Da steht was auf der Klippe!
Unter dem Namen „Mountain House“ entwickelte der iranische Architekt Milad Eshtiyaghi ein Gebilde, das nur mit viel Phantasie als Haus durchgeht. Jedenfalls aber ist die Sache in vielerlei Hinsicht spektakulär.
Wer Höhenangst hat oder modernen statischen Berechnungen kein Vertrauen schenkt – der sollte jedenfalls von Projekten mit dem iranischen Architekten Milad Eshtiyaghi Abstand nehmen.
Der Mann hat nämlich einen Faible für ausgesprochen exponiert errichtete Wohnräume. So sorgte er bereits mit seinem „Bridge House“ für Staunen. Ein Objekt, das als Einfamilienhaus gedacht zwei Klippen in luftiger Höhe verbinden sollte. Nun setzt der architektonische „Hochstapler“ mit dem „Mountain House“ noch eins drauf.
Der Name – übersetzt heißt „Mountain House“ so viel wie „Berghaus“ – ist in diesem Fall etwas irreführend. Denn mit einer Berghütte hat dieses Objekt nur so viel gemeinsam, als dass es auf einer Erhebung der Erdoberfläche errichtet wird. Allerdings keineswegs auf einer Alm. Sondern vielmehr an einer felsigen Klippe, viele Meter über dem Meer. Und, ja, wir meinen an einer Klippe, nicht auf. Denn „Mountain House“ ist ein fast frei hängendes Betongebilde, das einige Überraschungen zu bieten hat. Übrigens ähnlich wie das Konzept des „Wellen-Hauses“ von Yakusha Desgin.
Aber rollen wir die Geschichte von hinten auf. Begonnen hat alles an einem Tag des vergangenen Jahres auf Quadra Island. Eine Miniinsel zwischen Vancouver Island und dem Festland von British Columbia in Kanada. Auf ihr leben 2472 Menschen. Touristen verirren sich kaum hier her.
Wenn doch, dann bloß im Zuge eines besonders intensiven Wunsches, der Zivilisation zu entfliehen. Diesen verspürte wohl Milad Eshtiyaghi, als er auf dieser Insel weilte. Und eine Klippe fand, die sein Architekten-Denken anregte.
Mountain House nutzt natürliche Fundamente
Was diese Felsformation besonders macht, ist wohl ein ungefähr 20 Meter unter der Kante befindlicher natürlicher Vorsprung. Auf dem wurzeln außerdem vier alte Bäume. Seit Jahrzehnten trotzden sie Wind und Wetter. „Mountain House wurde so entwickelt, dass es diesen Vorsprung als Fundament nutzt, ohne die vier Bäume fällen zu müssen“, erklärt Eshtiyaghi stolz. Sie würden einfach integriert. Nachsatz: „Und in dem so entstehenden Zwischenraum haben wir einen Hinterhof angelegt.“
Wenn man sich das Konzept dieses Baus aber genauer ansieht, ist das wohl die einfachste Übung. Denn besagtes natürliches Fundament ist bei weitem nicht ausreichend, um die Last der Beton-Quader, aus denen das Haus besteht, tragen zu können. Sprich: Das Haus muss im Grunde an die Felswand geheftet werden, um in schwindelerregender Höhe über dem Meer schweben zu können.
Um dieses Problem zu lösen, setzte sich der Architekt intensiv mit modernen statischen Lösungsmöglichkeiten auseinander.
Seile wie bei einer Hängebrücke
Schlussendlich entschied er sich dazu, das gesamte Konstrukt auf Stahlseilen, wie man sie sonst für Hängebrücken verwendet, aufzuhängen. Diese würden über dem Haus in der Klippe verankert werden, um die tausenden Tonnen des mehrgeschossigen und Labyrinth artig angelegten Einfamilienhauses tragen zu können.
Apropos: Die einzelnen Stockwerke folgen freilich einem genauen Plan: Die unterste Ebene ist für den Sohn der darin wohnhaften Familie gedacht. Groß genug, dass auch Frau und Kinder dazukommen könnten, wie der kreative Planer betont. Das oberste Geschoß wird vom Bauherrn und seiner Frau belebt. Und die verbindenden Gänge und Räumlichkeiten sind zur gemeinsamen Nutzung gedacht. Also: Pool. Fitnessraum. Heimkino. Und so weiter.
Ein weiteres Problem dieses wahrlich unorthodoxen Hauses: Durch seine exponierte Lage ist es fast durchgängig intensiver Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Ein Thema, das durch die vielen integrierten Glasfronten zusätzlich an Relevanz gewinnt.
Die Lösung: Sämtliche kubisch angelegten Wohnelemente sind mit Vordächern ausgestattet, die je nach Sonnenstand mechanisch geöffnet oder geschlossen werden können. Außerdem können die dem Meer zugewandten Fenster vollflächig je nach Belieben geöffnet oder geschlossen werden. Der Architekt im O-Ton: „So werden die Fenster zu einer Terrasse und die Terrasse zu einem Fenster.“ Worauf man eben gerade Lust hat.
Einziges Problem an der Sache: Das dieses „Mountain House“ jemals gebaut wird, ist recht unwahrscheinlich. Die Suche nach Interessenten läuft, heißt es bloß. Aber die läuft auch noch für das „Bridge House“.
Also: Wie war das mit der (architektonischen) Hochstapelei doch gleich …?
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Milad Eshtiyaghi