Das Schlüsselloch in die Zukunft
Über den von BIG entwickelten O-Tower in China weiß man noch nicht so wirklich viel. Aber jedenfalls genug, um zu wissen, dass er als Musterbeispiel für die Städte von morgen gelten wird.
Wir schreiben das Jahr 2050. Die Weltbevölkerung kratzt an der Zehn-Milliarden-Menschen-Marke. 70 Prozent davon leben in Städten. Mit sieben Milliarden also fast so viele, wie aktuell auf dem gesamten Planeten. Das bedeutet: es ist eng. Aber nicht bloß aus Platzgründen. Ressourcen wie Wasser und Strom müssen bewusst genutzt werden. Am besten mehrfach oder sparsam.
Keine Fiktion: Smart Cities
Damit das auch wirklich gelingt, leben die Menschen in gigantischen Wohnhäusern, deren Infrastrukturen von intelligenten Computer-Systemen gesteuert werden. Sie leben in so genannten Smart Cities.
Was in unseren Ohren wie blanke Fiktion aus einem Hollywood-Blockbuster klingen mag, ist in China längst Realität. Hier spricht man allerdings von so genannten „Future Cities“. Und versteht darunter Städte, die mit modernster Technologie ausgestattet, das urbane Leben auf allen erdenklichen Ebenen verbessern und vereinfachen.
Städte als gigantische Datensammler
Was sie alle eint, ist das Sammeln von Daten in großem Stil. Mit diesen will man langfristig urbane Probleme wie Verkehrsstaus oder sogar Kriminalität besser in den Griff bekommen. Ein Unterfangen, das im Reich der Mitte auch wirklich groß gedacht wird: 500 solcher „Future Cities“ sind bereits in Planung oder sogar schon in Bau.
Eine davon trägt den Namen „Future Sci-Tech City“. Sie soll in der Stadt Hangzhou hochgezogen werden. Dementsprechend intensiv wird an diesem zukünftigen Tech-Komplex bereits getüftelt. Mit dem Shoppingriesen Alibaba wurde auch schon ein spektakulärer Partner an Bord geholt. Und mit dem international extrem gehypten Architekturbüro BIG nun der nächste.
O-Tower als Tor in die Zukunft
Konkret wird die Bjarke Ingels Group die neue Forschungs- und Entwicklungszentrale von Chinas Smartphone-Giganten OPPO bauen. Ein gigantischer Tower, der außerdem auch als Tor zur Zukunftsstadt aus der Ferne erkennbar sein soll. Der so genannte O-Tower. Und tatsächlich bleibt einem in Anbetracht der präsentierten Renderings der Mund vor Staunen oooffen stehen: Die Form des Wolkenkratzer ist wahrlich überraschend. Wie ein überdimensionales in die Höhe gezogenes O reckt sich der Bau gen Himmel.
BIG beschreibt dieses hunderte Meter hohe O als eine Art Unendlichkeitsschleife. Sie soll „den Boden mit dem Himmel in einer kontinuierlichen Bahn der Zusammenarbeit verbinden“, heißt es offiziell. Laut dem Studio stimmt diese spezifische Formgebung mit der Markenidentität von OPPO überein.
Oval mit besonderen Vorteilen
Vor allem aber würde das Oval auch aus baulicher Sicht überraschende Vorteile bringen. Es werden plötzlich eine Vielzahl unterschiedlicher Grundrissgrößen möglich. Ein Effekt, der dem Unternehmen eine ungeahnt große Nutzungsflexibilität verschafft.
Die Sache geht aber noch weiter. Durch die aus der ungewöhnlichen Formgebung resultierende Absenkung der Fassade werden die Büros vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt. Gleichzeitig fällt aber genau so viel Licht im richtigen Winkel ein, um ideale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Selbst die Belüftung des O-Towers sei durch seine Form leichter und mit geringerem Energieaufwand verbunden, lassen die Verantwortlichen von BIG stolz wissen.
Der echte Clou liegt aber in der Außenhülle selbst versteckt. Der gesamte Bau wird nämlich von einer sogenannten Lamellenfassade ummantelt sein. Das bedeutet, dass lauter kleine Luftschlitze, die allesamt individuell justierbar sind, das dahinterliegende Gebäude vor übermäßiger Hitzegewinnung durch Sonneneinstrahlung bewahren werden. Laut BIG richten sich diese Lamellen automatisch je nach Sonneneinstrahlungswinkel aus, um eine konstant ideale Belüftung möglich zu machen.
Sensorik und Software im Doppelpass
Klar, das geht nur dank eines hochkomplexen Zusammenspiels aus modernsters Sensorik und intelligenten Softwaresystemen. Das Ergebnis sei jedenfalls bahnbrechend, so BIG-Gründer Bjarke Ingels höchstpersönlich: Der Energieverbrauch des gesamtem O-Towers würde durch diese technische Meisterleistung um 52 Prozent sinken.
„Wir haben versucht, uns die zukünftige Arbeitsumgebung von OPPO so vorzustellen, dass sie in dreifacher Hinsicht nachhaltig ist: ökonomisch, ökologisch und sozial“, sagt Bjarke Ingels. Und Partner Brian Yang fügt an: „Es wird eine architektonische Manifestation eines OPPO-Produkts sein: mühelos elegant, während es die Qualität des menschlichen Lebens in der Stadt erhöht“. Damit bezieht er sich dabei zusätzlich auf das Areal, auf dem der O-Tower geplant ist: neben einem natürlichen See und einem 10.000 Quadratmeter großen Park.
Somit liegt auch auf der Hand, dass der Zugang zum O-Tower nicht ausschließlich den OPPO-Mitarbeitern vorbehalten sein wird. Auf den unteren drei Etagen des Gebäudes sollen Angebote für die Öffentlichkeit zu finden sein. Ausstellungsflächen, eine Kantine, ein Inkubator für externe Workshops sowie Konferenzbereiche.
O-Tower als vertikale Parkanlage
Die darüber liegenden Büroetagen zeichnen sich durch ihre enorme Raumhöhe und ihre visuellen sowie physischen Verbindungen in Form von biophilen Terrassen zur Fassade des Schrägdaches aus. „Diese Zwischenräume, die von außen sichtbar sind, bringen menschliche Interaktion hervor und beleben die Fassaden“, heißt es weiter. Hier würden die Parks zu Füßen des O-Towers in der Höhe weitergeführt werden.
Was das größte O der Welt am Ende kosten wird, steht übrigens noch genau so in den Sternen, wie dessen Baubeginn. „Das Projekt ist noch in einer frühen Phase“, heißt es auf der Website von BIG. Die vorgelegten optischen Kostproben legen jedoch nahe, dass die Sache eine kostspielige sein wird. Jedenfalls jedoch eine, die neue Maßstäbe für den Turmbau der Zukunft setzen wird. O-hne Zweifel.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Bjarke Ingels Group