Es war einmal ein Plattenbau
Wer denkt, dass in die Jahre gekommene Plattenbauten nicht das Potenzial zum zeitgemäßen Wohntraum hätten, der irrt. Wie aus der ostdeutschen Einheitsplatte ein Unikat wird, zeigt das Ferienhaus Palais Brut des Berliner Architekten Hans Sasse.
Angetrieben durch den akuten Wohnungsmangel standen die 1970er-Jahre in der DDR unter dem Zeichen der baulichen Standardisierung. Schnell, effizient und kostengünstig sollten die neuen Wohneinheiten vom Band sein und bis 1990 allen Bürgern zu den eigenen vier Wänden verhelfen. Als Ergebnis von Forschungen der Deutschen Bauakademie und der Technischen Universität Dresden entstand die Wohnungsbauserie 70, kurz WBS 70 genannt. Die sechs Meter lange Einheitsplatte mit Kerndämmung wurde zum wahren Wohnraummultiplikator. In nur zehn Jahren baute die DDR-Regierung 91.400 neue Wohnungen in Ostberlin und damit die größte Plattenbausiedlung Europas.
Auch eine Reihe an Zweifamilien-Wohnhäusern entstanden aus diesem standardisierten Bausystem. Durch die lastabtragenden Außenwände blieben die Grundrisse im Inneren sehr flexibel. Ein Umstand, der „die Platte“, wie der Wohntypus gemeinhin genannt wird, eigentlich zum perfekten Transformationsobjekt macht. Wäre da nicht das unheimlich schlechte Image, das diesem Bestandstyp vorauseilt. Ein Bauherr und ein Architekt aus Berlin ließen sich davon nicht abschrecken und verwandelten einen verwahrlosten Plattenbau in ein einzigartiges Feriendomizil: das Palais Brut.
Ein Finanzierungsproblem
Während des Lockdowns entdeckte Bauherr Patrick Petzold die Liegenschaft am Rande des Naturparks Märkische Schweiz nordöstlich von Berlin. Architekt Hans Sasse war sofort mit Begeisterung dabei und gemeinsam tüftelten sie mithilfe eines Kartonmodells an einer neuen Raumaufteilung. Aus den zwei symmetrischen Wohneinheiten sollte ein Studio-Apartment und eine größere Familienwohnung entstehen.
Doch bevor es an die Umsetzung ging, mussten sie die größte Hürde des Projektes überwinden: die Finanzierung. „Das Problem war der Gebäudetyp. Die meisten Banken, mit denen wir sprachen, finanzierten einfach keine Plattenbauten“, erklärt Bauherr Patrick Petzold gegenüber der Plattform urlaubsarchitektur.de. Nach langer Suche gelang es schließlich, die örtliche Sparkasse von dem Projekt zu überzeugen.
Offenheit in der Matrix der Platte
Nach dem Deckendurchbruch, dem Entfernen von Zwischenwänden und dem gezielten Aufmachen nach außen ergab sich ein völlig neues Wohngefühl, das mit den beengten Dimensionen des Bestands nichts mehr zu tun hatte. In der offenen Wohnküche mit doppelter Raumhöhe addieren sich die maximierten Fensteröffnungen zu einem Mehrfach-Ausblick, der trotz allem die Matrix der Platte nicht verrät.
Wenn man in der großen Wohnung oben auf der Empore steht und aus dem neuen Fenster schräg gegenüber schaut, hat man einen herrlichen Blick über die Felder. Das hatten wir uns nicht so schön vorgestellt.
Patrick Petzold, Bauherr
Für den Bauherren war es ein Schlüsselmoment, als er zum ersten Mal im transformierten Rohbau stand. „Wenn man in der großen Wohnung oben auf der Empore steht und aus dem neuen Fenster schräg gegenüber schaut, hat man einen herrlichen Blick über die Felder. Das hatten wir uns nicht so schön vorgestellt“, schwärmt Petzold.
Mit Geothermie und Fußbodenheizung hat man auch die Haustechnik auf den neusten Stand und nachhaltigen Komfort in die Wohnräume gebracht.
Erhaltenswertes Zeugnis der Baukultur
Dass der Hausbesitzer äußerlich an der räudigen Ästhetik des Waschbetons festgehalten hat – der Innendämmung sei Dank –, spricht für die Authentizität des Bauprojekts. Jeder Versuch, die Fassade des zweistöckigen Wohnhauses in irgendeiner Weise aufzuhübschen oder unter einer schicken Holzlattung zu verstecken, wäre aufgesetzt und ein Schlag ins Gesicht des baukulturellen Erbes.
Denn die Alltagsarchitektur aus DDR-Zeiten zählt heute zum erhaltenswerten Kulturgut. Hatte man sich nach der Wende vor allem auf den Erhalt der Altstädte konzentriert, wurden in jüngster Zeit vermehrt Wohnkomplexe in Plattenbauweise unter Denkmalschutz gestellt.
Durch die Transformation des Palais Brut bleibt nicht nur ein Stück DDR-Alltagskultur erhalten. Das Projekt zeigt auch exemplarisch auf, welches Potenzial in den Betonburgen der Vergangenheit schlummert, das nur darauf wartet, durch kreative Eingriffe freigelegt zu werden.
Das bessere Einfamilienhaus
Auf diese Weise transformiert kann der Plattenbau etwa auch zum besseren Einfamilienhaus mutieren, da vorhandene Bausubstanz neu genutzt und Emissionen eingespart werden.
„Palais Brut möchte beispielgebend sein für die sinnvolle Sanierung eines unliebsamen Bauobjekts. Der Abriss eines solchen Gebäudes aus Stahlbeton zugunsten eines Neubaus ist im Hinblick auf die Endlichkeit der Ressourcen nicht mehr zeitgemäß“, liest man auf der Vermietungsseite des Eigentümers Petzold.
Der Abriss eines solchen Gebäudes aus Stahlbeton zugunsten eines Neubaus ist im Hinblick auf die Endlichkeit der Ressourcen nicht mehr zeitgemäß.
Patrick Petzold, Bauherr
Warum derartige Bestandsbauten dennoch sehr selten revitalisiert werden, liegt laut Bauherren auch daran, dass „die DDR-Architektur immer wieder aggressiv verleumdet wird“. Architekt Hans Sasse ergänzt: „Das Image ist einfach schlecht und viele Plattenbauten stehen recht verloren in der Landschaft. Das schreckt ab. Es fehlen zudem gute Beispiele.“
Mit gutem Beispiel voran
Ein Beispiel mit Vorbildwirkung haben Architekt und Bauherr nun jedenfalls geliefert und gezeigt, dass die Plattenbauweise durchaus zukunftsfähig ist. Dank Betonschnitt lässt sie sich für unterschiedliche Nachnutzungen bestens adaptieren.
Und als Ferienhaus wird das Palais Brut seinen neuen Nutzerinnen und Nutzern voll gerecht. Die durchdachten Raumlösungen gepaart mit einer Portion „Ostalgie“ kommt bei den architekturaffinen Urlaubsgästen sehr gut an.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Tobias König und Michael Romstöck