„Die jahrzehntelang geltende Trennung von Arbeiten und Wohnen gibt es nicht mehr“
Leerstehende Bürogebäude, niedrige Büromieten und ein schlechtes Image stellten die Standort-Initiative „Neues Niederrad“ bei der Rundumerneuerung der Bürostadt in Frankfurt 2014 vor Herausforderungen. Knapp sieben Jahre und rund 5.000 neue Einwohner später haben wir mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Detlef Hans Franke gesprochen.
Hinter den Bahngleisen im Westen von Niederrad in Frankfurt befindet es sich: das neue, quirlige Lyoner Quartier. Von der einst farblosen und ausgestorbenen Bürostadt ist nicht mehr viel übrig. Sanierte Bürogebäude zieren den breiten Boulevard des Viertels genauso wie moderne Wohnkomplexe. Großzügige Grünflächen sollen das Wohnen und Arbeiten in der Metropole verbessern, Einkaufs-, Erholungs-, und Sportangebote neue Menschen anlocken. Die Standort-Initiative „Neues Niederrad“ rund um Dr. David Roitman und Detlef Hans Franke unterstützt diesen Wandel und begleitet nun das Quartier in Richtung lebendige Zukunft.
Wir haben mit Franke über das Potenzial des Viertels, kreative Umgestaltungsideen und ein Fest der ganz besonderen Art gesprochen.
Die ehemalige Bürostadt Niederrad wird tatsächlich zu dem immer angesagteren Lyoner Quartier. Wie kommt es, dass plötzlich ein ganzer Stadtteil langsam erwacht und zu erblühen beginnt?
Detlef Hans Franke: Die Bürostadt Niederrad hatte ihre besten Zeiten hinter sich. Der Leerstand war hoch, die Mieten niedrig, das Image schlecht. Unterschiedliche Akteure haben seither vieles getan, um all das zu ändern. Und vor ungefähr sieben Jahren ging es dann richtig los. Seitdem hat sich vieles zum Positiven verändert. Das Quartier war schon immer hervorragend mit dem Auto und dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar. Es liegt in der Nähe des Flughafens und nur drei S-Bahn-Stationen von der City entfernt. Außerdem grenzt es an den Main und zugleich auch an den Stadtwald. Für eine vielfältige Freizeitgestaltung ist das optimal.
Für viele war das Viertel lange Zeit nur ein Arbeitsplatz. Nun wird es aber für immer mehr Menschen zum Zuhause. Kann dieses Zusammenspiel von Arbeit und Wohnen tatsächlich funktionieren?
Unsere Vision ist es, dass sich das Lyoner Quartier zu einem der attraktivsten Wohn- und Büromischgebiete Deutschlands entwickelt. Vor allem in der Corona-Krise haben wir alle viel von zu Hause aus gearbeitet und dabei gemerkt: Hoppla, das funktioniert ja besser als gedacht!
Denken Sie also, dass Arbeiten und Wohnen auch in Zukunft näher aneinanderrücken?
Die traditionelle, jahrzehntelang geltende Trennung von Arbeiten, Einkaufen, Wohnen und Freizeit hat sich längst aufgelöst. Früher hat man nicht dort gewohnt, wo man gearbeitet hat. Heute ist das anders. Die Corona-Krise war für so ein Quartier also durchaus eine Chance. Die Verkehrs- und Klimawende wirkte sich ebenfalls auf das Wohnen, Arbeiten und die Mobilität von heute aus. Viele Menschen wollen schlichtweg nicht mehr lange Wege zur Arbeit fahren. Genau diese gesellschaftlichen Veränderungen können wir im Lyoner Quartier auf engem Raum abbilden. Neben neuen und sanierten Bürogebäuden wurden moderne Wohnhäuser gebaut oder alte, nicht mehr genutzte Bürogebäude zu sogenannten Mikroapartments umgewandelt. Neben den immer noch mehr als 20.000 Arbeitsplätzen gibt es bereits 5.000 Menschen, die im Viertel wohnen. Unsere Zielmarke sind 10.000 bis 12.000 Menschen.
Was kann man sich unter einem solchem Mischgebiet genau vorstellen?
