Ganz schön was los mit Moos
Das niederländische Startup Respyre hat die Natur zurate gezogen und „biorezeptiven Moosbeton“ entwickelt. Das Ergebnis sind niedrigere Temperaturen in überhitzten Städten und das Auffangen von Feinstaub. All das bei moderatem Aufwand und überschaubaren Kosten.
Moosiger Waldboden ist etwas Feines. Das satte Grün erfreut unsere Augen. Und auf der weichen, gepolsterten Schicht wird das fluffige Laufen fast zu einer kindlichen Freude. Zudem spielt die Bemoosung unserer Wälder – obwohl nur wenige Zentimeter hoch – eine entscheidende Rolle im „Ökosystem Wald“. Moose sind essenziell für den Wasserhaushalt und bieten Lebensraum für unzählige Kleinstlebewesen.
Das Vorhandensein von Moosen an anderen Stellen wird aber – zu unrecht, wie Auke Bleij, Gründer von Respyre, meint – gefürchtet. Findet sich Moos auf Wänden oder Gehwegen und Treppen möchte man ihm meist rasch zu Leibe rücken – sei es mit Salzwasser, Essig oder Drahtbürste, um ihn dauerhaft loszuwerden.
Moosbeton: Innovation von Respyre
Viele Menschen denken, dass Moose Betonmauern nicht nur unschön aussehen lassen, sondern ihnen über die Jahre zusetzen. Zunächst entstünden mikroskopisch kleine Schäden, über diese dringe Feuchtigkeit ein, was das Mauerwerk zersetze.
Die Menschen glauben, dass Moosbewuchs dem Beton schadet – in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall.
Auke Bleij, Gründer von Respyre
Anders sieht man es beim niederländischen Unternehmen Respyre B.V. Der Moosbewuchs sei ein Hinweis auf eine Beschädigung der Betonstruktur und signalisiere dem Bauherrn, dass eine „Reparatur“ nötig sei, damit der Bewehrungsstahl nicht beschädigt werde. „Dies hat uns dazu veranlasst, einen ,biorezeptiven’ oder ,bioempfindlichen’ Beton zu entwickeln, der die Eigenschaften eines Betons mit Moosbewuchs hat, aber ohne negative Konsequenzen“, heißt es bei Respyre.
Kleine Pflanze mit großen Vorzügen
Könnte Moos nicht gezielt für nachhaltige Bauprojekte eingesetzt werden? Bis vor kurzem war Moos im Bauwesen keine Option. Die kleine Pflanze bietet allerdings große Vorzüge. Seit einiger Zeit werden diese sowie ihr Einsatz im Bauwesen untersucht. Die Idee stammt von der TU Delft und wurde von Auke Bleij weiterentwickelt. Er gründete 2018 das Startup Respyre unter anderem mit Delft Enterprises, um die Vorteile und den geringen Pflegeaufwand der Pflanze für die Fassadengestaltung zu nutzen.
Der Spin-off der Technischen Universität Delft widmet sich der Entwicklung des oben bereits erwähnten, sogenanntem biorezeptiven Betons. Dieser ermöglicht das Wachstum von Moos auf seiner Oberfläche. Ziel von Respyre ist es, Lösungen für typische urbane Probleme wie Luftqualität, Hitzestress und Lärmbelästigung zu finden und so zum Umweltschutz beizutragen und das Wohlbefinden der Stadtbewohner zu verbessern.
Wie Moosbeton „funktioniert“
„Unsere Mission ist es, naturverträgliches Bauen einfach und nachhaltig zu machen. Deshalb setzen wir einen der einflussreichsten Pioniere der Natur ein: Moos“, so Bleij. Der Name „Respyre“ leitet sich vom englischen Wort „respire“ ab, was „atmen“ bedeutet. Als CTO fungiert Adil Aarouss.
Biorezeptiver Beton ist eine Schicht aus recyceltem Material, die auf bestehende Strukturen aufgebracht werden kann. Gleichzeitig bietet er Moosen optimale Wachstumsbedingungen. Denn die spezielle Porosität und Wasserrückhaltefähigkeit dieses Betons schaffen eine perfekte Umgebung für Moose.
Vorteile von Moosfassaden
Ein Bio-Gel, das ebenfalls von Respyre entwickelt wurde, fördert das Wachstum und die Versorgung des Mooses. Alternativ kann das Moos auch aufgepfropft werden, was zu noch schnelleren Ergebnissen führt. „In jedem Fall wird das Moos die Oberfläche innerhalb weniger Monate bedeckt haben und sofort seine Vorteile entfalten“, heißt es. Die Kombination ermögliche es, die Natur zu geringen Kosten und mit geringem Wartungsaufwand in die Städte zu bringen.
Wir glauben an die Intelligenz und Widerstandsfähigkeit der Natur. Die Natur hat ihre Methoden, den Planeten gesund zu erhalten über Milliarden von Jahren perfektioniert. Es liegt an uns, ihre Strukturen so gut wie möglich nachzuahmen, um nachhaltiger, effizienter und glücklicher zu leben.
Respyre
Moos verbessert die Luftqualität durch die Umwandlung von CO2 und Nox in Sauerstoff und filtert Feinstaub aus der Luft – bei höheren Temperaturen ein umso akuteres Problem. Zudem reduziert es den städtischen Hitzestress, indem es durch Evapotranspiration kühlt. Auch Lärm wird durch Moos gedämpft, was die Lebensqualität von Mensch und Tier steigert. Ein weiterer Vorteil ist die Schaffung von Lebensraum für Kleinstlebewesen.
