Der neue Lehm-Minimalismus
Immer mehr Star-Architekten bauen in Lehm und modernisieren so die Ästhetik des Urtypen aller Baustoffe. Das Vorarlberger Unternehmen Lehm Ton Erde wurde nun als Pionier dieser Bauweise mit dem New European Bauhaus Award ausgezeichnet.
Das Bauen mit Lehm hat eine 10.000 Jahre alte Tradition. Noch heute lebt etwa ein Drittel der Menschheit in Lehmhäusern, in den Entwicklungsländern sogar mehr als die Hälfte. Während der Lehmbau in den Industrienationen über lange Zeit in Vergessenheit geraten ist, erlebt er nun sein großes Comeback. Internationale Architekturbüros wie Herzog & de Meuron und Snøhetta setzen auf den nachhaltigen Baustoff und auf das Wissen des Vorarlberger Lehmbauspezialisten Lehm Ton Erde.
Firmengründer Martin Rauch sprach mit dem UBM Magazin über den Paradigmenwechsel beim Bauen.
Kooperation mit Star-Architekten und Designern
Ein geometrisch gefalteter Küchenblock aus Stampflehm ist das neue Herzstück des Wiener Lokals Mochi. Das Büro KLK bescherte dem experimentellen Japaner einen „Director’s Cut“ und ließ die parametrisch designte Theke von Rauch und seinem Team in Stampflehm umsetzen. Diese minimalistische Ästhetik wäre früher ein klassischer Fall für den Sichtbeton gewesen. Mittlerweile kommt immer öfter Lehm zum Einsatz, der den Beton ökologisch um Längen abhängt.
Auch das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron klopfte bei der Firma Lehm Ton Erde an, als es um den monolithischen Bau des Ricola Kräuterzentrums im schweizerischen Laufen ging. Der bis dato größte Lehmbau Europas besteht aus 666 einzelnen Stampflehm-Elementen. „Wir haben für den Bau eine eigene Maschine entwickelt, um die Elemente in der vorgegebenen Zeit kostengünstig zu produzieren“, erklärt Rauch die Herausforderung des Projektes. Der Lehm dafür wurde in einem Umkreis von zehn Kilometern um die Baustelle herum gewonnen.
Das Ziel muss sein, dass man den Aushub nicht als Abfall, sondern als Wertstoff sieht.
Martin Rauch, Gründer von Lehm Ton Erde
Mit ihrer 35-jährigen Erfahrung im Lehmbau ist die Lehm Ton Erde Baukunst GmbH heute ein international gefragtes Unternehmen. Ob im hessischen Darmstadt für den Firmensitz des Bio-Lebensmittelherstellers Alnatura oder in Saudi Arabien für Snøhettas King Abdulaziz Center for World Culture – der Lehmspezialist aus der kleinen Vorarlberger Ortschaft Schlins liefert den CO₂-freundlichen Baustoff und das dazugehörige Knowhow.
Erde zu Lehm, Lehm zu Erde
Die Vorteile von Lehm muss man eigentlich nicht erklären, wenn man weiß: „Stampflehm ist zu hundert Prozent getrocknete Erde, ohne Stabilisierung“, wie Rauch vorausschickt. Dadurch lässt er sich beliebig oft und ohne Qualitätseinbußen recyceln. Das Ausgangsmaterial bildet in vielen Fällen der Aushub auf der Baustelle, den sonst niemand braucht. Dieses Zero-Kilometer-Baumaterial ist unbeschränkt vorhanden und muss nicht CO₂-intensiv aufbereitet und schließlich an den Bestimmungsort transportiert werden.
Der Lehm ist bereits da. „Bei manchen Projekten kann das vorhandene Material eins zu eins gestampft werden“, erklärt Rauch die kreislauffähige Bauweise. „Das Ziel muss sein, dass man den Aushub nicht als Abfall, sondern als Wertstoff sieht. Richtig aufbereitet könnte er künftig auch für den Straßen- und den Betonbau verwendbar gemacht werden.“ Da bei einem Lehmhaus nichts chemisch oder mineralisch verbunden ist, könne man das Material am Ende seiner Lebensdauer einfach trennen. Dann bildet es den Baustoff für neue Häuser oder wird ganz einfach in der Baugrube entsorgt. Damit schließt sich der Kreislauf.
