Ohne Grund aber mit Boden
Der iranische Architekt Milad Eshtiyaghi baut für ein kalifornisches Ehepaar sozusagen das Haus der guten Nerven. Kurz gesagt: Höhenangst sollte hier kein Besucher haben!
Es gibt Ängste, die sind so alt wie die Menschheit selbst. Die Angst vor Schlangen und Spinnen etwa. Sie schützt uns davor, gebissen und womöglich vergiftet zu werden. Aber auch die Höhenangst zählt zu diesen so genannten „archaischen Ängsten“. Aus evolutionärer Sicht sichert auch die Höhenangst unser Überleben. Deshalb ist sie auch schon bei Babys, die über eine Glasplatte krabbeln sollen, wahrzunehmen. Sie halten inne und nur einige wagen sich schlussendlich über den vermeintlichen Abgrund.
Milad Eshtiyaghi: Der Mann fürs Hohe
Zu letzteren zählte wohl jenes kalifornische Ehepaar, das den iranischen Architekten Milad Eshtiyaghi mit der Planung ihres wahrlich wunderlichen Hauses beauftragt hat: Er sollte ein Haus konzipieren, das den Rand einer Klippe als Grundstück hat. Sprich: Ein Haus, das über dem Meer schwebt und bloß an Felsen verankert ist.
Dass Eshtiyaghi der ideale Mann für dieses Unterfangen ist, war von vornherein klar. Schließlich hatte der Architekt schon in der Vergangenheit immer wieder mit spektakulären Klippenprojekten für Aufsehen gesorgt. Das unter dem Namen „Mountain House“ berühmt gewordene Mehrfamilienhaus brachte das US-Paar schließlich auch auf seine Fährte. Schon bei diesem Konzept – das bis dato übrigens nicht realisiert wurde – spielte der iranische Planer mit dem Kick der Höhenangst.
Spiel mit der Angst
Und eben um diesen ungewöhnlichen „Special Effekt“ ging es den Bauherrn in diesem konkreten Fall. Eshtiyaghi sagt: „Das Haus sollte in der Luft schweben, um den Menschen darin unterschiedliche Empfindungen zu ermöglichen.“ Das Gefühl der Angst und der Aufregung, wenn man die Außenwelt in die eigene Wahrnehmung integriert. „Gleichzeitig soll man Ruhe und Gemütlichkeit wahrnehmen, wenn man die Tatsache des Schwebens für sich ausblendet“, so der Architekt weiter.
Wer sich in diesem Raum befindet, erfährt ein Gefühl der Befreiung, der Schwerelosigkeit, des Schwebens in der Luft.
Milad Eshtiyaghi, Architekt
Eine Möglichkeit, für die man aber wohl im Vorfeld besonderes mentales Training benötigt. Denn: Sämtliche Räume lenken den Blick ob großer Glasfronten nach außen und somit auch nach unten. Selbst wer aus Angst sein Heil darin sucht, den Boden anzustarren, wird schnell wieder aufsehen. Der Fußboden ist mit verglasten Auslässen übersäht! Zumindest im Empfangsbereich des Objekts.
Wer es in die unterste Etage – eines der beiden Schlafzimmer – geschafft hat, schwebt dank Glasboden so oder so konstant über dem Abgrund, der sich unter dem Haus auftut. Der Architekt dazu: „Wer sich in diesem Raum befindet, erfährt ein Gefühl der Befreiung, der Schwerelosigkeit, des Schwebens in der Luft.“ Vorausgesetzt, die Person ist eben schwindelfrei, versteht sich.
Abgesehen davon, dass sich bei diesem Konzept einige Fragen bezüglich der geistigen Verfassung der zukünftigen Bewohner aufdrängen, musste Milad Eshtiyaghi vor allem statische Themen klären. Wie hängt man ein Objekt an Klippen, wenn darüber nichts zum Aufhängen existiert? Hierbei bediente er sich des Know-hows von Brückenbauern (ähnlich wie die Planer des Dubai Creek Tower).
Er installierte also auf der Klippe eine Art Mast, der massiv im Fels verankert ist und hoch über das Dach des Kliffhauses ragt. Infolge soll das Objekt mittels armdicker Stahlseile so befestigt werden, dass es nicht in die Tiefe stürzt. Zudem sollen seitlich festgezurrte Seile, die an der Küste von Mendocino wehenden Winde unschädlich machen.
Wenn man nun aber alle Ängste vom Tisch wischt, bleibt vor allem die Wahrnehmung der Loslösung aus der Welt. „Im Gegensatz zu den meisten aktuellen Projekten versucht dieses Objekt nicht mit seiner Umwelt zu verschmelzen und sie zum Freunde zu machen,“ so Milad Eshtiyaghi. Vielmehr will das schwebende Haus mit der Erde per se nichts zu tun haben – es flüchtet regelrecht. Und damit sorgt der Architekt am Ende auf ungewöhnliche Art und Weise trotzdem dafür, dass möglichst wenig Natur verbaut wird. Schließlich braucht das Objekt selbst so gut wie keinen Grund und Boden.
Nur der Mast, an dem das häusliche Glück hängt, nimmt ein paar Quadratmeter in Anspruch. Doch dieses Detail lässt Eshtiyaghi in seiner Darstellung von abgekoppelter Naturnähe ganz entspannt unter den Tisch fallen. Oder halt vom Kliff.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Milad Eshtiyaghi