich zu informellen Versammlungen einlädt.
Das Projekt, das physisch und metaphorisch neue Ausblicke ermöglicht, ist Teil eines umfassenderen Masterplans. Und dieser sieht auch einheimische Flora, Ausstellungsräume und Innenhöfe vor. Ebenso, wie ein Denkmal für jene, die beim Protest gegen das alte Regime ihre Leben verloren.
Ich hoffe, einen Paradigmenwechsel herbeiführen und die Menschen zum Träumen und zum Risiko anregen zu können.
Architekt Diébédo Francis Kéré, Pritzker-Preisträger 2022
Kéré spielt bei seinen Projekten fast poetisch mit Licht: Sonnenstrahlen dringen in Gebäude, glitzern in Höfe und Zwischenräume. Sie lösen die harten Bedingungen der Mittagszeit elegant auf, um Oasen der Ruhe oder der Zusammenkunft zu schaffen. Und die Konzepte des Pritzker-Preisträgers sorgen jeweils für ein Ambiente, das den Aufenthalt im Gebäude für seine Nutzer angenehm gestaltet.
Die Wände der Benga Riverside School (2018, Tete, Mosambik) zum Beispiel sind mit kleinen Hohlräumen gemustert, die Licht und Transparenz zulassen. Das Design ist dazu gedacht, den Schülern Vertrauen und Geborgenheit zu vermitteln. Beim Zentrum für Gesundheit und soziale Wohlfahrt (2014, Laongo, Burkina Faso) wiederum zieren gerahmte Fenster in unterschiedlichen Höhen die Mauern. Ein Konzept, das allen Nutzern famosen Blick in die umliegende Landschaft eröffnet. Egal, ob sie stehen oder sitzend oder liegend auf Behandlung warten.
Neu gedachte Tradition
Symbolismus ist typisch für Diébédo Francis Kérés Entwürfe. Auch in seinen Arbeiten außerhalb Afrikas schwingen seine Erziehung und seine Erfahrungen in Gando allzeit mit. So zieht sich etwa eine westafrikanische Tradition wie ein roter Faden durch die Designs des Architekten: Versammlung unter einem heiligen Baum, die zum Ideenaustausch, zum Erzählen von Geschichten und zum Feiern da ist.
Ein schönes Beispiel dafür ist etwa die Installation „Sarbalé Ke“, die Kéré 2019 fürs berühmte Coachella Valley Music & Arts Festival in Kalifornien designte. In Bissa, der Muttersprache des Architekten, bedeutet ihr Name so viel wie „Haus des Festes“. Und der Entwurf bezog sich auf die Form des Affenbrotbaums, den man in seinem Geburtsland verehrt, weil ihm Heilkräfte zugesprochen werden.
Francis Kéré, der Baum & die Farbe
Auch als Kéré 2017 den Serpentine Pavilion für London designte, ließ er sich bei dessen zentraler Form von einem Baum inspirieren. Und die Farbe der dreieckigen Module, die die Wände bildeten, hatte symbolische Bedeutung: Ihr Blau steht in der Kultur seines Geburtslandes für Stärke. Wobei hier auch ein noch persönlicherer Aspekt eine Rolle gespielt haben soll: Das Blau des Boubou-Gewands, das der Architekt in Kindertagen trug.
Das freistehende Dach des von Kéré kreierten Serpentine Pavilion indes erinnert an Bauten, die der einfühlsame Meister in Afrika errichtet hat. Allerdings ließ der jetzige Pritzker-Preis Inhaber im Inneren des Pavillons Regenwasser fließen. Ein klarer, warnender Verweis auf weltweit drohende Wasserknappheit, die vielerorts längst bittere Realität ist.
Bauten, die allen dienen
Beim Konzept des Komplexes für die Nationalversammlung der Republik Benin (siehe Beitragsbild) spielt ebenfalls das Bild eines „Versammlungsbaumes“ mit. Das derzeit im Bau befindliche Projekt liegt passenderweise in einem öffentlichen Park. Und tagt dann im Inneren das Parlament, stünde Bürgerversammlungen im Schatten des großen Gebäudes nichts im Wege.
Die Liste herausragender Arbeiten, die Francis Kérés Können demonstrieren, ist lang. Von Burkina Faso, Kenia und dem Sudan bis Dänemark, Italien, Schweiz, Deutschland und die USA: Der Mann, dem 1985 ein Stipendium vorerst eine Tischlerlehre in Deutschland ermöglichte, hat viel bewirkt.
Einst Tischlerlehre, jetzt Pritzker-Preis
Kéré hat unzählige grandiose Bauten konzipiert und errichtet. Allesamt sind sie faszinierend und bewundernswert. Ebenso, wie der Werdegang des für soziale Gerechtigkeit und ökologische Belange engagierten Architekten.
Sein Studium hat Kéré an der TU Berlin absolviert, an der er 2017 – nach Professuren in der Schweiz und an der Harvard Graduate School of Design – einen Lehrstuhl übernahm. Und Berlin ist heute auch sein Wohnort sowie Hauptsitz seines Architekturstudios.
Vermittler zwischen Welten
Ein Büro Burkina Faso betreibt der Kosmopolit nach wie vor ebenso. Denn Austausch zwischen seiner alten und neuen Heimat ist ihm wichtig. Ebenso, wie die Einbindung lokaler Bevölkerung in jedes seiner Projekte.
Die Pritzker-Preis Jury würdigt Diébédo Francis Kéré nicht von Ungefähr mit eindrucksvollen Worten: „In einer Welt in der Krise, eines Werte- und Generationenwandels, erinnert er uns an das, was ein Eckpfeiler architektonischer Praxis war und zweifellos in Zukunft sein wird: Sinn für Gemeinschaft und erzählerische Qualität, von der er selbst mit Mitgefühl und Stolz zu berichten weiß. Damit liefert er eine Erzählung, in der Architektur zur Quelle dauerhaften Glücks und Freude werden kann.“
Mut zum Träumen
Der fraglos würdige Preisträger selbst formuliert sein Anliegen vergleichsweise schlicht: „Ich hoffe, einen Paradigmenwechsel herbeiführen und Menschen zum Träumen und zum Risiko anregen zu können“.
Reichtum ist für Francis Kéré kein Grund, Material zu verschwenden. Und Armut keiner, nicht nach Qualität zu streben. Denn der Architekt ist überzeugt: „Jeder verdient Qualität. Jeder verdient Luxus und jeder verdient Komfort. Wir sind miteinander verbunden. Und die Sorgen um Klimawandel, Demokratie und Knappheit gehen uns alle an.“
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Francis Kéré, Kéré Architecture, Iwan Baan, Erik-Jan Ouwerkerk, Lars Borges, The Pritzker Architecture Prize