Kultur hinter Gittern
Kultur statt Knast, Hörsäle statt Häftlinge: Ein ehemaliges Gefängnis wurde im spanischen Palencia von Exit Architects zum Kulturzentrum Lecrác umgestaltet.
Auch, wenn man es – gerade in Zeiten wie diesen – immer wieder mal hört: Nur selten war früher tatsächlich „alles besser“. Sehr selten. So hat sich in aufgeklärten, humanitären Gesellschaften beispielsweise der Strafvollzug in den letzten Jahrzehnten radikal gewandelt. Weg von Isolation und Bestrafungsgedanken, hin zu Betreuung und Resozialisierung.
Damit einhergehend wurden überall auf der Welt zahlreiche Haftanstalten obsolet. Sie waren schlicht zu alt, zu unmodern, zu inhuman. Und so erfahren Gefängnisse nicht selten eine neue Nutzung, nachdem sie für ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr gebraucht werden. Sie beherbergen dann Ausstellungen, werden zu Touristenattraktionen oder sogar zu Hotels mit einem, nun ja, ganz speziellen Flair.
Auch das Provinzgefängnis im spanischen Palencia, rund 50 Kilometer nordöstlich von Valladolid, hat seinen angestammten Zweck mittlerweile erfüllt. Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, hatte es knapp hundert Jahre später ausgedient – zumindest als Haftanstalt. Denn das Prisión Provincial de Palencia sollte erhalten und mit neuem Leben erfüllt werden. Und ebendas passierte schließlich 2014: Das 300 Quadratmeter große Areal wurde zu einem Kulturzentrum namens Lecrác, entworfen von Exit Architects mit Sitz in Madrid.
Historischer Strahlenbau
Der Komplex des Gefängnisses war im neumaurischen Stil errichtet worden, der im 19. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel verbreitet zu finden war: Das Prisión Provincial war ein Backsteingebäude mit Elementen der islamischen Architektur wie Lambrequinbögen und Stuckdekore. Die Häftlingstrakte waren dabei – nach dem Konzept von Jeremy Benthams Panopticon – in Strahlenbauweise um den zentralen Trakt der Wachbeamten angeordnet.
Wie Exit Architects erklärten, sollte ihr Projekt „das bestehende Gebäude respektieren und ihm ein modernes, helleres Aussehen verleihen, bei dem natürliches Licht eine Schlüsselrolle spielt.“ Man wollte „das ehemalige Gefängnis in einen Treffpunkt umwandeln, einige der alten Räume wiederherstellen und gleichzeitig neue Strukturen schaffen, welche die geplanten Aktivitäten ermöglichen.“
Gläsernes Nervenzentrum
Die zweistöckigen Hauptflügel wurden renoviert, die Innenräume komplett leergeräumt und eine neue tragende Struktur für Böden und Dächer errichtet. Darüber hinaus schuf man zwischen den Hauptflügeln Verbindungspavillons, die als neuer Komplex ein modernes und einladendes Erscheinungsbild bieten.
Im früheren Zellentrakt wurden die Bücherei und die Lesesäle untergebracht. Sie sind um ein achteckiges, offenes Stiegenhaus angeordnet, das in einer Dachlaterne mündet und so von natürlichem Licht durchflutet wird. Ebenfalls an diesen Bereich angrenzend befinden sich Büros und Technikeinrichtungen.
Der Eingangsbereich des Lecrác fungiert, so Exit Architects, als „Filter zwischen der Stadt und dem Inneren des Kulturzentrums“. Der Zugang erfolgt durch einen stählernen Zaun, der bewusst an die frühere Nutzung des Gebäudes erinnert. Verkleidet wurde die Absperrung mit Milchglas, das ihr wiederum eine moderne Optik und eine gewisse Leichtigkeit verleihen soll.
Am 1. Juli 2014 wurde das Lecrác nach drei Jahren Neugestaltung eröffnet und dient unter anderem als Sitz der Abteilung für Kultur, Tourismus und Festivals des Stadtrats von Palencia. Seit dem 15. November 2021 beherbergt das Gebäude zudem die Stadtbibliothek.
Text: Michi Reichelt
Bilder: Fernando Guerra