Metabolismus reloaded
Der historische Nagakin Capsule Tower in Tokio soll in seine Einzelteile zerlegt werden. Im türkischen Antakya entstand dafür ein metabolistischer Bau als Hotel. Die einzelnen Zimmer sind Module, die auf einem Stahlgerüst über einer Ausgrabungsstätte montiert sind.
In der Antike war Antiochia eine der größten und bedeutendsten Städte im östlichen Mittelmeerraum. Der Großteil ihrer antiken Überreste liegt heute mehrere Meter unter der Schwemmerde des Flusses Orontes begraben. Darüber liegt das moderne Antakya, ein Stadtbezirk der türkischen Metropolprovinz Hatay. Als 2009 hier mit den Bauarbeiten zu einem neuen Luxus-Hotel begonnen wurde, kam ein Teil der antiken Stadt und einer der bedeutendsten archäologischen Schätze aller Zeiten zum Vorschein.
Das türkische Denkmalamt ordnete daraufhin eine wissenschaftliche Ausgrabung an, die mehrere Jahre andauerte. In dieser Zeit konnten Archäologen Artefakte von 13 unterschiedlichen Zivilisationen bergen und das größte zusammenhängende Mosaik der Welt freilegen. Damit stand fest: Der Entwickler musste die ursprünglichen Pläne für den Hotelbau verwerfen.
Spagat zwischen Archäologie und Hotel
Der preisgekrönte türkische Architekt Emre Arolat sollte einen neuen Entwurf erarbeiten, der beides miteinander vereinte – den Erhalt der wertvollen Ausgrabungsstätte und den Bau eines Luxus- und Wellness-Hotels. „Der Spannungsbogen zwischen den Einschränkungen, die die archäologischen Funde mit sich brachten, und dem programmatischen Konzept des Hotels bestimmte den situativen und physischen Rahmen des Projektes“, so das Architekturbüro Emre Arolat Architects.
„Dieser Spagat machte eine konventionelle Hotel-Typologie unmöglich und führte zu der Idee, ein öffentliches Museum zu integrieren, in dem die restaurierten Werke besichtigt werden können“, beschreiben die Architekten die Ideenfindung hinter dem Museum Hotel Antakya, das 2020 eröffnet wurde.
Ein metabolistisches Konzept
Erst als ein Team an Wissenschaftlern die genauen Stellen eruierte, die noch freigelegt werden sollten, konnte mit der Planung begonnen werden. Das architektonische Konzept erinnert an die japanischen Metabolisten. Sie vertraten in der Nachkriegszeit die Auffassung, dass Gebäude und Städte wie Organismen wachsen sollten. Durch den Austausch von alten Baumodulen durch neue sollten sie demselben Zyklus unterworfen sein wie Lebewesen.
Hauptziel des Designprozesses war, dass das Museum Hotel Antakya einen positiven Einfluss auf die Region hat.
Emre Arolat Architekts, Architekturbüro
Das bekannteste Bauwerk aus dieser Ära ist der Nagakin Capsule Tower von Kisho Kurokawa. Der in die Jahre gekommene Turm im Tokioter Stadtteil Ginza soll nach jahrelangem Ringen um seinen Erhalt nun doch abgerissen und in einzelne Tiny Houses zerlegt werden.
Das Museum Hotel Antakya basiert auf demselben Modulprinzip, auch wenn sich die Architekten nicht explizit auf den Metabolismus beziehen. Das Konzept ist in diesem Fall eine fast logische Folge der streng vorgegebenen und sehr inhomogenen Bebauungsmöglichkeiten des Grundstücks. Alle Hotelzimmer und die gemeinschaftlichen Bereiche sollten um die Ausgrabungsstätten herum gruppiert werden.
Über dem Boden schwebend
Ein riesiges Stahlgerüst mit 66 im Boden verankerten Säulen bildet das Tragwerk des Hotels und zugleich den kleinstmöglichen Fußabdruck. Damit schwebt das Hotel über der archäologischen Stätte, die durch ein 25 meter hohes Dach vor Witterung geschützt ist. Alle 200 modularen Zimmer wurden in einer Werkshalle in der Nähe vorgefertigt und anschließend einzeln zur Baustelle transportiert.
Zur Hotelanlage zählen auch ein Restaurant, ein Fitnessbereich, ein Swimming Pool, ein Nachtclub und ein Ballsaal. Diese Bereiche haben die Architekten allesamt auf dem Dach platziert. Die Lobby und eine Lounge befinden sich unterhalb der Zimmer, ungefähr zehn Meter über den Ausgrabungen. Direkt über dem Boden liegt das archäologische Freilichtmuseum, das es Besuchern erlaubt, über Rampen und Brücken das gesamte Areal aus nächster Nähe zu erkunden.
Ein richtungsweisendes Projekt
Das Projekt will als Inspiration und Blaupause für andere Ausgrabungsstätten im urbanen Bereich dienen, und ein Zeichen für den Erhalt des kulturellen Welterbes setzen. Laut den Architekten befruchten sich das Museum und das Hotel gegenseitig. „Hauptziel des Designprozesses war, dass das Museum Hotel Antakya einen positiven Einfluss auf die Region hat. Es ist ein einzigartiges Gebäude, das vom Potenzial und den Möglichkeiten des Kontexts profitiert.“
Auch wenn der Stahl-Koloss kein Vorbild in Sachen CO₂-Bilanz ist, gilt das Konzept als richtungsweisend. Dementsprechend wurde das Museums- und Hotelprojekt mit zahlreichen Preisen und Anerkennungen ausgezeichnet, darunter mit dem BigSEE und dem Ahead Middle East-Award.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Emre Dorter, Thomas Mayer