Die Kirche als CO₂-Bank
Wenn in Kopenhagen nach 30 Jahren erstmals wieder eine Kirche gebaut wird, dann mit Ikonen-Potenzial. Für die Ørestad Church entwarf Henning Larsen einen skulpturalen Holzbau. Eine Kirche 2.0, die zum modernen Community-Center wird, unabhängig vom Glaubensbekenntnis.
Die Bäume stehen dicht an dicht. In der Mitte wirft das Licht, das durch die hohen Baumkronen dringt, ein Muster auf den Boden darunter. Ein Spiel aus Licht und Schatten, das mit fortschreitender Tageszeit durch den Raum wandert. So ein lichtes, erhebendes Gefühl wollen die Architekten mit ihrem Entwurf für die neue Ørestad Kirche in Kopenhagen erzeugen. Kein imposanter Bau mit einem harten Äußeren sollte es sein, sondern ein rundum organisches, einladendes Erlebnis. „Das gestalterische Konzept entspricht einer modernen Auffassung von Spiritualität. Anstatt schweren Stein, wie bei traditionellen Kirchen üblich, setzen wir Holz ein“, erklärt Nina la Cour Sell, Design Director bei Henning Larsen.
Eine Kirche verbessert das Klima
Die neue Kirche der Pfarrgemeinde Islands Brygge will in ihrem Erscheinungsbild keine Ehrfurcht erzeugen, sondern ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Inklusion. Das Fassadendesign bildet Rücksprünge in den starken Wänden aus, die zu Sitznischen, Insektenhotels und Buchtausch-Regalen werden. Die Gebäudehülle wird damit zum aktiven öffentlichen Raum erklärt. Die raue Schindelfassade wirkt wie die Rinde eines Baumes und ändert mit dem Alter und den Jahreszeiten ihr Erscheinungsbild.
Das gestalterische Konzept entspricht einer modernen Auffassung von Spiritualität. Anstatt schweren Stein, wie bei traditionellen Kirchen üblich, setzen wir Holz ein.
Nina la Cour Sell, Design Director bei Henning Larsen
Da eine moderne Kirche auch ihren ökologischen Fußabdruck möglichst klein halten will, fiel die Wahl auf das klimaneutrale Baumaterial Holz. „Holz und andere erneuerbare, biobasierte Materialien sind gute Alternativen, wenn es darum geht, die Auswirkungen des Kirchenbaus auf das Klima zu minimieren“, sagt la Cour Sell. „Da Bäume während ihrer gesamten Lebensdauer Kohlendioxid absorbieren, kann der Holzbau dazu beitragen, die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre zu reduzieren, indem der Kohlenstoffkreislauf verlängert wird. Ein Holzhaus wird quasi zur CO₂-Bank.“
Gemeinschaft und Inklusion
Die junge Planstadt Ørestad auf der Kopenhagener Insel Amager hat in den letzten Jahren einen raschen Zuzug von Menschen in die Gegend erlebt. Dank des vorausschauenden Verkehrskonzeptes gelangt man in 7 Minuten ins Stadtzentrum und in 6 Minuten zum Flughafen. Direkt vor der Haustüre erstreckt sich das Naturschutzgebiet Amager Fælled mit Wiesen, Seen, Wäldern und wild lebenden Hochlandrindern.
Da Bäume während ihrer gesamten Lebensdauer Kohlendioxid absorbieren, kann der Holzbau dazu beitragen, die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre zu reduzieren, indem der Kohlenstoffkreislauf verlängert wird. Ein Holzhaus wird quasi zur CO₂-Bank.
Nina la Cour Sell, Design Director bei Henning Larsen
Was im jungen Stadtgebiet noch fehlt sind neue Räume, die von einem breiteren Spektrum der lokalen Gemeinschaft angenommen werden, wie das Kopenhagener Architekturbüro Platant in einem Partizipationsprozess eruierte. „Eine neue Kirche bietet die Möglichkeit, eine neue Art von kulturellem Gemeinschaftsraum zu schaffen, der eine moderne, inklusive Gesellschaft abbildet. Einen Ort, der alle willkommen heißt, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Glaubensbekenntnis“, sagt la Cour Sell über den Anreiz, in der heutigen Zeit eine Kirche zu bauen.
Bahnbrechende Architektur
Architektonisch passt die Ørestad Church gut ins Konzept. Im neuen Stadtentwicklungsgebiet am südlichen Ende von Kopenhagen erprobt man seit einigen Jahren alternative Formen des Zusammenlebens, nachhaltige Baumaterialien und bahnbrechende Architektur. Hier befindet sich etwa das neue Konzerthaus Kopenhagens von Jean Nouvel, die Royal Arena von 3XN und das 8 House von Bjarke Ingels, Dänemarks größtes Wohngebäude.
Mit ihrem skulpturalen Schindeldach fügt die neue Kirche der lokalen Architektur ein modernes Monument hinzu. Anstatt einer alles überspannenden Hülle bildet das Dach unterschiedlich geformte Quader aus. Wenn man es metaphorisch betrachtet, so ergeben die individuellen Kubaturen in ihrem Zusammenspiel eine organische Einheit – ähnlich wie die Bäume in einem Wald oder die Mitglieder eine Gemeinschaft. Das Dach ist Ausdruck von Inklusion und soll zum Treffpunkt der lokalen Community werden.
Eine nachhaltige Landmark
In ihrem inhaltlichen Konzept ähnelt die Kirche dem Community-Projekt Folkehuset Absalon. Die Familie Lajboschitz, die Gründer des Design-Diskonters Flying Tiger Copenhagen, haben im Stadtteil Vesterbro eine aufgelassene Kirche gekauft und sie zum erfolgreichen Community-Center gemacht. Veranstaltungen wie Fællesspisning (gemeinschaftliches Abendessen), Yoga oder Töpferkurse sind regelmäßig ausgebucht.
Auch in Ørestad will man neben den Messen ein breit gestreutes Kultur- und Freizeitprogramm anbieten, das die Menschen im Viertel zusammenbringt. Das Raumkonzept umfasst neben dem Kirchengebäude einen geschützten Innenhof, ein Büro und vielseitig nutzbare Veranstaltungsräume.
Henning Larsens Entwurf zeigt das Konzept einer Kirche 2.0, die zur sozial und ökologisch nachhaltigen Landmark wird. Der Baubeginn ist für 2024 geplant, die Einweihung der Kirche soll 2026 stattfinden.
Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Vivid Vision, Henning Larsen