Neuer Stern im Garten der Wissenschaften
Das kürzlich eröffnete Planetarium in Straßburg ist nicht nur das einzige Universitätsplanetarium Frankreichs. Es ist auch einzigartig in seiner Bauweise: Struktur und Fassade bestehen aus Holz. Denn beim Blick in die Sterne wollte man auch auf die Zukunft des Planeten Erde schauen.
Gäbe es ein Ranking der außergewöhnlichsten Bauaufträge, Planetarien kämen wohl in die Top 3. Und so hätten es sich die Architekten des kanadischen Büros Cardin Julien sicher auch nicht träumen lassen, dass dem „Once in a Lifetime“-Projekt – der Planung des Rio Tinto Alcan Planetariums in Montreal – schon kurz nach dessen Eröffnung ein Ruf aus Frankreich folgt, sich auch am neuen Planetarium der Universität Straßburg zu beteiligen.
Die Drei von der Baustelle
Drei Jahre lang arbeitete man unter der Leitung und nach dem Entwurf des Pariser Teams von frenak+jullien als Dreiergespann mit den ortsansässigen Planern von m+mathieu holdrinet zusammen. Ein kongeniales Trio, wie sich zeigte: Die leitenden Architekten von frenak+jullien konzentrierten sich auf bioklimatische Lösungen, etwa auf die Verwendung von weniger kohlenstoffintensiven Materialien. Die Stärken des Architekturbüros Cardin Julien flossen bei der nachhaltigen Entwicklung ein. Und m+ mathieu holdrinet steuerte die Expertise für Holzrahmenbauten bei.
Im September 2023 fand schließlich die Eröffnung des Planétarium du Jardin des Sciences statt, das nun das alte Observatorium der Université de Strasbourg aus dem Jahr 1881 ergänzt. Auf 1.000 Quadratmeter vereint der Bau Forschungs- und Bildungszwecke mit architektonischer Raffinesse und nachhaltigem Design.
Neues für Straßburgs Neustadt
Der Name des Planetariums ist Programm, steht das Gebäude doch im Jardin des Sciences, dem weitläufigen Parkgelände der Hochschule. Der Campus liegt nicht – wie so oft üblich – am Rande der Universitätsstadt. Vielmehr erstreckt sich der interdisziplinäre Begegnungsort für Wissenschaft gleich östlich des historischen Kerns der elsässischen Metropole.
Ja, es gibt auf dem Campusgelände am Boulverd de la Victoire auch Bauten aus der Nachkriegszeit. Das neue Planetarium hat seinen Platz jedoch im älteren Teil des Areals gefunden: eingebettet zwischen den imposanten Instituten für Zoologie und Geologie aus dem 19. Jahrhundert und in der Nähe des monumentalen Hauptgebäudes. Es stammt noch aus der Zeit des Wilhelminismus, als Straßburg durch die Hochschule germanisiert werden sollte. Das umgebende, ehemalige deutsche Viertel „Neustadt“ zählt aufgrund seiner beeindruckenden Architektur seit 2016 zum UNESCO-Kulturerbe.
Inspiration Astrolabium
Dass eine derart illustre Nachbarschaft eine gewisse vornehme Zurückhaltung erfordert, darin waren sich alle Beteiligten einig. Gleichzeitig wollte man dem Programm des Ortes – der faszinierenden Reise ins unendliche Weltall – einen äußeren Ausdruck verleihen. Und so erinnert die ungewöhnliche Geometrie des neuen Bauwerks nicht nur an die auf dem Gelände befindlichen Maschinenhäuser aus dem 19. Jahrhundert, wie etwa die Kuppel der alten Sternwarte. Der baulich wie nutzungstechnisch zweigeteilte Neubau ähnelt durch seine Form eines schräg abgeschnittenen Kegels auch einem Astrolabium.
Das scheibenförmige astronomische Instrument wurde im Mittelalter häufig genutzt, um das sich drehende Firmament nachzubilden und Sternenpositionen zu berechnen. Die ihm nachempfundene Metallscheibe auf der fünften Fassade wirkt dabei wie ein Wink und Gruß an die Passanten zugleich, reagiert sie doch auf die wechselnden Farben des Himmels.
Planetarium mit Forschungsauftrag
Der in den Himmel ragende Kegelstumpf soll laut den Planern „die zeitlose Suche nach dem Wissen über das Universum“ symbolisieren. In ihm befindet sich das Planetarium mit seinen 138 Sitzplätzen. Mit einer 360-Grad-Projektionskuppel, die den Sternenhimmel naturgetreu auf einem gigantischen halbkugelförmigen Bildschirm abbildet, einer um 18 Grad geneigten Leinwand von 15 Metern Durchmesser und einem astronomischen Simulator lädt es Besucherinnen und Besucher ein, ins Universum einzutauchen.
Als Universitätsplanetarium erfüllt das Kosmos-Kino neben pädagogischen Aufgaben aber auch einen Forschungsauftrag. So bietet das neue Gebäude Studierenden wie Forschenden ein ideales Arbeitsterrain. Die von ihnen gesammelten Daten werden für die Inhalte der Publikumsshows verwendet.
