Oase der Superlative
Die Architekten des Studio Grimshaw wollen im Sultanat Oman mit einem „Botanischen Garten“ buchstäblich Wurzeln schlagen. Dieser soll unter Aufbietung aller Möglichkeiten die kahle Wüste in eine blühende Oase verwandeln.
Reist man in das geheimnisvolle Land im Nahen Osten, muss man auf dessen unterschiedliche Regionen gut vorbereitet sein! Sie wechseln schneller, als man es erwarten würde. Neben den goldgelben Sandkörnchen, die sich zu pyramidenhohen Dünen auftürmen, sticht auf einmal das Hadschar-Gebirge mit seinem schroffen Felsmassiv ins Auge. Ja, der Oman hat viele unterschiedliche Facetten und eine dementsprechend bunte Flora.
Eben diese Vielfalt soll nun an einem einzigen Ort, etwas außerhalb der Hauptstadt Muscat, künstlich auf einen Flecken Erde konzentriert werden …
Am Fuße des Hadschar-Gebirges, eingebettet in die felsige Landschaft, soll der „Botanische Garten Omans“ entstehen. Mit einer unglaublichen Fläche von 420 Hektar soll diese größte Oase der Arabischen Halbinsel schon bald alle möglichen wachsenden Lebensarten beherbergen.
Meeresboden an Land
Doch es ist nicht nur die unheimliche Ausdehnung und der Zweck, die den geplanten Garten zu etwas Besonderem machen. Der zukünftige Standort ist außerdem einer von wenigen Orten dieses Planeten, an dem man noch heute die Spuren des urzeitlichen Meeresbodens mit freiem Auge erkennen kann. Ab einer Seehöhe von 100 Metern stößt man auf eine Art Meeresboden auf dem Festland.
Eben diese Tatsache machten sich die Architekten des Studio Grimshaw bei der Planung des gigantischen Garten zunutze. Ihr Entwurft nimmt in Sachen Gebäudeform, Gestalt und Materialien Anleihen an dieser natürlichen und buchstäblich steinalten Geschichte der Umgebung.
Oase der Natur
So wurden ganz konkret die Abhängigkeiten zu den besonderen geologischen und historischen Bedingungen und der natürlichen Topographie als Chance erkannt. Das bedeutet: Die bestehenden natürlichen Bergrücken und Schluchten, die das Gelände durchziehen, wurden in das Gesamtkonzept von vornherein integriert.
So soll der Eindruck einer Verschmelzung von Gewächshäusern und Umgebung entstehen. Alles unter dem Motto: Hier ist die Natur zuhause.
Oase als Aushängeschild
Sinn des spektakulären Neubaus ist es jedoch nur bedingt, Arten zu erhalten. Vielmehr will man dem Oman ein neues Aushängeschild verleihen. Eines, das auch international für Aufsehen sorgt. „Diese Oase soll Besuchern eine Reise durch die beeindruckende Flora und Fauna des Omans an nur einem Ort ermöglichen“, wird schon vor der geplanten Eröffnung Ende 2020 getrommelt. Das bedeutet konkret: Man wird hier ausschließlich einheimische Arten zu sehen bekommen. Doch das ist auch objektiv betrachtet außergewöhnlich genug. Viele davon sind nirgendwo sonst auf der Welt zu finden.
Neuer Sultan, neues Glück
Eben aus diesem Grund sei der Schutz der unglaublichen Pflanzenvielfalt dem neuen Sultan Haitham ibn Tariq eben so wichtig, sagt derselbe. Also müsse dieser spektakuläre Bau her, dessen Architektur nicht nur auf die Umgebung, in die man ihn pflanzen möchte, abgestimmt ist. Vielmehr soll sein Erscheinungsbild auch dem Erhalt der darin bald heimischen Pflanzenwelt dienlich sein, wird seitens der Architekten betont.
Wie das genau passieren soll, bleibt aktuell zwar noch ein Rätsel, aber zumindest ein paar Details gab man inzwischen preis. Um den Botanischen Garten herum sollen alle bekannten, charakteristischen omanischen Pflanzenarten angesiedelt werden.
Zwei abgekapselte Welten
Dazu werden acht unterschiedliche Lebensräume, die im Oman verteilt tatsächlich vorkommen, an Ort und Stelle nachgebaut – von der trockenen Wüste bis hin zu den reichen Monsun-Nebelwäldern. Zwei dieser künstlichen Lebenswelten werden gar in überdachten und so genannten „Biomen“ untergebracht werden.
Diese „Überlebensräume“ sind in Wahrheit zwei völlig autarke Kapseln. In diesen wird es möglich sein, das gesamte Klima von einzigartigen aber andernorts gelagerten Lebensräumen zu imitieren.
Nachbau der Regionen
Auf das jeweilige Innenleben soll wiederum die optische Erscheinung des Komplexes einzahlen. Die Glaseinfassungen des nördlichen Bioms stellt die vielfältigen Lebensräume der nördlichen Berge nach.
Das südliche Biom wird von einem grünen aber künstlichen Waldareal umschlossen. Dieses findet sich im Original eigentlich in der südlich gelegenen Dhofar-Region.
Um den Schutz der verschiedenen Pflanzen zu gewährleisten, haben die Architekten auf die modernen Möglichkeiten zur passiven und aktiven Beschattung zurückgegriffen. So wurden an relevanten Positionen für Besucher unsichtbare Kühl- und Bewässerungssysteme integriert, die selbst den sensibelsten Pflanzen das Gedeihen unter der glühenden Wüstensonne ermöglichen sollen.
Stichwort Wasser: Dieses ist in einer trockenen Region wie dieser freilich von besonders hohem Wert. Und so entwickelte man für dieses Megaprojekt eine eigene Wasserstrategie. Man will mit dem flüssigen Gold möglichst nachhaltig haushalten.
Kein Tropfen wird verschwendet
Das gesamte Wasser für die Bewässerung und die ebenfalls integrierten Wasserspiele wird also aus einer so genannten TSE-Versorgungsanlage (Treated Sewage Effluent) geliefert. Das bedeutet, dass bereits benutztes Wasser noch vor Ort so aufbereitet wird, dass es danach wieder Trinkwasserqualität erreicht. „Damit wird sichergestellt, dass kein einziger Tropfen Wasser verschwendet wird“, betont man von offizieller Stelle.
Mit diesem Konzept gilt der „Oman Botanic Garden“ als weltweit einzigartig und von globaler Bedeutung, wie Architekt Keith Brewis von Grimshaw stolz verkündet. Zitat: „Es ist ein erstaunliches Projekt, das auf vielen Ebenen von kultureller und ökologischer Bedeutungen ist. Sein Umfang und seine Vielfalt sind weltweit einmalig.“
Hallo, Klimawandel?
Das ist freilich beachtlich. Aber inwiefern dieses Konzept in Zeiten von Klimawandel, Umweltkatastrophen und Wasserknappheit passt, sollte zumindest außerhalb des Omans hinterfragt werden.
Sicher jedenfalls ist, es wird auf unserem Planeten keinen vergleichbaren Botanischen Garten geben. Keinen, der an einem Ort so viele unterschiedliche Orte simuliert.
Außer eben unseren Planeten selbst.
Text: Sandra Rainer
Bilder: Grimshaw Architects