Die erste schwimmende Stadt der Welt
Von Klimaflüchtlingen zu Klima-Innovatoren – das ist die Vision, die dem Developer Dutch Docklands und den Architekten von Waterstudio für die maledivische Bevölkerung vorschwebt. Ihre Maldives Floating City, die erste echte schwimmende Inselstadt der Welt, wird rund 20.000 Menschen Platz bieten.
Ein Wettlauf mit der Zeit: Mit dem Anstieg des Meeresspiegels steigt die Gefahr des Untergangs der Inselgruppe der Malediven. Noch liegen die knapp 1.200 hauptsächlich aus Korallensand bestehenden Inseln im Schnitt einen Meter über dem Meeresspiegel. Von den Inseln sind etwa 200 bewohnt, zusätzliche 100 werden als Hotelinseln genutzt.
Maldives Floating City: Rettung für das Südsee-Paradies?
Doch mit jedem Jahr rückt das Meer höher hinauf. Zwar hätten sich schon immer Wasser und Wind an den Ufern abgearbeitet, sagen Einheimische. Doch mit der Zeit ist die Erosion aus dem Gleichgewicht geraten, es gibt mehr Stürme und Fluten. Seitdem das Problem bekannt ist, wird über Lösungen für die 26 Atolle im indischen Ozean gebrütet. Sehr konkret ist nun die „Maldives Floating City” geworden.
Maldives Floating City, nach dem Entwurf und der Planung von Dutch Docklands in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Waterstudio, lässt aufhorchen. Denn schon sehr bald, ab August, können die ersten Wohneinheiten besichtigt werden. Ab 2024 sollen sie beziehbar sein.
Die Regierung des Inselstaats hat vor kurzem definitiv grünes Licht gegeben. Die nach dem organischen Vorbild der Hirnkorallen entworfene Stadt ist in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP, Public-private-Partnership) vertraglich geregelt.
Bunte Hoffnung
Maldives Floating City (MFC) mit ihren bunten Flachbauten versprüht die Hoffnung, mit widerstandsfähigen, umweltfreundlichen, schwimmenden Strukturen auf dem Wasser überleben zu können. Denn derzeit steigt der Meeresspiegel um rund 3,1 Millimeter pro Jahr.
Die Vorhersagen sind zwar ungenau: Sie reichen von zehn bis 100 Zentimetern bis zum Jahr 2100. Aber selbst „nur” 100 Zentimeter sind viel zu viel. 80 Prozent des Landes befinden sich weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel. Die Hauptstadt Male ist zudem eine der am dichtesten besiedelten Städte der Welt.
„Naturnahe“ Planung
Die neue Stadt ist „naturnah“ geplant, mit „Straßen“ und Wasserkanälen. Die Strukturen verleihen ihr die Ähnlichkeit einer echten Hirnkoralle und auch deren „effizienter Organisation”. Gleichzeitig mache die Form der Maldives Floating City auf die Bedeutung der Malediven als Zentrum für den Korallenschutz in der Welt aufmerksam, heißt es bei Dutch Docklands.
MFC wird mehrere tausend Flachbauten umfassen. Sie werden nahe der Hauptstadt Male und des internationalen Flughafens, rund 10 Bootsminuten entfernt, in einer 200 Hektar großen Lagune im Indischen Ozean schwimmen – und sich daher an den Meeresspiegel anpassen.
Interessenten können sich jetzt schon für den Kauf einer der Wohnungen über die Website anmelden. Bei Maldives Floating City handelt es sich den Angaben zufolge um die „erste echte schwimmende Stadt”. Der rechtliche Status sei abgeklärt und für die Käufer mit Eigentumsurkunden abgesichert.
Weitere Objekte anderer Nutzungsarten sind in Planung: Hotels, Geschäfte, Restaurants, Boutiquen sowie ein Yachthafen. Daneben öffentliche Gebäude wie ein Krankenhaus, eine Schule und ein Regierungsgebäude.
Das Schicksal umschreiben
Die Maldives Floating City soll das „Rückgrat” künftiger schwimmender Städte bilden. Die Hoffnung des Developers Dutch Docklands und der Architekten von Waterstudio: Dass die Malediver so ihr Schicksal von Klimaflüchtlingen hin zu Klima-Innovatoren umschreiben.
Die Maldives Floating City ist als flexible Stadt mit einem intelligenten Stromnetz gedacht, das auf die sich verändernde Nachfrage und das Wetter reagieren kann. Abgesehen von nachhaltigen, innovativen Technologien würden ökologische Best Practices angewendet, um das marine Ökosystem wiederherzustellen und zu schützen.
Blaue Lebensräume dank künstlicher Korallenbänke
Die einzigartige Stadt schaffe sowohl über als auch unter der Wasseroberfläche „blaue Lebensräume”, die das Korallenwachstum fördern. Denn an der Unterseite der Strukturen werden künstliche Korallenbänke aus Glasschaum angebracht. Die Korallenriffe, die die Stadt umgeben, dienen als natürlicher Wellenbrecher, die sie stabilisieren und den Bewohnern so zusätzliche Sicherheit bieten.
