Leben in Lockdown Under
Weil sich eine ecuadorianische Familie während des ersten Lockdowns in ihrem Minihaus eingesperrt fühlte, befreite sie sich innerhalb von drei Monaten in einer architektonischen Blitzaktion. Und lebt nun fast autark.
Oberflächlich betrachtet sind die Ergebnisse einer Deutschen Studie über die Wohnsituation der Menschen während Corona eher wenig überraschend: 90 Prozent der Befragten gaben an, deutlich mehr Zeit zuhause verbracht zu haben. Drei Viertel verbrachten den Urlaub daheim, fast 60 Prozent arbeiteten im Homeoffice, knapp 20 Prozent unterrichteten Kinder zu Hause.
Doch ein Punkt ist dann doch verblüffend: Nur ein Fünftel gab an, mehr Wohnfläche, einen Balkon oder eine Terrasse vermisst zu haben. Der Hintergrund dafür: In unseren Breiten haben sehr viele schon vor den Lockdowns über ausreichend Raum und auch Freiraum verfügt.
Gänzlich anders präsentiert sich wohl die Situation in Ländern, in denen sich das gesellschaftliche Leben verstärkt außerhalb der eigenen vier Wände abspielt. Wie zum Beispiel in Südamerika. Hier spielte Lebensraum in der Vergangenheit eine weniger große Rolle. Das erkannte auch eine vierköpfige Familie in Ecuador. „Wir lebten vor Corona eher einen nomadischen Lebensstil“, erzählen die Eltern rückblickend.
Gefangen im Lockdown
Und das hätte während des ersten Lockdowns buchstäblich dazu geführt, dass ihnen die Decke ihres 65 Quadratmeter großen Appartements auf den Kopf gefallen sei. Nach wenigen Woche war klar: Ihr Wohnraum musste mehr zu bieten haben, als bloß ein Dach über dem Kopf.
Knackige Bauvorgaben
Das war jener Moment, an dem die Architekten von RAMA estudio als geniale Partner in ihr Leben traten. Der konkrete Auftrag an die für ihre effiziente Bauweise bekannten Planer lautete: Das bestehende Haus um Sozialräume erweitern. Komfortable und unabhängige Schlafzimmer für beide Töchter einrichten. Und die Aussicht auf das durchaus beeindruckende umliegende Waldareal bestmöglich zu integrieren.
Kleiner Nervenkitzel bei der Sache: Die Bauzeit sollte nicht mehr als drei Monate betragen. Schließlich ahnte die Familie, dass bald der nächste Lockdown kommen würde und wollte bis dahin ihr neues Heim fertig haben.
Keine ganz einfache Angelegenheit, zumal es zusätzlich darauf zu achten galt, keinen Abfall zu produzieren. Das durch teilweise Abrissarbeiten anfallende Material musste wiederverwertet werden, so die Direktive.
Mirador House: Mit Ausblick, bitte!
„Wir kamen zu dem Schluss, dass hier ein industriell vorgefertigtes großes Baustück Sinn machen würde. Eines, das sich gut in die Umgebung einfügt und unauffällig auf dem Boden sitzt, indem es sich an die bestehende Konstruktion anschließt“, so die Architekten. Zudem wollte man die natürliche Umgebung als eine Art Hülle verstehen, die das neue Haus umfängt. Eine Bedingung, der das neue Heim auch seinen heutigen Namen verdankt: Mirador House. Zu Deutsch: Haus mit Aussichtspunkt.
Stahlträger statt Fundament
Eine Idee, die sogleich Anklang fand. Und so wurde in einem nahegelegenen Werk ein Kubus gefertigt, während ein System von Metallkanälen und Laubengängen um das bestehende Objekt herum errichtet wurde. Um den umliegenden Waldboden so wenig wie möglich in Mitleidenschaft zu ziehen, verzichtete man auf jegliche Art von Fundament. Stattdessen arbeiteten die Architekten mit Stahlstützen, die das gesamte Gewicht der gefertigten Glas-Stahl-Form tragen sollten.
Gleichzeitig wurden die Wände der vorderen Fassade des bestehenden Gebäudes entfernt. „So wurde ein Raum geschaffen, der sich mit dem neuen Gebäude verbindet und gleichzeitig durch die drei großen Glasfronten den Blick in den Wald freigibt“, berichten die Architekten. Um einen Raum zu schaffen, der sich mit dem neuen Gebäude verbindet. Und dem Namen Mirador House eben seine Sinnhaftigkeit verleiht.
Aussicht mit Holzrahmen
„Boden- und Deckenelemente aus Sperrholz rahmen die Aussicht ein und lassen die Natur der Umgebung in den Raum einfließen“, heißt es in der Projektbeschreibung. So sei die umgebende Vegetation das maßgebliche Element, um Privatsphäre zu vermitteln.
Die Räume selbst wurden mit wenigen aber sehr funktionalen Möbelstücken versehen, um nicht unnötige Fläche einzubüßen und die nun vorhandenen 190 Quadratmeter bestmöglich zum Leben nutzen zu können. Unter dem Mirador House wurde zudem eine Klärgrube ausgehoben, um von der Kanalisation unabhängig zu werden. Auch ein Regenwasseraufbereitungssystem hat man unter dem Dach integriert.
Fazit: Der darauf folgende Lockdown war für die Familie im Vergleich zum ersten wie ein Urlaub im neuen Heim. Ein Luxus, den sich aber in Ecuador wohl nur recht wenige Menschen leisten können.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Jag Studio