Lindenberg – oder wie man „Hotel“ neu definiert
Das renommierte Büro Franken Architekten hat in Frankfurt ein außergewöhnliches Hotelprojekt gebaut: Im „Lindley Lindenberg“ nützen Dauermieter und Reisende gemeinschaftliche, klug designte Räume. Wer Anonymität nicht schätzt und gern kommuniziert, erlebt hier ein völlig neues Hotel-Konzept: WG-Feeling für Fortgeschrittene.
Es ist „kein Hotel“, sondern eine „Gästegemeinschaft“. So beschreiben die Betreiber ihr inzwischen drittes Haus. Und dies ist längst nicht alles, was das vor wenigen Monaten eröffnete „Lindley Lindenberg“ in Frankfurt am Main besonders macht. Für seine Gestaltung zeichnen Franken Architekten, Exitecture (Bauleitung) und Studio ABERJA (Interieur) verantwortlich. Ein spannendes Projekt – in jeder Hinsicht.
Transparente „Wunderkiste“
Dass Lindley Lindenberg tatsächlich „anders“ ist, beweist es schon von außen. Das vielfach preisgekrönte Büro Franken Architekten hat hier einen einladenden, höchst kreativen Blickfang gestaltet: Durch die verglaste Fassade kann man die über sieben Etagen verteilten, bunten Gemeinschaftsräume sehen. Im Gegensatz zu den privaten Zimmern werden diese von Gästen und Dauermietern gemeinsam genützt.
Der riegelförmige Baukörper ist in einen Zimmertrakt mit Lochfassade und eine südseitige „Wunderkiste“ geteilt, in der sich teils doppelgeschossige Gemeinschaftsräume befinden.
Die „Wunderkiste“ unterscheidet sich durch eine vorgehängte Gusseisenfassade an den geschlossenen Seiten vom Zimmertrakt. Im Süden öffnet sie sich – vollständig verglast – zum Becken des Osthafens.
Zwischen WG und Hotel
Die Geschossdecken zeichnen die mit Split-Leveln und Treppen verbundenen Raumabschnitte nach und betonen die vertikale Stapelung. Eine Bauweise, die zugleich Basis des neuen, innovativen Hotel-Konzeptes ist, für das das „Lindley Lindenberg“ steht: Durch die kollektiv genützten Räume wird das Haus zu einer Art Luxus-Wohngemeinschaft, die Kommunikation fördert.
Die von Franken Architekten gewählten Materialien sind eine Referenz auf die einst im Osten Frankfurts dominierende Industriearchitektur. Gusseisen, Putz und Klinker, sowie die klassische Dreiteilung des Zimmertrakts in Sockel, Schaft und Dachabschluss erinnern an die Gründerzeit.
Gusseisen, Holz und Grün
Mehr als 2000 Elemente aus Gusseisen – so schwer wie 70 Elefanten – prägen die Außenhaut der Wunderkiste. Der Sockel wird durch bodentiefe Fenster betont, die eine Verbindung zum Garten herstellen. Ornamentfelder und bodentiefe, schlichte Holzfenster strukturieren den Mittelteil. Den Dachabschluss bildet ein Gesims.
Stimmiges Farbkonzept
Jeder Gemeinschaftsbereich greift unterschiedliche Nuancen des Gesamtfarbkonzeptes auf. Während etwa die Bäckerei und der Empfangsbereiche im Erdgeschoss in Winterblau-Tönen gehalten sind, regiert im ersten Stock dunkles Graublau. Die „Gute Stube“ leuchtet in Curry- bis Zitronen-Gelbtönen. „Kräuter-“ und „Baum-Raum“ sind in Lachsrosa, der Bar-Bereich in Lilabraun gestaltet.
Die Lindenberg-Gruppe wäre nicht, was sie ist, wenn man nicht auch gleich den Begriff „Farbe“ neu interpretiert hätte: Über das eigene Musiklabel LOTTE LINDENBERG wurde zur Eröffnung des dritten Hauses die Platte „ELLIE FORD – Light Repeated“ veröffentlicht. Ein spezieller Lindley-Sound, der die Klangfarbe des Projekts repräsentieren soll und vor Ort an verschiedensten Stellen hörbar ist.
