Plusenergie-Haus voraus!
Wenn Spezialisten für ökologische Bauweise zusammenarbeiten, entstehen spannende Gebäude. So, wie jene der „Powerhouse“-Kooperation, zu der auch das Top-Architekturbüro Snøhetta zählt. Der jüngste Streich: Ein Plusenergie-Haus, das durch Nachhaltigkeit und Form zugleich brilliert.
Ihr Ziel ist es, „den Planeten so gesund wie möglich zu halten“. Was sie in diesem Sinne schaffen, sind energiepositive Bauwerke. „Sie“ sind die Forschungs-, Design- und Ingenieur-Kooperation „Powerhouse“. Und kürzlich wurde ihr jüngstes Projekt fertiggestellt: Ein Plusenergie-Haus in Norwegens historischer Industriestadt Porsgrunn, Provinz Vestfold und Telemark. Das ungewöhnliche Bürogebäude ist bereits das vierte „Powerhouse“, mit dem das Team vorausschauende Baukunst demonstriert.
„Powerhouses“ für ein gutes Morgen
Neben dem Top-Architekturbüro Snøhetta gehört auch die Immobiliengesellschaft Entra zur engagierten Runde. Ebenso, wie die Umweltorganisation ZERO, Unternehmer Skanska und die Consulting-Firma Asplan Viak. Im aktuellen Fall ist zudem Kunde R8 Property dabei.
Was die „Powerhouses“ der innovativen Partner können sollen? Mehr saubere, erneuerbare Energie produzieren, als sie verbrauchen. Bei konservativ geschätzter Lebensdauer von 60 Jahren. Inklusive Material, Bau und Abriss.
Das nun fertiggestellte, elfstöckige Bürogebäude in Porsgrunn ist ein solches Plusenergie-Haus. Als Teil der Serie setzt das „Powerhouse Telemark“ neue Standards für nachhaltige Gebäude: Im Vergleich zu ähnlichen Neubaubüros hat es einen um 70 Prozent geringeren jährlichen Nettoenergieverbrauch.
Vorbild-Region Telemark
Der Standort des 8.400 Quadratmeter umfassenden Bauwerks hat Symbolcharakter. Schließlich ist Telemark auch Heimat eines der größten Wasserkraftwerke des frühen 19. Jahrhunderts. Zudem wird hier zusehends in grüne Wirtschaft investiert. Das Powerhouse soll die Region als Vorbild in Sachen CO2-Reduktion bei Neubauten positionieren.
Die nach Südosten ausgerichtete Fassade und das Dach werden, so die Architekten, 256.000 kWh pro Jahr erzeugen. Also etwa das Zwanzigfache des jährlichen Energieverbrauchs eines durchschnittlichen norwegischen Haushalts. Überschüssige Energie wird ans Energienetz rückverkauft.
Zertifizierte Nachhaltigkeit
Als Beweis der kühnen Nachhaltigkeitsambitionen dient das BREEAM Excellent**-Zertifikat, das die „Powerhouses“ auszeichnet. Und geht es nach Snøhetta & Co., wird auch das Plusenergie-Haus in Telemark als Musterbeispiel dienen. Nämlich dafür, wie nachhaltige Architektur und nachhaltiges Design künftig weltweit umgesetzt werden können.
Markante Optik
Auch optisch hat der schräge, leicht konische Neubau einiges zu bieten. An der nach Osten gerichteten Fassade gibt ihm eine klar definierte, 45 Grad geneigte Kerbe seinen ganz speziellen Look. Damit hebt sich das Plusenergie-Haus vom Kontext des umliegenden Industrieparks Herøya ab.
Im Inneren des „Powerhouse Telemark“ eröffnet sich eine moderne Arbeitswelt. Flexible Büros, Co-Working- und Tagungsbereiche stehen zur Verfügung. Ebenso, wie Mitarbeiterrestaurant, Bar und eine Dachterrasse mit Blick auf den Fjord.
Treppen-Spiele
Zwei große Stiegenaufgänge verbinden das Erdgeschoss und die oberen Stockwerke. Sie reichen vom Empfang bis hinauf zu den Penthouse-Besprechungsräumen. Im neunten Stock findet sich eine gerade Holztreppe. Diese markante, optische Verbindung zwischen Kantine und Penthouse-Ebene dient Besuchern als Zugang zur Dachterrasse.
Viel Platz für „Sonnenernte“
Mit seiner erweiterten Fläche sorgt das um 24 Grad geneigte Dach dafür, dass das Plusenergie-Haus ein Maximum an Sonnenenergie „ernten“ kann. Und zwar sowohl mit seiner Photovoltaik-Überdachung als auch an der mit PV-Zellen bestückten Südfassade.
Im Westen, Nordwesten und Nordosten ist der Büroturm mit hölzernen Balustraden verkleidet. Diese spenden an der am stärksten von der Sonne bestrahlten Fassade natürlichen Schatten. Hinter dieser Holzverkleidung finden sich Cembrit-Fassadenpaneele, die dem Plusenergie-Haus ein einheitliches „Gesicht“ verleihen.
Effizient klimatisiert
Das Gebäude, das wie ein Passivhaus funktioniert, ist perfekt gedämmt. Seine Fenster sind dreifach isoliert. Die Betonplatten schaffen Steinstruktur-ähnliche Dichte, die tagsüber gespeicherte Wärme abends langsam abgibt. Zudem sorgen ein Low-Ex-System mit Wasserkreisläufen in den Grenzbereichen der Stockwerke und 350 Meter tiefe Erdwärme-Schächte für effiziente Kühlung und Heizung.
