Der Raum in Bewegung
Mit ihrem zirkulären Design für den Mixed-Use-Komplex Nishi in Canberra haben die Architekten von March Studio eine einzigartige Identität geschaffen. Tausende von recycelten Holzlatten lenken den Blick und erwecken den Eindruck von Bewegung.
Design als form- und funktionsgebende Disziplin allein ist heute zu wenig. Anstatt in bislang üblichen linearen Produktionsabläufen denken Designer jetzt in Lebenszyklen, sprich in möglichst geschlossenen Kreisläufen. Dabei stützen sie sich in ihren Entwurfsprozessen immer öfter auf die Wiederverwendung von Baumaterialien aus zweiter Hand. Dass das Recycling-Denken im Design dem qualitativen Endergebnis keinen Abbruch tut, haben schon viele Designer unter Beweis gestellt.
Ein zirkuläres Raumkonzept
Ein eindrucksvolles Beispiel für ein zirkuläres Raumkonzept zeigt das australische Architektur- und Designbüro March Studio mit seinem Projekt The Grand Stair. Für den Mixed-Use-Komplex Nishi in Canberra gestalteten sie die Lobby, die über eine große Treppe zur Bar und Rezeption des Hotels führt. Dabei sollten sie einen möglichst fließenden Übergang vom Gewerbe- in den Wohnbereich schaffen.
Die wiederverwendeten Holzelemente lassen die Grenzen verschwimmen und lenken zugleich den Blick und die Bewegung.
March Studio, Architektur- und Designbüro
Tausende von recycelten Holzlatten unterschiedlicher Größe und Länge verbinden die Räume und Ebenen miteinander und schaffen eine einzigartige Identität. „Die wiederverwendeten Holzelemente lassen die Grenzen verschwimmen und lenken zugleich den Blick und die Bewegung“, wie die Architekten erklären.
Suggerierte Bewegung
Während das recycelte Holz in den Treppen selbst zu einem festen Konglomerat verbunden ist, bildet es im Raum darüber einen losgelösten, gerichteten Strom, der je nach Perspektive die unterschiedlichsten Ansichten erzeugt. Es wirkt, als wären die Bretter in Bewegung und der Anblick in Wahrheit nur eine unscharfe Momentaufnahme.
Die Rauminstallation filtert das Licht und schafft je nach Tageszeit unterschiedliche Stimmungen. „Verpixelte, krakelige Schatten werden auf den Boden und an die blanken Wände geworfen“, so die Architekten über das kreierte Lichtspiel. Die einzelnen Holzelemente sind im Grunde einfach der Länge nach übereinander gestapelt – mal mit mehr, mal mit weniger Abstand zueinander.
Digitale Bauplanung für den Re-Use
Dass dahinter sehr wohl ein System steckt, belegen die Ansichten des digitalen Zwillings. Nachdem jedes einzelne Brett zuvor digital erfasst und katalogisiert wurde, konnten die Architekten das Material ihrem Design entsprechend zuordnen. Das System lieferte dazu die Länge und Position der einzelnen Metallstreben, an denen die Latten befestigt sind.
Die Wände in der Hotellobby – ebenso wie die Sitze, Bänke und Tresen – sind ein Versuch, das Handgefertigte in die Strenge und Makellosigkeit des Gebäudes zu bringen.
March Studio, Architektur- und Designbüro
Sehr oft laufen Re-Use-Projekte über ein digitales System, das den Entwurf und die Bauphase enorm vereinfacht. Auch beim preisgekrönten Projekt Redfox Commons in Portland, Oregon, ließ das Architekturbüro Lever Architecture rückgebautes Holz katalogisieren und zwischenlagern, um es später wieder als Baumaterial einzusetzen.
Beton und Holz im modularen Bausystem
Ein ähnliches Stapelsystem haben die Architekten in der Bar und Lobby des Hotels angewandt, nur mit anderen Materialien. Hier sind es Brettschichtholzträger und vorgefertigte Betonbalken, die überlappend gestapelt sind und so eine verwobene Struktur bilden. Eine Inneneinrichtung nach dem Baukastensystem, das die Designer je nach Bedarf und Situation vor Ort erweiterten, öffneten oder aufbrachen.
Daraus ergeben sich funktionale Möbel wie Sitzelemente, Raumteiler, Regale sowie ein massiver Kamin. „Die Wände in der Hotellobby – ebenso wie die Sitze, Bänke und Tresen – sind ein Versuch, das Handgefertigte in die Strenge und Makellosigkeit des Gebäudes zu bringen.“
Der Wohnblock mit den zwei Hotelgeschossen verfügt über einen zentralen Innenhof, der über Aussparungen in der Betondecke auch Tageslicht in die Lobby bringt. Im gewerblichen Bereich des Komplexes befinden sich Büros, öffentliche Einrichtungen, ein Kino und Cafés.
Mit The Grand Stair lieferten die Architekten von March Studio eine Installation, die einen doppelten Wert schafft: Zum einen sorgt sie dafür, dass ein Zwischenraum künstlerisch und atmosphärisch erschlossen wird und als Bindeglied im räumlichen Gefüge fungiert. Zum anderen, dass das im wiederverwendeten Bauholz gespeicherte CO₂ für weitere Jahrzehnte gebunden bleibt und nicht frühzeitig in die Atmosphäre entweicht.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: John Gollings, Rodney Eggleston, March Studios