Urban Farming für Fortgeschrittene
In einem kommunalen Holzbau im japanischen Hokkaido können Bewohner ihre Lebensmittel selbst herstellen und gemeinsam an der offenen Feuerstelle verspeisen. Nest we Grow ist ein innovatives Mekka für die postindustrielle Selbstversorger-Gesellschaft.
Dass sich immer mehr Menschen zu Einkaufsgemeinschaften für regionale Lebensmittel zusammenschließen, ist ein Trend, der in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Zugleich wollen auch immer mehr Städter ihr eigenes Gemüse anbauen. Hinter diesen Trends steckt der Wunsch, über die Herkunft der eigenen Lebensmittel besser Bescheid zu wissen und die nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Für diesen Gegenentwurf zur immer globaler werdenden Lebensmittelproduktion haben Studenten der University of California in Berkeley mit dem Büro von Star-Architekt Kengo Kuma ein eigenes architektonisches Konzept geschaffen. Es trägt den Namen Nest we Grow und verbindet kalifornisches Bau-Knowhow mit japanischer Esskultur.
Eine Idee von fünf Studenten
Das Projekt begann mit einem internationalen Uni-Wettbewerb im Bereich Bau-Design, an dem fünf Studenten des College of Environmental Design teilnahmen. Bei ihrem eingereichten Beitrag handelt es sich um ein öffentliches Gebäude mit zum Teil offener Fassade. Geplant wurde es für die Stadt Taiki auf der japanischen Halbinsel Hokkaido. Hier sollten die Bewohner des Ortes zusammenkommen, um Lebensmittel anzubauen, zu trocknen, zu lagern, zu verkochen und schließlich auch gemeinsam zu essen.
Die Studenten konnten mit ihrem Entwurf die LIXIL International University Architectural Competition für sich entscheiden. Damit war klar, Nest we Grow würde auch tatsächlich gebaut werden. Für die Umsetzung arbeitete das Team sehr eng mit dem Architekten Takuma Saikawa von Kengo Kuma and Associates zusammen, ebenso wie mit Masato Araya von Oak Stuctural Design Office. Mit deren Expertise konnte das Team sein experimentelles Projekt innerhalb von sechs Monaten in die Realität umsetzen.
Ein geschlossener Kreislauf
Das Gebäude ist als intelligentes Farming House erdacht, in dem für jede Phase der Lebensmittelherstellung die idealen klimatischen Bedingungen herrschen. Die transparenten Wellplatten der Fassade lassen genug Tageslicht für die Pflanzen ins Innere. Gleichzeitig sorgt die Sonne in den kälteren Monaten für warme Temperaturen. Die Wände an der Basis des Gebäudes dienen als Schutz vor den winterlichen Nordwestwinden.
Im Sommer lassen sich die Schiebepaneele in der Fassade und im Dach öffnen, sodass die Luft im Inneren zirkulieren kann. Die Bioabfälle werden vor Ort kompostiert, und liefern später wieder den Humus für den Anbau. Durch eine Öffnung im Dach rinnt das Regenwasser direkt in eine Zisterne und bei Bedarf weiter zur Bewässerung des angebauten Gemüses. Ein geschlossener, landwirtschaftlicher Kreislauf, in dem Lebensmittel weder transportiert noch abgepackt werden müssen.
Stampflehm für die Welt
Dieser Kreislauf der Lebensmittel vom Anbau bis zum Verzehr und der Kompostierung findet seinen Niederschlag im architektonischen Konzept, das auf erneuerbaren Materialien basiert. Für die massiven Wände entschieden sich die Studenten für Stampflehm, ein Material, das in Kalifornien bereits vielfach eingesetzt wird. Zudem holten sie sich Anleihen bei der Strohkonstruktion, bei der Strohballen wie Ziegel verbaut werden.
Mit diesen Ideen wollten wir ein Gebäude schaffen, das erneuerbare Baumaterialien in eine Gegend von Japan brachte, die davon profitieren könnte.
Studenten, College of Environmental Design, University of California, Berkeley
„Mit diesen Ideen wollten wir ein Gebäude schaffen, das erneuerbare Baumaterialien in eine Gegend von Japan brachte, die davon profitieren könnte“, beschreiben die Studenten ihren idealistischen Ansatz, der Globalisierung des nachhaltigen Bauens etwas auf die Sprünge zu helfen. Bei der konkreten Umsetzung wurden sie sich schnell bewusst, „was für eine große Herausforderung es ist, eine transnationale Technologie in einer neuen Umgebung anzuwenden“, wie sie sagen.
Auch beim Holzbau setzten sie auf eine amerikanische Bautechnik, die lange Hölzer verwendet, während in Japan kleinere Stücke zu größeren Trägern zusammengesetzt werden. Hier galt es eine Lösung zu finden, die dem Entwurf entsprach und dabei das ausschöpfte, was der japanische Materialmarkt hergab.
Die postindustrielle Selbstversorger-Gesellschaft
In der Mitte des Nestes befindet sich ein gemeinschaftlicher Tee-Platz mit einer eingelassenen Feuerstelle. Hier kommen die Menschen zusammen, um das gemeinsam erzeugte Essen zu genießen – geschmacklich und visuell. Denn über ihren Köpfen hängen Fische, Kräuter und Gemüse zum Trocknen. „Wie ein Nahrungsmittelwald, der über der Landform schwebt“, beschreiben es die Studenten.
Nest we Grow denkt die Konzepte Foodcoop und Community Gardening noch einen Schritt weiter. Zwischen der Gemeinschaft und dem Zyklus der Lebensmittel entsteht eine enge Symbiose. Die moderne Architektur schafft hier eine nachhaltige und kreislauffähige Struktur, die ein Stück indigene Lebensweise transportiert. Ein perfekter Ort also für die postindustrielle Selbstversorger-Gesellschaft.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Shinkenchiku Sha, Kengo Kuma and Associates