Londons luxuriöse Unterwelt
Die Reichen leben in Penthäusern, die anderen in den Etagen darunter. Dieses ungeschriebene Gesetz gilt für alle Metropolen dieser Welt. Nur nicht für London – hier sind nämlich die Kellerkinder das Maß aller Dinge.
Gerade erst wurde die schmucke Villa um fast 30 Millionen Euro verkauft. Dabei wollte Immobilienentwickler Costas Diamantopoulos ursprünglich bloß 28 Millionen dafür haben. Aber ausgerechnet die luxuriöse Unterwelt, der Keller also, hat den Preis in ungeahnte Höhen getrieben!
Geheime Unterwelt
Um dieses Paradoxon zu verstehen, muss man wohl dieses offensichtlich besondere Untergeschoss genauer unter die Lupe nehmen. Denn da wird schnell klar: Mit einem klassischen Keller haben die drei unterirdischen Ebenen rein gar nichts zu tun:
Das Kellergeschoß eins nimmt eine Garage mit vollautomatischen Plattformen ein, die drei Autos im Rotationsprinzip ausspucken können. Außerdem befinden sich auf dieser Ebene drei Schlafräume mit dazugehörigen Bädern.
Einen Stock tiefer wird es dann aber erst richtig gemütlich: türkisches Dampfbad, geräumiger Wellness-Bereich und ein 21 Meter langer Swimmingpool, dessen Kachelboden mittels einer Hydraulik-Konstruktion bei Bedarf angehoben werden kann, um den Raum zur Tanzfläche umzufunktionieren. Noch ein Niveau darunter finden sich Technik- und Lagerräume.
Macht in Summe also 800 Quadratmeter Nutzfläche im Herzen des Londoner Nobelviertels Notting Hill – von denen mehr als die Hälfte unter der Erde liegen und den Wert der Immobilie in astronomische Höhen treiben. Eine Unterwelt, wie eine Wunderwelt, also.
4650 Mega-Keller unter London
Doch dieses Objekt ist aus unserer Perspektive zwar außergewöhnlich, für London aber aktueller Superreichen-Standard: Weil es nämlich vor allem in den inneren, schicken Vierteln schwierig ist, mehr als drei Geschosse in die Höhe zu bauen, verlagert sich seit der Jahrtausendwende die Wohnraumbeschaffung der reichen Londoner immer mehr in den Untergrund. Während also andere versuchen, das Wasser mit modernen Hilfsmitteln zu besiedeln, gehen die Briten lieber in den Keller lachen.
Allein 4650 Baugenehmigungen für zusätzliche Kellergeschosse wurden in den vergangenen zehn Jahren in sieben innerstädtischen Bezirken der Stadt erteilt. Das ergab eine aktuelle Untersuchung von Roger Burrows, Professor an der Architektur-Fakultät der Universität Newcastle. 112 der Bauwerke darunter kann man getrost als „Mega-Projekte“ wie jenes von Costas Diemantopoulos beschreiben. Dabei werden mindestens drei zusätzliche Stockwerke unter dem bestehende Grundriss des Gebäudes in die Tiefe gegraben.
Was sind Eisberghäuser?
Das hat zur Folge, dass viele Objekte oberirdisch fast minimalistisch wirken und erst unterirdisch ihre wahre Dimension entfalten. Aus eben diesem Grund werden die Londoner Unterwelten längst als „Iceberg Homes“ – als Eisberghäuser bezeichnet.
Allerdings kommt zu dem offensichtlichen Sprachbild derzeit noch ein weiteres hinzu: Die verstärkte Maulwurf-Buddelei sorgt nämlich innerhalb der Luxus-Londoner für eine Art Eiszeit: Nachbarschaftsstreitereien sind überall, wo solche Eisberghäuser entstehen, an der Tagesordnung.
Für ein richtig großes Projekt, das drei neue Kellergeschosse schafft, können da schon 1500 Lkw-Fuhren Aushub anfallen!