Das Quartier lehnt sich an ein amerikanisches Campus-Konzept an. Dieses hat natürlich nicht die Heimeligkeit eines alten Wiener Quartiers. Aber wenn man sich darauf einlässt, entwickelt es seinen ganz eigenen Charme. Und wenn man durch das Quartier fährt, sieht man viele Grünflächen, aber es gibt eben auch viele Außenparkplätze. Daran muss noch einiges verändert werden.
Das müssen Sie mir bitte genauer erklären …
Die Anzahl der Stellplätze, die früher erforderlich und auch sinnvoll war, ist hier nicht mehr notwendig. Vor allem junge Leute in den Mikroapartments verzichten auf ein Auto. Erster sinnvoller Schritt wäre also, zu analysieren, wie viele Parkflächen es auf und unter der Erde, also in den vielen Tiefgaragen des Quartiers, tatsächlich gibt. Wie werden diese Flächen genutzt, wem gehören sie? Wie sind die derzeitigen Nutzungskonzepte, und könnte man eventuell auch eine Mischnutzung hinbekommen, also freie Plätze in Tiefgaragen an Bewohner vermieten?
Gibt’s da aus Ihrer Sicht schon Ideen, was hier konkret passieren könnte?
Wir haben mehrere Ideen ins Spiel gebracht. Bestimmte Parkflächen im Quartier werden zwar tagsüber von Arbeitnehmern genutzt, stehen jedoch abends völlig leer. Eine vielversprechende Lösung, die auch in unserem Konzept ihren Niederschlag gefunden hat, wäre genau diese Flächen durch eine entsprechende Bemalung zu Sportflächen umzuwandeln. Die Bewohner, Kinder und Jugendliche könnten dort zum Beispiel Basketball spielen. Eine Art Mischnutzung wäre dabei also durchaus denkbar.
Wie sieht es im und rund um das Quartier mit Möglichkeiten zur Naherholung und Lebensqualität aus?
Da gibt es viele Möglichkeiten, die von Bewohnern, aber auch Beschäftigten in den Unternehmen bereits genutzt werden. Am Main gibt es zum Beispiel Segelvereine und Rudervereine. Auf der anderen Seite des Quartiers befindet sich der Wald, der offen für jeden ist. Man kann spazieren gehen, joggen, Fahrrad fahren. Direkt am Rand des Waldes gibt auch es einen renommierten Golfplatz. Und es gibt Fitness-Studios. Es wird aber noch weitere Verbesserungen geben. Eine Grünfläche quer durch das Wohngebiet wird zum kleinen zentralen Park entwickelt. Dort werden Fuß- und Fahrradwege, Beleuchtung und Spielplätze entstehen. Ein geplanter Übergang über die Straßenbahn verbindet diesen Bereich direkt mit dem Wald.
Haben diese positiven Veränderungen das Image schon verbessert?
Als ich damals in der Industrie- und Handelskammer Frankfurt vor rund 30 Fachexperten unser Vereinskonzept und den Strukturwandel im Fachausschuss für Immobilien und Bau vorgetragen habe, habe ich spaßeshalber eine kleine Abstimmung durchgeführt und gefragt: Wer von Ihnen glaubt, dass die Bürostadt Niederrad nicht mehr zu retten ist? Und wer denkt, dass sich daraus ein tolles Quartier entwickelt? Nur zwei Experten waren der Meinung, dass es sich positiv verändern wird, die restlichen 28 waren sich sicher, dass Hopfen und Malz bereits verloren ist. Heute wäre das Ergebnis wohl umgekehrt. Ich habe den Eindruck, dass sieben Jahre positive Veränderungen inzwischen auch von der Frankfurter Bevölkerung wahrgenommen werden.
In Hinblick auf das Lyoner Quartier?
Auf die ganze Stadt. Denn oft hört man, dass man in Frankfurt nicht unbedingt wohnen muss. Dort kann man zwar Geld verdienen, aber Lebensqualität gibt’s da nicht. Wenn Sie aber mal mit dem Boot den Main von Hanau Richtung Frankfurt fahren und den Menschen die Skyline vom Wasser aus zeigen oder die Lebensqualität auf den Main-Wiesen, wenn die Leute an einem Samstagvormittag chillen und Party machen, dann sind viele sehr überrascht.