Der Retter in Krisenzeiten
Entscheidende Anstöße zum Lehmbau fand Rauch in Afrika, wo er vor vielen Jahren als Entwicklungshelfer arbeitete. Dort konnte er beobachten, wie einfache Kreisläufe in den Bau- und Lebensweisen der Menschen durch extrem aufwändige, nicht rezyklierbare Technologien aus der Ersten Welt verdrängt wurden.
In unseren Breitengraden griff man in Krisenzeiten wie in den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Lehm zurück, weil Zement nicht verfügbar war. Sobald sich die Lage stabilisierte, vergaß man wieder auf den Naturbaustoff. Jetzt, inmitten der Klimakrise, erlebt der Lehmbau ein erneutes Revival.
Neben der besseren CO₂-Bilanz und der Kreislauffähigkeit schafft Lehm ein angenehmes Raumklima. Er kann Feuchtigkeit regulieren, speichert Wärme, bindet Schadstoffe und ist schwer entflammbar. „Diese Vorteile muss man noch zusammenfügen und in eine adäquate Architektursprache übersetzen, dann hat der Baustoff ein Riesenpotential. Der Lehm wird jetzt eine Renaissance erleben, die nicht mehr abklingt“, ist Rauch überzeugt.
Vorfertigung von Stampflehm
Mit seiner Lehmbaumarke Erden hat Rauch nach eigenen Angaben das weltweit erste System der Vorfertigung entwickelt, das wesentlich kürzere Bauzeiten erlaubt. Dabei werden die Lehmelemente witterungsgeschützt in der Halle vorproduziert. Auf der Baustelle können die Teile in kürzester Zeit zusammengesetzt werden. Sobald die Fugen mit einem Wasser-Lehmgemisch ausgefüllt sind, entsteht eine fugenlose Fassade mit den typischen Sedimentstreifen. Zusätzliche Armierungsschichten wirken einer tiefgreifenden Erosion entgegen.
Der Lehm wird jetzt eine Renaissance erleben, die nicht mehr abklingt.
Martin Rauch, Gründer von Lehm Ton Erde
Dass der Lehmbau außen keinen Verputz hat und der Witterung ausgesetzt ist, mögen Kritiker als Nachteil sehen. Der Lehmbau-Experte sieht das anders: „Erosion ist eher ein psychologisches Problem als ein technisches. Der Lehm wittert gut und wird mit der Zeit schöner.“ Rauch und sein Team betreiben viel Forschungsarbeit zum Stampflehm. Damit schaffen sie eine Bemessungsgrundlage für Statiker und die Basis für künftige Bauprojekte in Lehm.
New European Bauhaus Award 2021
Dieses System der Vorfertigung wurde nun mit dem New European Bauhaus Award 2021 ausgezeichnet. Das Neue Europäische Bauhaus ist eine Initiative der Europäischen Kommission, die darauf abzielt, die CO₂-intensive Bauindustrie nachhaltiger zu gestalten. In einer weiteren Kategorie erhielt auch das Ayurveda-Gästehaus RoSana in Rosenheim, ein weiteres Erden-Projekt in Kooperation mit Anna Heringer, den NEB-Award. Für Rauch sind die Preise eine Bestätigung seiner langjährigen Arbeit und der Beginn einer neuen Ära: „Diese Auszeichnungen sind ein Hinweis darauf, dass hier gerade ein Paradigmenwechsel stattfindet.“
Dass auch große Baukonzerne beginnen, sich mit dem Lehm auseinanderzusetzen, ist für Rauch nur eine Frage der Zeit, denn: „Durch die CO₂-Bepreisung werden herkömmliche Baustoffe teurer und Lehm wird günstiger werden.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Benedikt Redmann, Iwaan Baan, David Schreyer, Beat Bühler, Hanno Mackowitz, Lehm Ton Erde