Moderne Baukunst für urzeitliche Geschichte
Das Naturalis Biodiversity Center im niederländischen Leiden beherbergt eine der größten naturkundlichen Sammlungen der Welt. Nun wurde es vom Rotterdamer Architekturbüro Neutelings-Riedijk spektakulär erweitert. Die Inspirationen dafür liefert die Natur.
Das Naturalis ist ein Juwel. Nicht nur, weil das nationale Forschungsinstitut für Biodiversität über eine der größten naturkundlichen Sammlungen der Welt verfügt. Im Biodiversity Center wird auch mit modernster Technik gearbeitet: Das Knochengerüst eines vor rund 67 Millionen Jahren verstorbenen Triceratops zum Beispiel wurde mittels 3-D-Druck vervollständigt – rechtzeitig zur Eröffnung des neu gestalteten Naturalis-Komplexes. Dort kann man das liebevoll „Dirk“ genannte Urzeit-Gerippe nun seit 30. August bestaunen. In einem neuen Zuhause, das seinerseits fasziniert.
Platzmangel, innovativ gelöst
Das Rotterdamer Architekturbüro Neutelings-Riedijk hat deutlich mehr getan, als dem Naturalis Biodiversity Center einen neuen Look zu verpassen. Eine Erweiterung des 1998 in Leiden errichteten Museums war dringend nötig. Ursprünglich für 150.000 Besucher pro Jahr eingerichtet, wurde es dem Ansturm von zuletzt bis zu 410.000 längst nicht mehr gerecht. Auch die im Center tätigen Forscher brauchten mehr Platz. Und es galt, inzwischen immerhin 42 Millionen Objekte zu verwahren.
Jetzt hat der unhaltbare Zustand ein Ende. In zwei Jahren Bauzeit entstand rund um den Sammlungsturm ein mehr als würdiges Projekt. Der erweiternde Neubau für Museum und Labor hat das Naturalis zukunftsfit gemacht. Moderne Baukunst, vom Feinsten: Mit aufs Thema zugeschnittener Architektur, großzügigem Forschungsbereich und stattlicher Ausstellungsfläche.
Architektur eint Zukunft und Geschichte
Durch das achtsame Konzept des renommierten Architekturstudios Neutelings-Riedijk konnten die Trakte zudem so verbunden werden, dass das gesamte Naturalis Biodiversity Center nun unter einem Dach residiert. Eine elegante, innovativ-zweckmäßige Verbindung von Alt und Neu.
Natur inspiriert Baukunst
Inspiration holten sich die renommierten Architekten aus der Natur. „Die Vielfalt der Travertine hat über Äonen von Jahren natürliche Kristalle entwickelt, die wunderschön glitzern. Beim Schnitt offenbart der Stein seine Farbe und seinen natürlichen Charakter, der gut zum Naturalis passt“, erklärt Michiel Riedijk zur mit rotem Naturstein geschmückten Museumsfassade.
Ein weiteres, außergewöhnliches Detail ist die neue „gläserne Krone“. Die zentrale Halle mit ihrem durchbrochenen Dach vereint den Altbestand mit dem Zubau. In diesem Atrium kommen alle Flügel und ihre unterschiedlichen Funktionen zusammen: Die Sammlung, die Forschungslabore und das Museum. Und, so Riedijk: „Hier können Wissenschaftler, Mitarbeiter, Schulen und Familien aufeinandertreffen. Die Halle symbolisiert das neue Naturalis, mit seinem Fokus auf Verbundenheit und Transparenz“.
Konzept mit optimalem Lichteinfall
Das Design des Atriums besteht aus einer dreidimensionalen Betonstruktur. Ineinandergreifenden Molekülen nachempfunden, ergeben hier verbundene Ovale, Drei- und Sechsecke eine Art transparentes Netz. Durch die kreisförmigen Fenster wird die Halle stets mit so viel Tageslicht wie möglich geflutet.
Feinschliff aus der Modewelt
Teil des innovativen Konzepts sind Ideen der international gefragten Mode-Designerin Iris van Herpen. Auf Einladung der Architekten entwarf die 35-jährige Niederländerin einzigartige 3-D-Relief-Skulpturen für die Fassade des Museums. Auch van Herpen ließ sich dabei von natürlichen Formen inspirieren, die sich in der Sammlung des Hauses finden.
Mit Hilfe einer eigens für dieses Projekt entwickelten Technik wurden die Oberflächen fast seidenglatt geformt. Material, das an jenes der Kleider erinnert, die Fashion-Trendsetterin van Herpen sonst für Stars wie Lady Gaga, Cate Blanchett oder Beyonce designt. Insgesamt 263 Relief-Paneele zieren nun auf einer Gesamtlänge von mehr als einem Kilometer die Innen- und Außenseiten der Fassade.
Baukunst, Fashion, Erdgeschichte
Die Mode-Queen hat mit ihrer Arbeit für das Center in Leiden ihr erstes Architekturprojekt geschaffen. In wahrhaft außergewöhnlichem Umfeld: Die Erweiterung des alten, von Fons Verheijen geplanten Museums, bietet jetzt auf fünf Stockwerken ein modernes Ambiente für die gewaltige Vielfalt der naturkundlichen Sammlung.
Naturnahe Nachhaltigkeit
Auch auf Nachhaltigkeit wurde großer Wert gelegt. Das Naturalis verfügt über ein Erdwärmepumpensystem, nachhaltige Belüftung, Solarpaneele und begrünte Dachflächen. Energieeffiziente Klimaanlage und LED-Beleuchtung verstehen sich von selbst.
Der neue, aus vier rechteckigen Blöcken und dem 36 Meter hohen Atrium bestehende Komplex, beeindruckt schon von außen. Van Herpens Fossilien und urzeitlichen Steinformationen nachempfundene, weiße Paneele durchziehen den roten Stein wie zierliche Schmuckbänder.
Stylisches Ambiente für T. Rex „Trix“
Gleich nach dem Haupteingang, in der hohen Halle, lädt eine große Treppe zum Besuch der Ausstellungen. Und in der Dino-Galerie warten nun Triceratops „Dirk“, der skelettierte Tyrannosaurus rex „Trix“ und unzählige andere Zeugen früher Erdgeschichte auf Besucher – im nachhaltig gebauten, von modebewusster Hand mitgestalteten Gemäuer, das dem Naturalis Biodiversity Center wieder eine große Zukunft sichert.
Text: Elisabeth Schneyder
Fotos: ScagliolaBrakkee / Neutelings Riedijk Architects