Stil-Mix á la Lindenberg
Das Interieur des Lindley Lindenberg bestimmen präzise Linien, Bögen und Muster, die sich auf frühere Stilepochen beziehen. Das Design lebt vom Kontrast alter und neuer Elemente.
Eigens gesammelte, verschiedene Thonet-Stühle, e15 Tische, Vintage-Leuchten von Frank Landau, Regale von Muller Van Severen, Boxspringbetten von Fennobed und von studio ABERJA speziell entworfene Möbel und Lampen ergeben einen schicken Mix.
Eine Besonderheit des Hauses sind auch die speziell gefertigten Raumtrennelemente aus filigranen Stahlprofilen. Auf Basis des GRID entworfen, definieren sie in Zimmern und öffentlichen Zonen Bereiche unterschiedlicher Nutzung. ABERJAs Material-Wahl sorgt für ein feines, unaufdringliches Gesamtbild.
Harmonie durch Material-Vielfalt
Da trifft etwa dunkler, grober Gussasphalt auf warmes Walnussholz – zum Beispiel in Form von in den Boden eingelassenem Parkett. Selbst entworfene, rautenförmige Fliesen von Kaufmann Keramik und Wiener Geflecht schmücken die Wände. Und Kupfer-Elemente finden sich nicht nur im Küchenblock des Restaurants, sondern im ganzen Haus.
Natürliche Materialien wie Muschelkalk fügen sich stimmig ins Innen-Design. Schwere Vorhänge und Sesselpolster von Kinnasand sorgen für wohliges Wohngefühl. Exklusiv für Lindley Lindenberg gefertigte Textilien brechen als Polster, Pantoffel und andere Details das gedeckte Farbschema der Zimmer.
Dass diese Stoffe in Sierra Leone von ehemaligen Beschneiderinnen hergestellt werden, denen der Umstieg vom grausamen Handwerk der genitalen Verstümmelung zum Schneiderinnen-Beruf ermöglicht wurde, entspricht der Philosophie der Lindenberg-Gruppe. Projekte wie dieses werden über die Schwesterorganisation „Pfefferminzgreen“ unterstützt.
Ressourcen-Schonung groß geschrieben
Wie die beiden anderen Lindenberg-Häuser wird auch das Lindley als „Conscious Business“ geführt. Man setzt auf vegetarische Küche und größtenteils in der eigenen Landwirtschaft im Taunus angebaute Produkte.
Das Lindley selbst hat sogar eine eigene Indoor-Farm, in der Kräuter gezogen werden. Ressourcenschonung wird hier großgeschrieben, weil man hoffe, „ausschließlich Menschen im Lindley zu versammeln, die die Welt genauso lieben, wie wir“.
Die Gäste des Hauses können sich in den 100 hübschen Zimmern zurückziehen, oder nach Herzenslust von den Gemeinschaftsräumen profitieren. Egal, ob sie nur eine Nacht, mehrere Wochen, Monate oder auch Jahre bleiben möchten.
Restaurants & Gemeinschaftsküchen
Möglichkeiten zur Entspannung, aber auch zu privater oder beruflicher Beschäftigung gibt es im Haus genug. Restaurants und Gemeinschaftsküchen, eine Stube zum Lesen und Musikhören, Kulturprogramm, Co-Working-Space, Bar, Fitness-Studio, Garten und Dachterrasse sind nur einige davon.
Laut Betreiber-Info hat niemand ein Problem damit, wenn Gäste all diese Angebote „in Jogginghose und Schlappen“ frequentieren. Denn, so General Managerin Denise Omurca: „Wir sind weder ein klassisches Hotel, noch eine Wohngemeinschaft – und doch beides zugleich”. Lindenberg sieht sich bereits seit 2012 als Vorreiter des so genannten „Collaborative Living“. Zugang sei wichtiger als Besitz. Dies entspreche dem gesellschaftlichen Bedarf nach gemeinschaftlichem Wohnen und Arbeiten.
Wohnqualität mit „Wir-Gefühl“
Was geboten werden soll, ist Wohnqualität mit „Wir-Gefühl“, bei gleichzeitiger Möglichkeit zur Individualität. Den Gästen scheint dies zu gefallen. Und, soviel steht fest: Architektur und Konzept des Lindley Lindenberg sind in der Tat bemerkenswert – egal, ob man das Haus nun als Hotel oder als „WG mit besonderen Vorzügen“ tituliert.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Steve Herud, Franken Architekten