Ist das Aufzeigen der schönen Seiten der Stadt Ihre Triebfeder, sich bei dem Projekt Lyoner Quartier so zu engagieren?
Als Geschäftsführer einer Kommunikationsagentur beschäftige ich mich intensiv mit der Immobilienwirtschaft. Bei einer Fachveranstaltung bin ich dann auf einen sehr innovativen Stadtplaner und Architekten gestoßen. Wir haben uns angehört, was man alles mit alten, leerstehenden Bürogebäuden machen kann. Und da haben wir festgestellt, dass es dieses Lyoner Quartier, damals noch Bürostadt Niederrad, gibt. Wir wollten mit unserem Know-how aus diesem Gebiet etwas Attraktives machen. Aus dieser Idee entstand unser Verein, dessen Hauptaufgabe der Imagetransfer, das Marketing, aber auch die Öffentlichkeitsarbeit für seine Mitglieder ist.
Nun wurde in einem Wettbewerb ein neuer Name gesucht. Warum Lyoner Quartier?
Wir haben diesen Wettbewerb damals als Verein initiiert. Glauben Sie mir, da waren wirklich ein paar skurrile Namen dabei. Mit Lyoner Quartier waren wir deshalb zufrieden, weil Lyon eine langjährige Partnerstadt von Frankfurt ist. Außerdem tragen die Straßen im Quartier allesamt französische Namen. Am 25. September 2021 haben wir unser erstes Quartiersfest gefeiert. Und weil wir Lyoner Quartier heißen, haben wir ein Fest mit französischem Flair gefeiert. Das ist im Übrigen in Frankfurt ein Alleinstellungsmerkmal, weil es so eine Feier mit französischen Anklängen bis jetzt nicht gibt. Also feiern wir künftig jeden September „Quiche & Co. – Das Fest im Lyoner Quartier“. Wir hatten bei der Premiere übrigens mehr als 2.000 Gäste.
Zu einem Fest geht man mit guten Emotionen und ist auch direkt aufnahmebereit für viele Aspekte. Gibt es einen Gedanken hinter dieser Veranstaltung?
Dieses Fest wird jährlich stattfinden und hoffentlich noch wachsen. Ein Fest ist immer eine gute Möglichkeit, Menschen, auch aus anderen Stadtteilen, zu begegnen. Und wenn man dann wirklich dort steht, direkt am Wald, ringsum neue Gebäude, dann hat das auch was mit Lebensqualität zu tun. Wir hoffen, dass „Quiche & Co.“ ein Markenzeichen für unser Quartier wird.
Klingt alles ziemlich vielversprechend. Gibt es aber zurzeit noch ein Problem, das es aus Ihrer Sicht dringend zu lösen gilt?
Wir brauchen unbedingt eine Grundschule. Dafür ist bisher nur ein Provisorium vorgesehen. Wir hätten uns auch einen etwas akzentuierteren Quartiersplatz als Treffpunkt vorgestellt. Doch auch hier sind wir leider an Grenzen gestoßen, da kein geeignetes städtisches Grundstück verfügbar war. Wir würden uns außerdem wünschen, dass die Stadt in den nächsten Jahren noch mehr für die Aufenthaltsqualität im Freien tut und die Straßen zugunsten von Fußgängern und Radfahrern umgestaltet.
Aktuell gibt es aber schon einige belebte Plätze, oder?
Ja, auf einem Platz ist etwa gerade ein sehr interessantes, innovatives Gebäude namens KANSO in Entwicklung, ein Projekt unseres Vorsitzenden Dr. David Roitman. Das lehnt sich architektonisch an die japanische Ästhetik an. Es entstehen im Erdgeschossbereich Gastronomie und ein Kindergarten. Außerdem gibt es davor einen kleinen Boulevard mit Bäumen und Sitzgelegenheiten. Dort werden sich die Menschen gerne aufhalten. Zusammengefasst kann ich sagen, dass wir mit der bisherigen Entwicklung sehr zufrieden sind, auch wenn noch einiges zu tun ist.
Interview: Johannes Stühlinger
Bilder: Lyoner Quartier