Die Boxen mit dem Dreh
Am ehemaligen Holzmarkt im nordanatolischen Eskişehir hat das Architekturbüro Kengo Kuma einen neuen Kunsttempel geschaffen, der Identität stiftet. Das Odunpazari Modern Museum gießt die Geschichte des Ortes in Form und Material.
Die Straßen von Odunpazari säumen farbenfrohe Häuser – sogenannte Konaks – kleine Straßenmärkte und Stände, die türkischen Kaffee verkaufen. Der Name dieses historischen Stadtteils von Eskişehir bedeutet Holzmarkt und verweist damit auf seine geschichtliche Rolle. Der Ort war früher ein großer Umschlagplatz für Holz. Dieses landete nicht nur in den heimischen Öfen, sondern diente lange Zeit auch als Baumaterial für die typischen ottomanischen Wohnhäuser. Dieser Geschichte fühlte sich das Architekturbüro von Kengo Kuma beim Design des neuen Odunpazari Modern Museum (OMM) verpflichtet.
Das Museum für Gegenwartskunst sollte eine Verbindung zur Geschichte des Ortes herstellen. „Holz ist ein wichtiger Teil des kulturellen Erbes der Stadt“, erklärt Yuki Ikeguchi, Projektleiterin und Partnerin bei Kengo Kuma and Associates. „Dass das Gebäude die Geschichte und das Gedächtnis seiner Umgebung widerspiegelt, stand von Anfang an im Zentrum unserer Überlegungen.“
Bindeglied zwischen Mensch und Kunst
Das Design orientiert sich sowohl an der klassischen Blockbauweise als auch an den ottomanischen Wohnhäusern, bei denen die oberen Stockwerke meist über das Erdgeschoss hinausragen. Die Architektin stapelte mehrere Kubaturen versetzt übereinander und ließ manche Gebäudeteile ähnlich auskragen. „Durch das Stapeln und Rotieren der Boxen wollte ich eine Verbindung zum einzigartigen Charakter der ottomanischen Häuser in der Nachbarschaft herstellen“, erklärt die Architektin.
Durch das Stapeln und Rotieren der Boxen wollte ich eine Verbindung zum einzigartigen Charakter der ottomanischen Häuser in der Nachbarschaft herstellen.
Yuki Ikeguchi, Projektleiterin und Partnerin bei Kengo Kuma and Associates
Das nicht-lineare Straßenbild des Viertels sollte sich außer- und innerhalb des Museums fortsetzen. „Die Idee hinter OMM war, die Architektur so einzusetzen, dass sie eine Verbindung zwischen den Menschen und der Kunst herstellt“, so Ikeguchi. Die Kunst selbst hat das Museum dem Geschäftsmann Erol Tabanca zu verdanken, der Kengo Kuma mit dem Museumsbau beauftragt hat. Darin sollte seine Privatsammlung von über 1.000 Werken der Moderne einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Rotation im Atrium
Durch die auf Abstand übereinander geschlichteten Holzbalken bekommt das Arrangement an Boxen eine gewisse Leichtigkeit. Sie machen die Fassade transparent und dienen an manchen Stellen zugleich als Bris Soleil. Die einzelnen Volumen ergeben zusammen eine Ausstellungsfläche von 4.500 Quadratmeter.
Dort, wo die Kubaturen aufeinander treffen, befindet sich ein zentrales Atrium, das Herzstück des Museums. Über seine Oberlichte fällt Tageslicht in alle drei Stockwerke. Die stilisierte Blockbauweise von außen wiederholt sich hier und fasst das Atrium in einen Holzrahmen. Die Rotation der Baukörper wiederholt sich hier im Inneren, indem die geschlichteten Holzbalken nach oben hin eine leichte Drehung vollziehen. Der Blick vom Erdgeschoss zur Oberlichte des Atriums offenbart diese Bewegung.
Die Holzbau-Architekten
Dem Architekturbüro Kengo Kuma ist das Bauen mit Holz nicht fremd. Ob bei ihrem Selbstversorger-Mekka Nest we Grow, ihrem schraubenfreien Botanical Pavilion oder ihrer Vision einer runden Bibliothek in Südkorea – die Architekten aus Japan setzen vermehrt auf den CO₂-freundlichen Baustoff. 2016 wurden sie mit dem “Sustainable Architecture” Global Award ausgezeichnet.
Es war stets ein großes Anliegen unseres Büros mit Holz zu bauen. Es verleiht dem Raum Komfort und Wärme und ist umweltfreundlich.
Yuki Ikeguchi, Projektleiterin und Partnerin bei Kengo Kuma and Associates
Das Odunpazari Modern Museum schließt an diese Tradition an, nachdem der Baustoff Holz hier auch eine lange Tradition hat. „Es war stets ein großes Anliegen unseres Büros mit Holz zu bauen. Es verleiht dem Raum Komfort und Wärme und ist umweltfreundlich“, erklärt die Architektin den Ansatz.
Neben einem Museum für Meerschaumpfeifen, die in Eskişehir traditionell hergestellt werden, hat Odunpazari nun auch ein Zentrum für moderne Kunst. Ein neues kulturelles und wirtschaftliches Potenzial, das die Region nun ausschöpfen kann. Ganz so, wie andere prominente Kunstbauten es in der Vergangenheit vorgemacht haben.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: NAARO