Entpuppte Konstruktion
Dass ein derart reiches technisches Innenleben, die Verpflichtung zur Wissenschaft sowie die ineinander verschachtelten Volumina von Kegel, Kuppel und Leinwand eine besondere konstruktive Kreativität erforderte, verwundert nicht. Überraschend ist aber die Lösung, die die Planer für die sich stellenden Herausforderungen fanden. Sie griffen während der Bauphase auf eine atypische Montagelogik zurück: Die Errichtung der Metallkuppel des Planetariums fand vor der Montage der überdachten Hülle des Kegels statt.
Die Konstruktion, die fast schon an eine russische Matrjoschka-Puppe erinnert, erwies sich aber auch als gelungene Antwort auf dringliche Baufragen der heutigen Zeit – wie etwa Nachhaltigkeit und Energieeffizienz. So konnte durch die Kompaktheit des Gebäudes und die strategische Platzierung der Öffnungen der Wärmeverlust erheblich minimiert werden. Eine optimale Umweltleistung sei gewährleistet, so die Planer.
17 Meter, unendliche Weiten
Dem überirdischen Erlebnis der Besucherinnen und Besucher tun die irdischen Reglements keinen Abbruch. Im Gegenteil: Um das Publikum auch räumlich auf die kommende Erfahrung vorzubereiten, wurde eine leicht geneigte kreisförmige Galerie geschaffen, über die man von der Helligkeit der Halle in jene nachtblaue Umgebung gelangt, die für ein kosmisches Kino unerlässlich ist. Unterstützt wird dieser Effekt durch die CLT-Holzplatten der freiliegenden Struktur: Sie ragen bis zu 17 Meter auf und verdeutlichen die unendlichen Dimensionen des Alls. Zumindest ansatzweise.
Sichtbarkeit für die Wissenschaft
Um noch mehr Menschen für Astronomie zu begeistern und für die planetaren Herausforderungen zu sensibilisieren, gibt es neben dem Sternentheater ein reiches Kultur- und Unterhaltungsprogramm mit Konzerten, Lesungen und Vorträgen. Über den sanften Treppenaufgang, der zwischen der Halbkugel und der Innenseite des Kegels liegt, ist das Auditorium mit einem im Grundriss ebenfalls kreisrunden, jedoch deutlich flacheren Bau verbunden. Er öffnet sich durch ein Glasdach in Form einer Sonnenuhr zum Himmel und nimmt ein offenes, strahlendes Foyer mit öffentlichen und privaten Servicebereichen auf. Hier werden die zahlreichen, vom Jardin des Sciences verwalteten Standorte an einem Ort erlebbar. Die „Lobby“ beherbergt zudem mehrere universitäre Sammlungen, für die so auch eine neue Sichtbarkeit geschaffen wurde.
Schimmernde Douglasie
Apropos Sichtbarkeit: Selbst drängt sich das Planetarium nicht in den Vordergrund. Der dunkle Stumpf des Kegels erhebt sich zwar deutlich über das Grün der 5.000 Quadratmeter großen Außenanlage, die noch vom Pariser Büro FORR gestaltet wird und mit acht kreisförmigen Gärten auf die Planeten des Sonnensystems anspielen soll. Doch fügt sich die vollständig aus Holz bestehende Struktur auch durch ihre Fassade harmonisch in die Natur ein.
Der Dank gebührt dem Einsatz von karbonisierten Douglasien-Latten. Das gebrannte Holz aus lokaler Produktion, dessen tiefbraun-schwarze Textur bei tiefstehender Sonne silbrig zu schimmern beginnt, bildet einen schönen Kontrast zum hellen Holz und den weißen Gipswänden im Inneren.
Das Straßburger Planetarium ist einzigartig. Nicht nur, weil es das einzige Universitätsplanetarium in Frankreich ist.
Mathieu Schneider, Vizepräsident der Universität Straßburg
Ein einzigartiges Projekt
Damit ist das neue Planetarium in Straßburg ein gelungenes und sogar himmlisches Beispiel dafür, wie sich moderne Umweltbelange in einem Gebäude widerspiegeln können und es sich dennoch harmonisch in ein historisches Ensemble einfügen kann. Für Mathieu Schneider, Vizepräsident der Universität Straßburg, ist es aber noch vielmehr: einzigartig nämlich. „Einzigartig, weil das Planétarium du Jardin des Sciences das einzige Universitätsplanetarium in Frankreich ist. Einzigartig, weil es als totales immersives Erlebnis gedacht ist. Und einzigartig, weil es ein neues Kulturviertel in der Neustadt einweiht.“
Das Büro Cardin Julien hat übrigens inzwischen den Planetarium-Hattrick vollgemacht. Nach Straßburg war man auch in Grenoble aktiv und hat das Centre des sciences Cosmocité inklusive 80-Plätze-Planetarium mitgeplant. Auch das dürfte ziemlich einzigartig sein.
Text: Daniela Schuster
Bilder: Maxime Delvaux / v2com; Astrolabium: Deutsches Museum, München (Reinhard Krause)