So schnell wächst Wiens Holzbauquartier
Dank der hohen Vorfertigung standen die ersten Rohbauten im energieautarken LeopoldQuartier in Rekordzeit. Was die städtische Nachverdichtung in Holz-Hybridbauweise sonst noch bringt, hat Projektleiter Martin Mann bei einem Lokalaugenschein erklärt.
Vor allem Autopendler konnten in den vergangenen Monaten den Baufortschritt an der Oberen Donaustraße 23-27 lückenlos mitverfolgen. An dieser Adresse im zweiten Wiener Gemeindebezirk entsteht gerade in rasantem Tempo „Europas erstes Quartier in Holzbauweise“, wie der Entwickler UBM Development sein Projekt LeopoldQuartier beschreibt. Auf einer Fläche von rund 23.000 Quadratmetern entstehen Büroflächen und neuer Wohnraum. Vor zehn Monaten setzte man den ersten Spatenstich, mittlerweile steht der neun-geschossige Rohbau des Bürogebäudes, der quasi im Schaufenster der Wiener Ausfallstraße in die Höhe wuchs und die Wohnungen dahinter künftig vom Verkehr abschirmt.
Von der Kürze der Bauzeit war man selbst beim Developer überrascht. „Da es sich bei diesem Holz-Hybrid-Bau um das Pilotprojekt handelt, haben wir die erste Bauphase etwas großzügiger bemessen. Die Vorfertigung der Holzbauelemente ging aber schneller als gedacht, weshalb wir jetzt im Bauablauf vorne liegen“, sagt UBM-Projektleiter Martin Mann.
Im Dialog mit den Anrainern entwickelt
Drei von insgesamt fünf Bauteilen zeigen sich bereits in ihrem vollen Volumen, und ein Gefühl der Beklemmung, wie es in manchen neuen Stadtvierteln herrscht, will sich nicht einstellen. Diese Luftigkeit liegt am Bebauungsgrad von rund 50 Prozent, der genug Spielraum zwischen den Kubaturen sowie für einen zentralen Park samt Spielplatz lässt. Möglich sei dies auch deshalb, weil das gesamte Quartier als autofreie Zone geplant ist, so Mann. Die Parkplätze hat man unter die Erde verlegt, oben dürfen lediglich Einsatzfahrzeuge und die „Orangen“ der 48er – die hiesige Müllabfuhr – zufahren.
Damit am Ende keine Unzufriedenheit bleibt, ist die Mitbestimmung der zahlreichen Akteure in einem städtischen Gefüge von entscheidender Bedeutung.
Martin Mann, Projektleiter bei UBM Development
Diese „grüne Mitte“ im Quartier war eines der zentralen Anliegen im Bürgerbeteiligungsprozess, ohne den Projekte dieser Art heute nicht mehr denkbar sind. „Damit am Ende keine Unzufriedenheit bleibt, ist die Mitbestimmung der zahlreichen Akteure in einem städtischen Gefüge von entscheidender Bedeutung“, ist Mann überzeugt.
Im März 2020 lud daher die Stadt Wien zu einer zweitägigen „Informationsausstellung und Dialogveranstaltung“ rund um das LeopoldQuartier. Das gesammelte Feedback der Bürgerinnen und Bürger floss schließlich in die Vorgaben für den städtebaulichen Wettbewerb ein.
Städtische Nachverdichtung in Holz
Dass hier mitten in der Stadt 25.400 Quadratmeter Büroraum, 500 neue Wohnungen und ein Apartment-Hotel entstehen, kommt nicht nur den künftigen Bewohnern und Nutzern zugute. Die städtische Nachverdichtung zählt auch zu den probaten Mitteln gegen den schmerzhaft hohen Bodenverbrauch, wie er in Österreich herrscht. Wo einst leerstehende Bürogebäude, Parkplätze und eine Hochgarage wertvollen Stadtraum belegten, wird künftig gearbeitet, gelebt und gespielt.
Der im Holz des LeopoldQuartiers gespeicherte Kohlenstoff entspricht in etwa den jährlichen CO2-Emissionen eines Dorfes mit 1.250 Einwohnern.
Martin Mann, Projektleiter bei UBM Development
Im diesem Fall erfolgt die Nachverdichtung in Holz-Hybrid-Buweise, wovon die CO2-Bilanz des Stadtentwicklungsprojektes in zweifacher Hinsicht profitiert. Zum einen fällt bei der Produktion der Holzbauelemente wesentlich weniger Kohlendioxid an. Zum anderen gilt der Holzbau als wirksame CO2-Senke, da in einem Kubikmeter Holz rund 1 Tonne Kohlenstoff gebunden ist.
Hochgerechnet auf das gesamte Quartier heißt das: In den rund 11.000 Kubikmetern an verbautem Holz sind rund 11.000 Tonnen des schädlichen Treibhausgases auf lange Sicht gespeichert. Weil man sich darunter als Laie nur schwer etwas vorstellen kann, liefert der Projektleiter einen Vergleich: „Der im Holz des LeopoldQuartiers gespeicherte Kohlenstoff entspricht in etwa den jährlichen CO2-Emissionen eines Dorfes mit 1.250 Einwohnern.“
Zu Beginn habe der Weg der Nachhaltigkeit einiges an Überzeugungsarbeit gefordert. „Aber jetzt ist es schön zu sehen, wie alle an einem Strang ziehen“, so der Projektleiter. Anders als bei der herkömmlichen mineralischen Bauweise müsse man im Holzbau wesentlich mehr und besser vorausplanen. „Der digitale Zwilling bildet die Grundlage für die millimetergenaue Vorfertigung der Holzbauteile, und hier ist von Anfang an jede Steckdose und jeder Kabelauslass festgelegt. Dies führt nicht nur zu einem effizienteren Bauprozess, auch die Qualität in der Ausführung ist am Ende höher.“
Energieautark mit Erdwärme und Sonnenstrom
Während die Stadt Wien im jungen Stadtviertel Aspern gerade daran arbeitet, die Thermalwasservorkommen in drei Kilometer Tiefe für emissionsfreie Fernwärme zu erschließen, hat man die Energienutzung im LeopoldQuartier selbst in die Hand genommen.
Ein eigenes Geothermie-Kraftwerk samt Photovoltaikanlage liefert grüne Energie für Wiens neues Grätzel. „Damit ist das gesamte Quartier energieautark und von fossilen Energieträgern unabhängig“, sagt Mann. Wie die Nutzung von Erdwärme genau funktioniert und welches Potenzial noch in dieser Technologie steckt, hat die Geothermie-Chefin Anita Angerer von PORR im Interview erklärt.
Die Fertigstellung des Bürogebäudes und der ersten 75 Wohnungen ist mit Ende des Jahres geplant. Damit bekommt die Obere Donaustraße nicht nur ein Aushängeschild in Sachen nachhaltiges Bauen. Die Stadt Wien plant auch eine Änderung für den Verkehr und möchte die grüne Mobilität an dieser Stelle ausbauen. Die Fahrbahn, die nur in diesem Abschnitt dreispurig ist, wird auf zwei Spuren reduziert. Die neu gewonnene Fläche bietet künftig mehr Platz für Radfahrer, Fußgänger und Bäume.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Philipp Horak, UBM Development