Die La Brea Teergruben in Los Angeles gehören zu den bedeutendsten Fundstätten für Fossilien aus der Eiszeit. Für die Neugestaltung des Areals hat die New Yorker Architektin Xuechen Chen mit dem Museum of Uncertainty einen vielbeachteten Entwurf vorgelegt.

Los Angeles hat Pech. Und davon eine ganze Menge. Unglücklich ist man darüber aber nicht. Zwar wird der natürliche Asphalt, der in großen unterirdischen Vorkommen im Los-Angeles-Becken schlummert, nur noch selten als Brennstoff oder zum Abdichten genutzt. Jedoch hat der Bergteer die Metropole zu einer der reichhaltigsten Fossillagerstätten weltweit gemacht. Weshalb die Asphaltgruben im Hancock Park, die sogenannten La Brea Tar Pits, seit 2019 auch zum geologischen Kulturerbe gehören – gekürt von der International Union of Geological Sciences (IUGS).

Museum of Uncertainty, L.A., Park
Entwurf für das Museum of Uncertainty in L.A: Die Glasfronten verbinden innen und außen, Ausstellung und Forschung.

In der klebrigen Substanz ist ein vollständiges Ökosystem aus der Zeit vor 40.000 bis 10.000 Jahren überliefert. Bisher bargen Paläontologen vier Millionen Fossil-Exemplare von rund 600 verschiedenen Tier- und Pflanzenarten – von Pollen bis zur Prärieblume, vom Kaisermammut bis zur Kalifornischen Taschenmaus. „Tatsache ist, dass wir hier in L.A. eine unglaublich reiche Sammlung von Landtieren aus der Eiszeit haben, die beste der Welt“, sagt Dr. Lori Bettison-Varga, Präsidentin und Direktorin des Natural History Museums of Los Angeles County, das die Asphaltgruben verwaltet.

Neues Design für alte Knochen

Generationen von amerikanischen Kindern haben in den La Brea Tar Pits bereits die Skelette von Säbelzahnkatzen und Schattenwölfen oder die Stoßzähne von Mammuts bestaunt. Als die „Ice Age“-Trickfilme ins Kino kamen, verzeichnete das beliebte Ausflugsziel neue Besucherrekorde. Doch während die Fossilien in beeindruckendem Zustand sind, sind die Ausstellungsräume des Areals, das auch Teil einer aktiven Ausgrabungsstätte und paläontologische Forschungseinrichtung ist, ziemlich in die Jahre gekommen. 2018 schrieb man deshalb einen Wettbewerb aus. Das Ziel: ein Masterplans für die Neugestaltung des 13 Hektar großen Geländes und eine Erneuerung des bestehenden Museums.

Ausstellung, Fossilien, Museum of Uncertainty
Das Museum soll die Fossilienfunde zeigen, …

Museum of Uncertainty, Los Angeles, Skelette
… aber auch Einblicke in die Ausgrabungen gewähren.

Das spannende Projekt lockte Architekten und Designschaffende aus der ganzen Welt, ihre Ideen einzubringen. Darunter auch eine Abschlussklasse der renommierten Stuart Weitzman School of Design der University of Pennsylvania. Eine von deren Master-Studentinnen und -Studenten: Xuechen Chen. Die Gründerin von X.C Studio, einem Architektur- und Designbüro mit Sitz in New York City, legte mit dem Museum of Uncertainty einen innovativen konzeptionellen wie avantgardistischen Entwurf vor. Für ihn regnete es zahlreiche Preise, unter anderem den MUSE Design Award 2024 für „Architectural Design – Conceptual Category“.

Der Reiz des Unbekannten

Die Begründungen der Jurys lesen sich immer ähnlich: Xuechen Chen sei es gelungen, den Reiz der Teergruben einzufangen, der mit der Ungewissheit einhergeht, die jeder Ausgrabung innewohnt. So, wie erst die Forschung im Labor nach und nach die Geschichten enthülle, die sich hinter jedem fossilen Fund verbergen, reflektiere auch der Entwurf die Idee der Unsicherheit, des Unbekannten, des Überraschenden. Tatsächlich lassen wechselnde Perspektiven, überlappende Strukturen und eine dynamische Lichtgestaltung den Raum stetig neu erscheinen. Die Materialwahl – eine Kombination aus Beton, Glas und recyceltem Holz – betont das Spannungsfeld zwischen der oft rätselhaften Vergangenheit und der noch unbekannten Zukunft.
 

Museum of Uncertainty, La Brea Tar Pits, Waserspiel
Architektin Xuechen Chen setzt auf Beton, Glas und Holz.

Museum of Uncertainty, La Brea Tar Pits
Das Design nimmt mit auf eine Zeitreise.

