Wenn Kinderträume wahr werden
Um eine neue Form des langsamen Tourismus zu ermöglichen, will der italienische Architekt Peter Pichler in West Virginia ganz besondere Baumhäuser wachsen lassen.
Die Gegend rund um den „Dawson Lake“ in West Virginia gilt als nahezu unberührt. Unberührte Wälder und Wiesen. Bäche mit kristallklarem Wasser, die den idyllischen See speisen. Ein Öko-System wie aus dem Naturlehrbuch und kaum Menschen, die es zerstören könnten. Deshalb sagen die wenigen, die hier nahezu in der Enklave leben, „es sei die wildeste und gleichzeitig wunderbarste Landschaft“ West-Virginias.
Balanceakt zwischen Bäumen & Bauten
Eben in diesem Naturjuwel soll nun der Startschuss für ein ambitioniertes und durchaus heikles Projekt erfolgen: Der Bundesstaat möchte 100 Hektar rund um den See in ein „lebendiges Labor“ verwandeln. Das bedeutet, hier sollen Gebäude, ein Konferenz- und Veranstaltungszentrum, ein Lebensmittel- und Landwirtschaftszentrum, Gesundheits- und Wellnessangebote, Workshops für nachhaltige Bildung und ein umfangreiches Programm für visuelle und darstellende Kunst so errichtet werden, dass Umwelt und Ökosystem so gut wie nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
Erklärtes Ziel ist es, hier einen Masterplan zu realisieren, der genau so wie die „Smart Forest City Cancun“ für das Thema „Nachhaltiges Bauen“ international beispielgebend sein soll.
Eben genau für diesen Balanceakt konnte sich der Mailänder Architekt Peter Pichler ins Spiel bringen! Und zwar mit einer Idee, die wohl in jedem Kindheitserinnerungen weckt: Der 37-Jährige ließ sich von den umliegenden imposanten Ahorn-, Pappel- und Eichenbäumen so inspirieren, dass er kurzerhand Baumhäuser konzipierte, die inmitten des Waldes über dem See thronen sollen.
Nachhaltige Baumhäuser
Auf der Hand liegt, dass diese Häuser auch aus dem umliegenden Holz gefertigt werden sollen. Doch Pichler musste bei der Konzeption seiner Baumhäuser freilich weiter denken, um tatsächlich im Rennen um das Projekt die Nase vorne zu behalten. Und so integrierte er in das Konzept eine technische Möglichkeit, um Regenwasser gezielt aufzufangen und zu Trinkwasser aufzubereiten. Außerdem sollen die Häuser über geothermische Wärmepumpen beheizt werden.
Wie von den Bauherrn gewünscht, steht das gesamte Projekt unter dem Motto „Langsamer Tourismus“. Ein Begriff, mit dem Pichler übrigens selbst viel anfangen kann: „Wir glauben, dass die Zukunft des Tourismus auf der Beziehung des Menschen zur Natur basiert“, sagt er. Und weiter: „Eine gut integrierte, nachhaltige Architektur kann diese Beziehung stärken.“
Von echten Bäumen inspiriert
Trotzdem darf bei all der Nachhaltigkeit die Optik nicht in Vergessenheit geraten. In diesem Fall stechen die spitzen Giebelformen selbst dem Laien als ungewöhnlich ins Auge. Aus architektonischer Sicht symbolisieren diese scharfen Steildächer jedoch die umgebenden Baumwipfel, versuchen sozusagen mit ihrer natürlichen Umgebung zu verschmelzen.
Aus eben dieser hochgezogenen und schmalen (Baum-)Form ergibt sich, dass die Innenräume auf zwei Geschosse verteilt werden müssen: Auf 35 bis 45 Quadratmetern findet sich in der unteren Ebene ein kleiner Lese- & Loungebereich. Die obere Ebene beherbergt Schlafzimmer und Bad, beide Geschoße sind durch eine kleine und steile Innentreppe miteinander verbunden.
Wir glauben, dass die Zukunft des Tourismus auf der Beziehung des Menschen zur Natur basiert. Eine gut integrierte, nachhaltige Architektur kann diese Beziehung stärken.
Peter Pichler, Architekt
Wer nun Lust bekommen hat, ein Baumhaus zu beziehen, der darf übrigens durchaus hoffen: Denn sobald Pichlers „Tree Houses“ realisiert sind, wird man sie jederzeit wie klassische Hotelzimmer buchen können. Nur wird man eben definitiv kein klassisches Hotelerlebnis genießen. Sondern einen wahrgewordenen Kindheitstraum inmitten imposanter Baumkronen.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Peter Pichler Architecture