Eine Kathedrale aus Holz
Der kanadische Promikoch und Internet-Phänomen Matty Matheson hat gemeinsam mit dem Architekten Omar Gandhi eine Restaurant-Landschaft geschaffen, die vom Boden bis zur Decke aus Holz besteht. Von folkloristischer Hüttenromantik ist man dennoch weit entfernt.
Er ist wahrscheinlich der ungewöhnlichste Starkoch aller Zeiten. Tätowiert bis zu den Zähnen, mit Baseball-Kappe oder Bucket-Hut, präsentiert er die Klassiker der erweiterten nordamerikanischen Fast- und Slow-Food-Küche – mit einer Würze aus Shopping Channel und Reality TV. Ob BLT Sandwich (Bacon Lettuce Tomato Sandwich) oder Sunday Roast Beef – der wohlbeleibte Küchenchef Matty Matheson macht die einfachen Rezepte nicht zu Haute Cuisine, sondern lässt sie stets am Boden der alltagskulinarischen Realität. Eine Disziplin, in der er seine Kreativität und seinen Perfektionsanspruch auslebt. Dass man den Entertainer-Koch auf keinen Fall unterschätzen darf, zeigt auch sein neues Restaurant Prime Seafood Palace in Toronto. Für den Entwurf hat Matheson den kanadischen Star-Architekten Omar Gandhi engagiert.
„Für das Design des Restaurants wollte ich nicht jemanden beauftragen, der Restaurants designt“, erzählt Matheson bei einer kurzen Lokal-Tour mit dem „AD“-Magazin. „Restaurants sehen sehr schnell ähnlich aus“, und das wollte der Internet-Star vermeiden.
Für das Design des Restaurants wollte ich nicht jemanden beauftragen, der Restaurants designt.
Matty Matheson, Star-Koch und Internet-Personality
Es sollte ein Lokal werden, das mit einem frischen Look und neuen Ideen an den Start geht. „Ich wollte mit jemandem arbeiten, für den nicht von vornherein klar war, wo die Sitzecken hinkommen oder wie die Servicestation genau funktioniert.“ Kurz gesagt: Der Bauherr verlangte nach einem Denken „outside-the-box“.
Eine Überraschung im Inneren
Nach einer fünfjährigen Planungs- und Bauphase zählt das Ergebnis dieser Kollaboration von Koch und Architekt zu den bestbewerteten Adressen in Torontos Stadtteil Queen West. An der Adresse findet man ein von außen eher unscheinbares Gebäude mit weißen Backsteinmauern und schwarzen Fenstern. Die Überraschung tut sich erst auf, wenn man das Gebäude betritt. Dann präsentiert sich eine „lichtdurchflutete Holz-Kathedrale in einem ansonsten unauffälligen Ziegelbau, der sich in die städtische Textur fügt“, so die Beschreibung des Architekturbüros Omar Gandhi Architects.
Ähnlich wie bei ihren Wohnhausprojekten setzten die Architekten auf ein homogenes Interieur, das vom Boden bis zur Decke aus dem natürlichen Werkstoff Holz besteht. Denn: „Mit Holz und Licht zu arbeiten war der Ausgangspunkt für das Design.“ Dabei rückt Architekt Omar Gandhi die Gewichtung noch zurecht: „Das wichtigste Material in diesem Raum ist wahrscheinlich das Licht – sowohl das natürliche als auch das künstliche.“
Das wichtigste Material in diesem Raum ist wahrscheinlich das Licht – sowohl das natürliche als auch das künstliche.
Omar Gandhi, Architekt
Weder die beige Lederpolsterung der Sitzmöbel noch die Lampenschirme aus Messing heben sich von dieser harmonischen Kulisse ab. Den Kontrapunkt bilden hier nur die Gäste und die ihnen aufgetischten Gerichte. So etwa der gegrillte Humboldt-Kalmar oder das Schweinekotelett, die beide genau so, ohne Beilagen und Firlefanz, auf der Speisekarte stehen.
Holz als Tageslichtfilter
Das inszenierte Tonnengewölbe darüber fasst die Szenerie wie eine Klammer zusammen. Dabei setzt sich die Verkleidung an Holzlatten über die Fensterreihe fort und schafft so einen Sichtschutz nach außen sowie einen weichen Filter für das einfallende Tageslicht. Die gesamte Inneneinrichtung ist maßgefertigt und stammt vom jungen Holzmöbel-Produzenten Coolican & Company in Toronto.
Neben der schlichten Eleganz warten die Möbel auch mit ein paar Überraschungen auf. Mattheson zieht eine flache Lade aus einem der Esstische. „Hier ist eine Bestecklade eingebaut, in der sich die Steakmesser befinden.“ Dies bricht das starre Gedeck auf und bringt etwas Lockerheit an den Tisch, was ganz in Mathesons Sinn ist.
Ein zeitloses Interior-Konzept
Eine Messing-Reling schafft eine dezente Raumteilung in dem großen Speisesaal, der in eine offene Konzeptküche übergeht. „All das Messing, Leder und Holz hat etwas sehr Klassisch-traditionelles. Wir mochten insbesondere die Idee, dass jedes dieser Materialien mit der Zeit eine schöne Patina entwickeln würde. Es sieht also nicht nur jetzt schön aus, sondern wird in Zukunft noch schöner werden, wenn die Möbel Kratzer abbekommen, das Leder nachdunkelt und das Messing eine Zeichnung erhält“, schwärmt Omar Gandhi von der Zeitlosigkeit des Interior-Konzeptes.
Wir mochten insbesondere die Idee, dass jedes dieser Materialien mit der Zeit eine schöne Patina entwickeln würde.
Omar Gandhi, Architekt
Im hinteren Bereich des Gebäudes gibt es noch einen weiteren Speiseraum. Im Gegensatz zum vorderen kommt hier doch so etwas wie Hüttenfeeling auf, allerdings im skandinavischen Hygge-Stil. Mit Jøtul-Holzofen, Lammfellen auf den Sitzen und rustikaler Holzdecke erinnert der Raum laut Konzept an Ontarios Hüttenlandschaft. „Es fand eine Art Überschneidung zwischen skandinavischer, japanischer und maritimer Architektur statt“, präzisiert Gandhi den Stil des Restaurants.
Persönlich und familiär
Im Lokal verteilt und auf der Speisekarte finden sich eine Reihe an Referenzen an das Restaurant The Blue Goose, das Mathesons Großvater auf Prince Edward Island betrieb. Ein Ort, der ihn eigenen Angaben zufolge stark geprägt hat. In diesem Sinn ist Prime Seafood Palace ein sehr persönlicher Ort, wie der Starkoch verrät. „Dieses Restaurant ist ein perfektes Abbild meines Lebens durch die kulinarische Linse betrachtet.“
Omar Gandhi geht sogar noch weiter und sagt: „Dieses Restaurant ist wie das Erdgeschoss eines Einfamilienhauses. Es gibt die Küche, einen großen Essbereich und der Raum hinten ist fast wie ein Familienzimmer.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Adrian Ozimek, Doublespace