Urbanen Hitzestress verringern
Inzwischen sind die ersten Projekte in niederländischen Städten wie Limburg, Purmerend und Alphen aan den Rijn zu sehen. Die Einführung dieser neuen Alternative wird zusehends Nachahmung finden, ist man bei Respyre überzeugt. Denn der Effekt ist beträchtlich: Eine herkömmliche Wand kann sich auf etwa 60 Grad aufheizen, während es bei einer begrünten Wand nur etwa 30 Grad sind – ein gewaltiger Unterschied.
Fakt ist, dass der Temperaturunterschied in Städten im Vergleich zum Umland mehrere Grad betragen kann, vor allem im Sommer. Versuche, städtische Gebiete zu begrünen, sind wichtig. Sie erweisen sich in der Praxis aber wegen des hohen Pflegeaufwands oft als schwierig. Und sie erzeugen mitunter hohe Kosten.
Bis dato galt Efeu als die einfachste Art, Grünpflanzen vertikal wachsen zu lassen. Moos weist gegenüber herkömmlichen Kletterpflanzen viele Vorteile auf. Es ist wesentlich pflegeleichter und es muss nicht beschnitten werden. Da Moose keine Wurzeln sondern Rhizoide haben, die sich schonend im Mauerwerk, in der Fassade verankern, werden keine Pflanzgefäße benötigt. So wird kein wertvoller Platz in der Stadt verbraucht. Moose sind robust und überstehen extreme Hitze, sie können sich davor schützen und das Austrocknen verhindern.
Innovative Projekte und Anwendungen
Respyres „VertiScape“-Fassaden und -Dachziegel sind bereits im Handel erhältlich und eignen sich für Renovierungen und Neubauten. Die Produkte seien vielseitig und für Projekte unterschiedlicher Größe einsetzbar, angefangen bei Renovierungen mit einer Fläche von 100 Quadratmetern bis hin zu Neubauten mit mehr als 200 Quadratmetern.
Dächer könnten ab einer Mindestfläche von nur 50 Quadratmetern aufgewertet werden. Ob verputzte, vorgefertigte Betonelemente oder vor Ort gegossener Beton – die Natur ließe sich in Form von Moos leicht einbinden.
Respyres Vision und die Zukunftsperspektiven
Das Unternehmen hat 2024 ein Darlehen in Höhe von 300.000 Euro vom Noord-Holland Innovation Fund (INH) erhalten, um die Produktion zu steigern und das Team zu erweitern. INH ist eine Initiative der Provinz Noord-Holland, der Universität Amsterdam, der Amsterdamer Fachhochschule, Amsterdam UMC, Sanquin und der Freie Universität, mit Unterstützung der EU durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Sie vergibt Finanzierungen für innovative Unternehmen in der „Proof-of-Concept“-Phase.
Respyre entwickelt eine innovative Technologie, die es ermöglicht, Moos auf Beton zu züchten. Moosbeton trägt durch die Bekämpfung von Feinstaub dazu bei, die Lebensumwelt nachhaltiger zu gestalten. Darüber hinaus entspricht die Lösung dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft, da der Moosbeton von Resypre hauptsächlich aus Altbeton besteht. Dadurch können die CO2-Emissionen von Bauprojekten reduziert werden.
Wouter Keij, Fondsmanager bei INH
Respyre ist daneben auch Gewinner des Philips Innovationspreises 2022 und anderer Wettbewerbe, was das Potenzial seiner Produkte unterstreicht.
Nachhaltigkeit, Resilienz plus Ästhetik
Respyre arbeitet kontinuierlich an der Verbesserung seiner Technologien und testet diese unter verschiedenen Bedingungen. „Wir helfen bei der Auswahl der richtigen Moosart für die richtige Umgebung, beraten über geeignete Standorte und helfen bei der Gestaltung von Fassaden. So stellen wir sicher, dass alles, was das System benötigt, durch natürliche Niederschläge bereitgestellt wird und seine natürlichen Vorteile ohne zusätzliche Eingriffe entfaltet“, führen die Experten von Respyre weiter aus.
Die Vielfalt der Moosarten ist groß. Dies schaffe die Möglichkeit, für jedes Projekt die vorteilhaftesten Arten zu nehmen und aufeinander abzustimmen. Die Wahl der richtigen Arten gewährleistete die Gesundheit des Systems und seinen positiven Beitrag für die Umwelt. Da man das Moos auf den Respyre-Lösungen gezielt auswählen könne, kommen selbst ästhetische Aspekte nicht zu kurz: Die Pflanzen können auf bestimmte Weise arrangiert und das Wachstum relativ genau vorherbestimmt werden.
„Game Changer“ dank Skalierungspotenzial?
Respyre sieht das Projekt aufgrund seines Skalierungspotenzials ein potenziellen „Game Changer“. Erweist sich der langfristige Nutzen von biorezeptivem Beton kann man sich vorstellen, welche positiven Auswirkungen dies auf die gebaute Lebensumgebung haben könnte.
Bisher wurde das Produkt hauptsächlich im Industrie- und Infrastrukturbereich eingesetzt“, verrät Bleij gegenüber UBM Development. Die Kosten hingen sehr davon ab, ob der Moosbeton als vorgefertigte Mischung, als Putz oder als Spray aufgetragen werde. Zu den Kunden bisher zählen etwa Hemubo, die CRH Group und Hoex Bouw. Respyre ist offen für Partnerschaften, um weitere Pilotprojekte zu realisieren.
Text: Linda Benkö
Fotos: Respyre B.V.