Der Projektname Museum of Uncertainty könnte daher passender nicht sein. Und doch passt er nicht wirklich. Anders als der Titel vermuten lässt, hat Xuechen Chen nämlich weit mehr als nur einen Ausstellungsbau entworfen. Vielmehr beinhaltet ihr Konzept auch ein Forschungszentrum. Dieses ermöglicht eine paradigmatische Transformation der La Brea Tar Pits in einen Ort, der auch seinen wissenschaftlichen Auftrag erweitern kann. Das Institut soll die Brücke schlagen zwischen der Geschichte des Ortes und der Gegenwart, in der die Besucher etwas über die neuesten Entdeckungen erfahren.

Museum trifft Forschung

Um dieses Ziel zu erreichen, hat Xuechen Chen drei verschiedene Strukturen aus Holz und Beton in ihrem Entwurf vereint. Die eine beherbergt den Ausstellungsbereich. In Teil zwei ist die Forschung untergebracht. Und der dritte Abschnitt setzt die Ausgrabungsstätten in Szene. Der „Kitt“ zwischen den Strukturen ist zum einem der Teer selbst, der zum Schaufenster für die Fossilien wird. Zum anderen natürlich die Architektur: „Das Museum of Uncertainty soll die reiche Geschichte des Ortes zelebrieren, indem es moderne Architektur und prähistorische Elemente nahtlos miteinander verbindet“, erklärt die Planerin.

Ausstellungsdesign, Museum of Uncertainty
Nicht nur im Museum kann man den Forschern …

… bei der Arbeit im La Brea Tar Pit Areal zusehen.

Nach Xuechen Chens Plänen sollen sich Besucher vom Wilshire Boulevard aus auf eine Reise in die Vergangenheit begeben. Sie beginnt schon im Eingangsbereich, dessen architektonische Gestaltung das Eintauchen in die Teergruben, das Hinabsteigen in die Tiefen der Geschichte simuliert. Dunkle, erdige Farben und Texturen sind dabei die erzählerischen Mittel für ein immersives Erlebnis, das den Ton für den gesamten Besuch angibt. Der erste Stopp auf der Reise ist der zentrale, offen gestaltete Versammlungsbereich. Er ist nicht nur ein Zentrum für soziale Interaktion, sondern auch ein Schaufenster für einige der faszinierendsten Exponate des Museums. Die Fossilien werden so präsentiert, dass die Grenzen zwischen öffentlicher Ausstellung und Aufbewahrung für Forschungszwecke verschwimmen.

Ein Erlebnis in drei Akten

Im Herzstück des Entwurfs verschmelzen Museum und Forschung dann auch zu einer interaktiven Einheit. Denn die Fossilien werden hier nicht nur ausgestellt, sondern in Echtzeit analysiert. Die Öffentlichkeit ist eingeladen, den Forscherinnen und Forschern im Labor über die Schulter zu schauen – Glaswände machen es möglich. Für Vorträge und Bildungsprogramme sind flexibel anpassbare Räume eingeplant. Weitere Einblicke in die Arbeit der Paläontologen ermöglichen zudem riesige Panoramascheiben. Die Aussichten auf die weitläufigen Ausgrabungsstätten werden durch die Fensterrahmen selbst zu lebenden Exponaten. Und beim Staunen aus der Ferne muss es nicht bleiben: Ein labyrinthartiges Wegesystem durch die La Brea Tar Pits erlaubt es den Besuchern, die laufenden Ausgrabungsarbeiten auch aus nächster Nähe zu beobachten.

In jedem Fragment, in jedem Knochen, der aus den Tiefen geborgen wird, enthüllt das Projekt behutsam die Vergangenheit – ein elegantes Entwirren der Geschichte der Tar Pits. Hier werden die Echos der Zeit in einem Design verwoben.

Xuechen Chen, Architektin

So könnte das Museum of Uncertainty zu einem einzigartigen Ort werden. Einem Ort, der Museum, Labor und Kunstinstallation in einem ist. Und einem Platz, der zeigt, wie innovative Architektur die Vergangenheit bewahren und gleichzeitig in eine lebendige Zukunft zu transformieren vermag. Doch leider wird daraus nichts werden. Im Ausschreibungs-Wettbewerb konnte sich der vielgelobte Entwurf nicht durchsetzen. L.A. bevorzugte den Weg der „erhaltenden Modernisierung“ gegenüber einer radikalen Veränderung.

Als Sieger ging das Architekturbüro Weiss/Manfredi hervor. Nach ihrem Masterplan wird das Areal nun umgestaltet. Bis zur Fertigstellung werden wohl noch einige Jahre vergehen. Aber was sind schon Jahre angesichts der uralten Teergruben …

Text: Daniela Schuster
Bilder: Xuechen Chen

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