Nordic by nature
Minimaler Impact auf die Umwelt, maximaler Kontakt zur Natur – dieser Spagat gelingt dem Atelier Architecture + Design mit seinen Öko-Holzhütten. Im Norsk Retreat werden sie bald ein zauberhaftes Seeufer in Norwegen erschließen.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das gilt auch für architektonische Konzepte. Insbesondere für solche, die ästhetisch und ökologisch viel zu überzeugend sind, um auf Nimmer-Wiederbauen in der Schublade ihrer Planerinnen und Planer zu verschwinden. So etwa ein Entwurf vom Atelier Architecture + Design Ltd. (AA+D), der den Projekttitel Norsk Retreat trägt.
Dann eben Norwegen
„Wir haben die mietbaren Holzhütten, die ein naturnahes Erlebnis mit nachhaltigen Materialien und Technologien bieten, ursprünglich für eine Spa-Gruppe im Vereinigten Königreich entworfen“, erzählt Steve Melvin, Gründer des preisgekrönten AA+D-Büros mit Sitz im englischen Buckinghamshire. Jetzt sieht es jedoch so aus, als würden die kleinen Chalets deutlich weiter im Nordosten umgesetzt werden als geplant – und noch dazu in einem anderen Land. Nämlich in der Nähe von Drammen in Norwegen.
Wer Drammen hört, wird im ersten Moment vielleicht verwundert sein. Denn lange war die Stadt am westlichen Arm des Oslofords vor allem für graue Industriebauten und als Stauhochburg bekannt. Nicht gerade ein Ort, an dem man sich also ein Öko-Retreat vorstellen kann. Doch die City ist inzwischen ein Vorzeigebeispiel für gelungene, nachhaltige Stadtentwicklung, gilt als grün, fortschrittlich und modern. Der einst schmutzige Fjord ist heute sauber und von dichten Wäldern sowie einem der üppigsten Anbaugebiete Ostnorwegens umgeben. Und die zerklüftete, von Seen und Flüssen durchzogene Region vor den Toren der Kommune präsentiert sich sowieso äußerst malerisch und unberührt.
In Hoch auf die Stelzen-Architektur
Genau dort sollen die Hütten nun eines der viele Gewässerufer säumen. Eine Adaption der ursprünglichen UK-Spa-Pläne wird für den neuen Baugrund nicht nötig sein. Denn das Design – ein einfaches Modul – „kann an verschiedene Standortbedingungen angepasst werden, ob nass oder trocken, flach oder uneben“, so die AA+D-Architekten. „Dank einer Stelzenkonstruktion berührt die Struktur den Boden nur leicht.“
So ruht die Vorderseiten der Hütten auf einem System von Holz- und Stahlverbindungen, die die Lasten verteilen, während die Rückseiten auf felsigen Vorsprüngen stehen, wo immer es das Gelände erlaubt. Durch den Bau in den Wintermonaten – wenn der Boden gefroren ist und ein Großteil der Flora und Fauna ruht –, wird die Umweltbelastung noch zusätzlich verringert.
Die einfache Form der Hütten spiegelt die umliegenden Gipfel und die Formen des Nadelwaldes am See wider, dessen Konturen die Anordnung der Öko-Cabins folgt. Sie sind zum Wasser hin ausgerichtet und halten – wie in Norwegen vorgeschrieben – 100 Meter Abstand zum Ufer. Die Gebäude sind also so konzipiert, dass sie die lokale Landschaft aufwerten und die Umwelt dabei nur minimal beeinträchtigen.
Nebel, Nordlicht, Norsk Retreat
Maximal ist hingegen das Naturerlebnis der zukünftigen Gäste. Schon die Anfahrt ist ein Abenteuer, führt sie doch durch eine enge Schlucht. Je nach Wasserstand erfordert sie zudem wilde Flussüberquerungen. Hat man sie gemeistert, findet man sich in einer ruhigen, von hohen Kiefern gesäumten Seenlandschaft wieder. Aufsteigende Nebel und das Nordlicht tragen das Ihre zum Zauber des abgelegenen Ortes bei.
Ein Zauber, den der Bauherr des Norsk Retreat nur zu gerne mit Besuchern teilen möchte: „Im 21. Jahrhundert zwingen die sozialen Medien und die Technologie die Menschen dazu, sich abzukapseln, und dieser Rückzugsort bietet genau das Gegenteil. Hier können sie sich wieder mit der Natur verbinden, ohne ihr zu schaden.“
Zum Schutz von Umwelt und Klima trägt auch der „fabric first“-Ansatz bei: Eine luftdichte Konstruktion nach Passivhaus-Standard gewährleistet eine optimale Energieleistung und einen niedrigen CO2-Fußabdruck. Letzteres gilt auch für die Baumaterialien. Das Holz für den Rahmenbau und die Verkleidung ist leicht zu transportieren und zu montieren und stammt aus heimischen Quellen. Dach und Wände bestehen aus einer einzigartigen CLT-Kassette (cross-laminated timber) namens „Tewo-Thermowood“. „Es handelt sich dabei um ein Sandwich: Holz außen und ISO-Dämmung innen, mit Holzdübelverbindungen. Das Produkt wird 25 Kilometer vom Norsk Retreat entfernt hergestellt“, so Steve Melvin. CLT ist derzeit bei vielen Projekten im Einsatz, über einige hat das UBM-Magazin bereits berichtet.
Strom kommt von Strömung
Der Strom für die Hütten wird durch einen Mikro-Wasserkraftgenerator erzeugt, der den bestehenden Damm am oberen Seeende nutzt. Für die Beheizung sorgt eine Erdwärmepumpe, die mit Hilfe von Spulen die thermische Masse des Seebodens zurückgewinnt. Eine Biokläranlage recycelt außerdem die Abwässer. Und das Oberflächenwasser wird durch „Regengärten“, die die Hütten umgeben, gefiltert und anschließend wieder in den Wasserkreislauf eingeleitet.
Wie die Raumaufteilung und das Interior-Design der sechs geplanten und unterschiedlich großen Hütten des Norsk Retreats aussehen werden, steht noch nicht fest. Die Renderings versprechen jedoch „Öko, aber oho“-Komfort. In den holzvertäfelten, lichtdurchfluteten Innenräumen, die sich über große Fensterfronten zu den Terrassen mit Seeblick öffnen, haben ein luxuriöses Doppelbett und in Wohnbereich mit Kamin sicher Platz. Ein schickes Badezimmer dürfte wohl selbstverständlich sein. Und ein Küchenbereich ist ob der abgelegenen Destination zur Selbstversorgung wohl auch angedacht. Einen Foodstore wird es auf dem Gelände jedenfalls geben.
Natürlich verbunden
Eines ist auch schon jetzt sehr klar: Wer später einmal im Norsk Retreat eincheckt, findet das, was der „Pioneer-Nature“-Ansatz von AA+D und der Bauherr als Ziel verfolgen: eine Verbindung zur Natur. Und im besten Fall auch wieder eine zu sich selbst.
Und wer weiß: Vielleicht wird der Entwurf ja auch noch ein drittes, viertes oder fünftes Mal aus der Schublade geholt. Schöne Landschaften, die die Holzhütten für Übernachtungsgäste ökologisch vorbildlich erschließen könnten, gibt es ja zum Glück noch ein paar …
Text: Daniela Schuster
Bilder: AA+D & Atelier Replica