Der unsichtbare Blickfang
Mit dem Longbranch House hat das Architekturstudio MW Works ein Haus errichtet, das sich nicht nur harmonisch in die dichte Waldlandschaft unweit von Seattle einfügt, sondern hinter einem Vorhang hoher Tannen zu verschwinden scheint.
Longbranch, im Nordwesten des US-Staats Washington. Ein beschauliches Örtchen auf der Key-Halbinsel unweit der kanadischen Grenze. Hier befindet sich der Puget Sound, eine Meerenge, die sich über 150 Kilometer von der Küste bis ins Landesinnere erstreckt. Ihr Einfluss macht sich vor allem am Landschaftsbild bemerkbar, das von zahlreichen Inseln und Halbinseln geprägt ist.
Um das Jahr 1830 erreichten erste europäische Siedler das Gebiet, wobei es immer wieder zu bewaffneten Konflikten zwischen den Ureinwohnern und den Einwanderern kam. Diese eskalierten schlussendlich im Puget-Sound-Krieg zwischen 1855 und 1865. Heute erinnern viele Orts- und Flussbezeichnungen daran, wer hier einst – lange vor den weißen Siedlern – beheimatet war. So verdankt etwa die Stadt Seattle ihren Namen einem Häuptling der Ureinwohner.
Erst Anfang des Jahres 2024 hat das in Seattle ansässige Architekturstudio MW Works hier, in den dichten Wäldern von Longbranch, ein Wohnhaus fertiggestellt. Ein Haus, das laut eigenen Angaben „entworfen wurde, um übersehen zu werden.“ Mit kleinstmöglichem Einfluss auf die umliegende Natur fügt sich das Design harmonisch in diese ein.
Design und Natur im Einklang
Umgeben von hohen Tannen steht das Longbranch House im Hang. Der Blick auf die Bucht bleibt jedoch frei. Die Eigentümer des Hauses sind ehemalige Feriengäste, die über Jahrzehnte immer wieder Urlaub in der Region gemacht hatten – bis sie sich schließlich den Traum vom Eigenheim in der neuen Wahlheimat erfüllten.
Ein baufälliges Gebäude, das sich auf dem Grundstück befand, wurde entfernt, bevor das Longbranch House errichtet wurde – gebaut auf einem besonders umweltschonenden Fundament aus Balken und Pfählen, die den Waldboden und das Wurzelwerk bestmöglich erhalten. MW Works haben das Haus zudem so entworfen, dass für den Bau keine Bäume gefällt werden mussten; es fügt sich „organisch in die grüne Kulisse ein“, wie es seitens des Studios heißt. Ein üppig bepflanztes Dach und meterhohe Douglasien, die den Haupteingang rahmen, lassen das Anwesen beinahe nahtlos mit seiner Umgebung verschmelzen.
Wald und Meer
Die Zufahrt zum Wohnhaus führt über einen schlangenförmigen Kiesweg. Das 288 Quadratmeter große Gebäude teilt sich in einen zentralen Gemeinschaftsbereich sowie zwei davon ausgehende Flügel, die um einen Innenhof mit Steingarten angeordnet sind. Etwas erhöht gehört neben dem einstöckigen Haupthaus auch eine freistehende Garage von 74 Quadratmetern zu dem Anwesen.
Der zentrale Teil des Hauses beherbergt die Gemeinschaftsräume: Küche, Essbereich und Wohnzimmer. Eine daran anschließende Außenterrasse gibt den Blick über den Hang und die Bucht frei. Während in einem Flügel das Schlafzimmer und das Badezimmer untergebracht sind, finden sich im anderen zwei Gästezimmer. Die Büros der Eigentümer ergänzen die jeweiligen Seitentrakte.
Verborgener Hingucker
Holz als Baumaterial, in schlichter, moderner Umsetzung, hinterlässt einen harmonischen Eindruck – sowohl außen als auch, was das Interieur des Longbranch House betrifft. Während die Wände der Privaträume mit dunklem Zedernholz verkleidet sind, durchziehen freiliegenden Balken aus regionalem Holz die Decke der Wohnküche.
Das Wohnzimmer verfügt dank einer großzügigen Fensterfront zudem über einen spektakulären Ausblick auf den bewaldeten Hang und den Puget Sound. Ein ähnliches Panorama bietet sich vom Schlafzimmer der Eigentümer, das über einen eigenen Außenraum verfügt. Die großzügige Verglasung macht den umliegenden Wald zum integralen Bestandteil des Einrichtungskonzept. Mit dem Longbranch Haus haben MW Works es geschafft, ein Wohnhaus inmitten der Natur zu konzipieren, das sich achtsam und harmonisch in seine Umgebung einfügt. Oder, um es anders auszudrücken: Man sieht das Haus vor lauter Bäumen nicht.
Text: Rabea Scheger
Bilder: Andrew Pogue