Viele Low-Tech-Lösungen im Plusenergie-Haus Telemark dienen dem Komfort der Mieter. Die leicht schräg nach Westen und Süd-Osten ausgerichteten Fassaden garantieren ein Maximum an Tageslicht und Schatten. Zugleich bieten sie grandiosen Ausblick und räumliche Flexibilität.
Achtsam geplantes Innenleben
Im Nordosten ist das Powerhouse nivelliert, um traditionellere Arbeitsräume mit geschlossenen Büros unterzubringen. Kleine, abgelegene Bereiche wurden von sonnenexponierten Fassaden entfernt gesetzt. So soll der Kühlungsaufwand reduziert und die Raumtemperatur angenehm gehalten werden.
Die Innenausstattung basiert auf dem Prinzip der Standardisierung. Damit wollen die Architekten unnötigen Abfall vermeiden, wenn neue Mieter ins Plusenergie-Haus ziehen. Bodenbelag, Glas- und Bürotrennwände haben auf allen Etagen dasselbe Design. Teeküchen, Beleuchtung und Waschräume ebenso. Auch Farben und Materialien sind einheitlich gestaltet.
Das flexible Interieur soll es Mietern leicht machen, ihre Räumlichkeiten je nach Bedarf zu vergrößern oder zu verkleinern.
Top-Qualität im Plusenergie-Haus
Bei der Materialwahl wurde auf Umweltverträglichkeit geachtet. Robuste, nachhaltige Materialien wurden bevorzugt. Einheimisches Holz, Gips und umweltfreundlicher, unbehandelt freiliegender Beton dominieren. Von Küchen bis zu losen Möbelstücken und mehr: Alles basiert auf dauerhaften, hochwertigen Grundstoffen.
Die Teppichfliesen zum Beispiel wurden zu 70 Prozent aus recycelten Fischernetzen gefertigt. Der Holzboden besteht aus Industrieparkett aus Holzabfall-Asche. Und ein speziell entworfenes Beschilderungssystem mit Folierung erlaubt visuelle Kennzeichnung der verschiedenen Büroräume – so, dass auch kein unnötiger Abfall entsteht, wenn markenspezifische Beschilderung verändert wird.
Natürlich hell & sparsam
Um den Bedarf an künstlicher Beleuchtung aufs absolute Minimum zu reduzieren, verfügt das Plusenergie-Haus über ein konservatives, aber effizientes Beleuchtungssystem. Außerdem wurde das Gebäudedach mit vertikalen Glasschlitzen versehen. Dadurch können die drei oberen Stockwerke mit Tageslicht versorgt werden. Zum freundlich hellen Ambiente im Bürohaus tragen auch bewusst in entsprechenden Farben gehaltene Möbeloberflächen bei.
Dass die international erfolgreichen Snøhetta-Architekten Meister nachhaltiger Baukunst sind, ist bekannt. Schließlich hat sich das vielfach ausgezeichnete Büro mit Stammsitz in Oslo bereits mit vielen entsprechenden Projekten einen Namen gemacht.
Umweltschutz-Spezialist Snøhetta
Dazu zählen etwa das Öko-Hotel „Svart Resort“ und das spektakuläre Saatgut-Archiv „The Arc“ in Norwegen. Auch die umwelt- und menschenfreundliche Firmenzentrale des Tiroler Reiseveranstalters „ASI“ stammt aus der Feder des Snøhetta Teams.
Mit dem nunmehr vierten Plusenergie-Haus der „Powerhouse“-Kooperation wollen Snøhetta und Partner erneut ein Zeichen setzen. Das „Powerhouse Telemark“ soll ein Vorbild für ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltige Architektur sein. Genau wie seine ehrgeizigen Schwesterprojekte „Kjørbo“, „Drøbak Montessori School“ und „Brattørkaia“. Zugleich soll der Neubau Denkanstöße dazu liefern, wie Büros in der Zeit nach COVID-19 aussehen könnten.
Umdenken gefragt
Es gelte, die aktuelle Situation zu nützen, um nachhaltigen Entwurfspraktiken Vorrang einzuräumen, meint Snøhetta Gründungspartner Kjetil Trædal Thorsen. Und: „Wir müssen besonders berücksichtigen, wie unsere Arbeit menschliche und nicht-menschliche Bewohner gleichermaßen beeinflusst“.
Zwar scheine die allmähliche Gewalt der Klimakrise im Vergleich zu den schnellen Auswirkungen von Viren wie COVID-19 weniger akut. Doch: „Als Architekten haben wir ein Interesse am Schutz unserer gebauten und ungebauten Umwelt“. Deshalb betont Kjetil Trædal Thorsen: „Wir brauchen mehr branchenweite Allianzen wie Powerhouse, um die Industriestandards für die Mittel zum Bau nachhaltiger Gebäude und Städte voranzutreiben. Sowohl in wirtschaftlicher und sozialer, als auch in ökologischer Hinsicht“.
Pionier-Team „Powerhouse“
Das erste realisierte Projekt der „Powerhouse“-Kooperation war „Kjørbo“ in Sandvika bei Oslo. 2014 fertiggestellt, gilt es als erstes energiepositives Gebäude Norwegens. „Unseres Wissens nach, war es auch das erste renovierte energiepositive Gebäude der Welt“, verlauten die Partner. Ihr Engagement ist bereits preisgekrönt. So erhielt etwa das „Powerhouse Brattørkaia“ kürzlich den Fast Company 2020 Innovation by Design Award für Nachhaltigkeit.
Weitere Netto-Null- und Energie-Positiv-Bauten von Snøhetta sind „Harvard HouseZero“ und „ZEB Pilot House“. Allesamt – wie das Energieplus-Haus in Telemark – im Zeichen des großen Ziels konzipiert: Architektur soll helfen, den Planeten so gesund wie möglich zu halten.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Ivar Kvaal, Snøhetta