Stephen Merritt, Keller-Profi
Um Schutt und Erde aus den Untergeschossen der Baustellen zur Straße zu transportieren, nutzen die Unternehmen laute Förderbänder. „Für ein richtig großes Projekt, das drei neue Kellergeschosse schafft, können da schon 1500 Lkw-Fuhren Aushub anfallen“, rechnet Stephen Merritt vor. Er ist Chef von „London Basement“, dem größten Spezialisten für aufwendige Kellerausbauten der Stadt.
Und er zeigt Verständnis für das Anrainer-Ärgernis: „Die Laster rumpeln dann durch die engen Straßen der feinsten Vierteln der Stadt. Kein Wunder, dass Nachbarn auf Eisberg-Häuser nicht gut zu sprechen sind.“
Auf der anderen Seite hat Merritt einen anderen Trend festgestellt: Das Buddelfieber verbreitet sich in manchen Straßen wie ein Virus: „In einer Straße in Chelsea haben wir in einem Haus gebaut. Als der Keller fertig war und der Kunde ihn den Nachbarn gezeigt hat, wollten ein paar von denen auf einmal auch neue Keller haben“, sagt er.
Gefahr im Verzug?
Und so wird auf Hochtouren weitergegraben – die Schlagzahl wurde in den vergangenen Monaten sogar noch erhöht. Grund dafür: Man fürchtet ein baldiges Ende des goldenen Zeitalters. Denn: Die Politik schaut von Monat zu Monat genauer hin. Und spätestens, seitdem im Reichenviertel Kensington, gleich neben dem Kensington Palast, wo William, Kate und ihre drei royalen Zwerge George, Charlotte und Louis residieren, ein Haus aus dem 19. Jahrhundert während der Unterkellerung in sich zusammengestürzt ist, werden Genehmigungen immer seltener erteilt.
Aber solange es sich finanziell auszahlt, den Untergrund Londons auszuhöhlen, werden Millionäre und Baufirmen alles daran setzen, weiterzugraben. Und die Rechnung ist laut Experten Merrit durchaus imposant: „Der Quadratmeter Wohnfläche kostet in den guten Vierteln 20.000 Euro und mehr. Wenn jemand sein Untergeschoss für 5.000 Euro pro Quadratmeter ausbaut, bekommt er vergleichsweise günstig mehr Wohnraum.“
Der Quadratmeter Wohnfläche kostet in den guten Vierteln 20.000 Euro und mehr. Wenn jemand sein Untergeschoss für 5.000 Euro pro Quadratmeter ausbaut, bekommt er vergleichsweise günstig mehr Wohnraum.
Stephen Merritt, Baumeister der Superreichen
Und wenn diese Unterwelt dann auch noch richtig luxuriös ausgestattet ist, geht der Preis der Immobilie mit jedem Quadratmeter Keller mehr durch die Decke. Kein Wunder also, dass Roman Abramowitsch gleich von Anfang an mitmischt: Schon vor zehn Jahren kaufte der russische Oligarch eine Villa in Kensington Palace Gardens. Er ließ den Pool zuschütten, baute darunter einen neuen Badebereich in einem Gewölbekeller. Natürlich nach viktorianischem Vorbild, samt Dampfbad, Sauna und Umkleidekabinen.
Angeblich soll er in seiner ganz persönlichen Unterwelt später einen Golfplatz errichtet haben. Aber das ist in seinen Augen vermutlich nichts anderes, als ein etwas größeres Kellerabteil.
Fazit: In Sachen Statussymbolik haben diese „Eisberghäuser“ in der britischen Metropole längst den Penthäusern den Rang abgelaufen. Wer in Londons High Society wirklich eine Rolle spielen möchte, der muss seine Luxusgemächer unter die Erde verlegen.
Text: Johannes Stühlinger
Fotos: Gettyimages