Eine Stadt, die aus Tausenden von Einheiten besteht, könne nur gebaut werden und „funktionieren“, wenn Infrastruktur und Einheiten modular aufgebaut seien, erklären die Experten bei Dutch Docklands. Nur so ließen sich Qualität, Standardisierung, kurze Bauzeit, Kostenkontrolle und effiziente Wartung gewährleisten.
Man will mit so wenig Energie wie möglich auskommen und dank Erzeugung „grüner respektive blauer Energie” würde ein eventueller Energie-Überschuss ins Netz eingespeist werden. Der Strom wird überwiegend durch vor Ort erzeugte Solarenergie gewonnen. Als Alternative zu Klimaanlagen soll kaltes Wasser aus der Tiefsee in die Lagune gepumpt werden.
Auch die Versorgung und Verteilung von Waren sowie die Lagerung und kontrollierte Abfallbehandlung und -entsorgung soll so ressourcen- und umweltschonend wie möglich geschehen. Zudem wurde der Schattenwurf der sechseckigen schwimmenden Strukturen bedacht, sodass nicht zu viel Flächen bedeckt sind. Die Verankerungssysteme wiederum müssen genug Steifigkeit und dennoch Flexibilität aufweisen, damit MFC extremen externen Kräften standhalten kann.
Aufenthaltsgenehmigung bei Kauf
Die schwimmenden Häuser und weitere bauliche Strukturen werden rechtlich als Immobilien behandelt, um Finanzierung und Versicherung zu ermöglichen. Mit dem Erwerb einer Wohnung können Ausländer gleichzeitig eine Aufenthaltsgenehmigung erwirken. Dies soll die internationale Gemeinschaft dazu einladen, nicht nur den maledivischen Lebensstil, das perfekte Wetter und die tropische Umgebung zu genießen, sondern sich auf den Malediven niederzulassen.
Bis zu 20.000 Einwohner könnten künftig auf der Maldives Floating City wohnen. Laut Medienberichten werde jedes Haus 100 Quadratmeter groß sein und über einen Steg an der Vorderseite sowie eine Terrasse auf dem Dach verfügen. Die Preise dürften sich ab 250.000 US-Dollar aufwärts bewegen.
Autofreie „Bootsgemeinschaft“
Die lokale Kultur und Geschichte der Seefahrernation sei von der engen Beziehung zum Meer geprägt, vom Leben auf dem Wasser. Die Stadt habe etwas vom Charakter einer Bootsgemeinschaft, die die Kanäle als Hauptinfrastruktur für Logistik und Gateways nutzt und so die Bewegungen an Land auf Fuß- und Radwege auf natürlichen, weißen Sandstraßen reduziert. Es sind keine Autos erlaubt, nur Fahrräder und lärmfreie Elektro-Scooter oder -Buggys.
Nach Entrichtung der gesetzlich vorgeschriebene Gebühren in Höhe von einer Million US-Dollar hat das Ministerium für Tourismus dem Developer die Baugenehmigung nunmehr erteilt. Bei einer Zeremonie im Juni 2022 in Male erhielt Dutch Docklands Maldives die letzten notwendigen Unterschriften für den Baustart. In Summe wird die schwimmende Stadt 5.000 Wohneinheiten umfassen.
Besichtigungen ab August möglich
Ein erster Block von schwimmenden Häusern soll schon im August in die Lagune transportiert werden. Ab dann wird man die Möglichkeit haben, die Häuser zu besichtigen. In vier bis fünf Jahren sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein.
Maldives Floating City gehört zu einer Reihe von Vorschlägen für schwimmende Städte, darunter Oceanix Busan von den Architekturbüros BIG und Samoo sowie dem Technologieunternehmen Oceanix. Nach Angaben von Waterstudio befindet sich MFC bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in der Entwicklung.
Unter den besten Futura-Projekten bei den MIPIM Awards 2022
In den letzten zwei Jahrzehnten hat Waterstudio eigenen Angaben zufolge mehr als 300 schwimmende Häuser, Büros, Schulen und Gesundheitszentren auf der ganzen Welt designt. Der Entwurf war einer der Finalisten für das beste Futura-Projekt bei den MIPIM Awards 2022, die gerne auch als „asiatische Oscars für globale Entwicklung” bezeichnet werden.
Die Gründer von Dutch Docklands sind der Architekt Koen Olthuis und der Bauunternehmer Paul van de Camp. Das Projekt stützt sich auf die schwimmende Technologie aus den Niederlanden, die sich seit Jahrhunderten mit der Entwicklung hochwassersicherer Architektur befassen.
Die Niederlande beherbergen längst schon schwimmende Parks, einen schwimmenden Milchviehbetrieb, ein schwimmendes Bürogebäude, den Hauptsitz des Global Center on Adaptation (GCA) und das schwimmende Viertel Waterbuurt in Amsterdam.
Ähnlich innovative Ansätze findet man auch bei den schwimmenden Hotels CPH Living in Kopenhagen und dem Off Paris Seine in Frankreich sowie bei einer Reihe von schwimmenden Inseln in der Ostsee, die von der niederländischen Firma Blue21 entwickelt wurden.
Text: Linda Benkö
Renderings: Waterstudio/Dutch Docklands Maldives