„Le Monde“ in neuer Pracht
Das neue Hauptquartier der „Le Monde“-Gruppe macht Paris um ein spektakuläres Bauwerk reicher. Designt vom norwegischen Top-Büro Snøhetta bietet es den 1.600 Mitarbeitern des Verlagshauses eine moderne, gemeinsame Arbeitswelt. Und das ist längst nicht alles.
Verlagshäuser sehen sich seit Jahren mit schwierigen Zeiten konfrontiert. Doch nicht alle reagieren mit Sparkurs und verkleinerten Redaktionen. Nach dem jüngst eröffneten Axel-Springer-Neubau in Berlin und dem von UBM Development entwickelten neuen Verlagssitz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Frankfurt hat nun ein weiteres, bedeutendes Medienunternehmen ein eindrucksvolles Zeichen gesetzt: Die „Le Monde“ Gruppe. Ihr neuer Hauptsitz in Paris schafft hochmoderne Arbeitsplätze für alle 1.600 Mitarbeiter ihrer Publikationen. Zugleich bereichert das vom international gefragten Büro Snøhetta designte Bauwerk Frankreichs Metropole um ein architektonisches Highlight.
Mutig in neue Zeiten
Das neue „Le Monde“ Headquarter an der Rive Gauche wirkt wie ein mächtiges Flaggschiff, das optimistisch in die Zukunft blickt. Es thront direkt neben dem historischen Bahnhof Gare d’Austerlitz. In unmittelbarer Nachbarschaft liegen das berühmte Quartier Latin und die üppigen Gärten des Jardin des Plantes. Die konkave Form des Gebäudes überbrückt die unterirdischen Gleisanlagen. Der Komplex ist auf beiden Seiten mit zwei siebenstöckigen, auskragenden Volumen verankert, die von einem Netzwerk aus Stahl zusammengehalten werden.
Die Gebäudemasse haben die Snøhetta Architekten durch drei gestische „Schnitte“ geformt: Der „Himmelsschnitt“ offenbart die schräge Oberfläche des mit Solarmodulen verkleideten Dachs. Der „Stadtschnitt“ zieht das Gebäude entlang der zur Straße gewandten Fassade zurück. Und der „Bodenschnitt“ schneidet die Unterseite der Überbrückungsstruktur aus und beherbergt den neuen öffentlichen Platz unter seiner weitläufigen Bogenform.
Bahngleise im „Bauch“
Mit einer Spannweite von 80 Metern von einer Seite zur anderen ist das Gebäude eine Antwort auf die Bedingungen des Standorts. Denn diese stellten die Architekten vor einige Herausforderungen: Das 2014 von der „Le Monde“ Gruppe erworbene Grundstück ruht direkt über den Gleisen und Bahnsteigen des Gare d’Austerlitz. Ein technisches Untergeschoss zu errichten war also nicht möglich. Die gesamte Gebäudetechnik musste in die Struktur des Gebäudes integriert werden.
Zudem konnte das Gelände nur begrenzt Gewicht tragen – und auch dies nur an seinen äußersten Enden. Ein Umstand, der auch Grund fürs ursprüngliche Briefing des Kunden war, das zwei Gebäude auf den bebaubaren Teilen des Grundstücks vorsah.
Schwerer als der Eiffelturm
Gemeinsam mit dem lokalen Partnerunternehmen SRA entwickelte Snøhetta jedoch eine andere, spannende Lösung. Nämlich jene, die beiden Einheiten durch eine Brückenkonstruktion aus Stahl zu verbinden, die buchstäblich von einer Seite des Geländes zur anderen „springt“. Kein simples Unterfangen bei einem Bauwerk, das mehr wiegt als der Eiffelturm.
Doch die kreativen Architekten waren überzeugt: Nur ein einheitliches Gebäude würde die dynamische Umgebung schaffen, die nötig ist, um die verschiedenen Magazin- und Zeitungstitel der „Le Monde“ Gruppe zu vereinen. Ihre kühne Idee wurde erfolgreich umgesetzt. Inzwischen ist sie auch schon preisgekrönt: Im Dezember 2020 erhielt das Gebäude den prestigeträchtigen französischen Immobilienpreis „Grand Prix SIMI“ in der Kategorie „Neues Bürogebäude mit mehr als 10.000 Quadratmetern“.
Viele Medien unter einem Dach
Der Award würdigt ein rundum bedeutendes Projekt. So repräsentiert der Neubau unter anderem eine Re-Investition in die Mitarbeiter des Medienunternehmens. Und diese produzieren mit Le Monde, Courrier International, Télérama, La Vie, HuffPost und l’Obs immerhin einige der bekanntesten französischen Publikationen. Mit 23.000 Quadratmetern bietet das neue Hauptquartier den sechs Redaktionen ein top-ausgestattetes, gemeinsames Zuhause. Bisher über mehrere Standorte verteilt, sind sie nun – weiterhin unabhängig und mit eigenen Räumen – unter einem Dach vereint.
Für Louis Dreyfus, den CEO der „Le Monde“ Gruppe, ist der neue Hauptsitz ein „Meilenstein“ in einer Zeit, in der die Nachfrage nach qualitativ hochwertiger Information rasant zunimmt: „Unser Gebäude veranschaulicht sowohl unsere redaktionellen und ästhetischen Ambitionen, als auch die Vielfalt unserer Redaktionen“.
Die in Kooperation mit Archimage entwickelte Büroeinrichtung der Newsrooms sorge für warme, entspannte Atmosphäre und Räume, die bei Bedarf Privatsphäre bieten. Damit sei sichergestellt, dass „wir weiterhin journalistische Inhalte auf all unseren Plattformen und in allen Formaten liefern können. Egal ob in schriftlicher oder audiovisueller Form“.
„Le Monde“ Plaza lädt ein
Doch das Projekt markiert auch Meilensteine anderer Art. Es steht auch für das erklärte Bemühen der „Le Monde“ Gruppe um Kultivierung eines lebendigen öffentlichen Raums. Der weitläufige öffentliche Platz soll die Offenheit des Gebäudes gegenüber seiner Umgebung ausdrücken. Entsprechend hat Snøhetta den Komplex an der Avenue Pierre-Mendès-France 67-69 als verbindendes Element konzipiert. Die Plaza, die Passanten zum Verweilen im Umfeld „ihres“ Medienhauses einlädt, setzt eine Ruhezone ins dichte Gewerbe- und Geschäftsviertel des 13. Pariser Arrondissements.
Wie ein Symbol für Offenheit und Zuversicht wirkt auch die Fassade. Die Außenhaut des „Le Monde“ Hauptquartiers besteht aus über 20.000 verpixelten Glaselementen. In einem streng organisierten Muster mit 772 möglichen Konfigurationen verleiht sie dem Gebäude ein schillerndes Antlitz, das sich je nach Lichteinfall und Wetter wandelt. Jedes Glaselement repräsentiert ein bestimmtes Pixel der Transparenz-Skala, die – je nach Platzierung – von transparent bis undurchsichtig reicht.
„Lesbare“ Fassade
Das hochentwickelte Muster der gläsernen Außenfront verweist auf die Druckbuchstaben der Zeitungen und Magazine des „Le Monde“ Konzerns. Es bildet ein textähnliches Muster auf der 10.000 Quadratmeter Fläche umfassenden Fassade, das aus der Ferne deutlicher zu lesen ist. Ob das famose „Pixelkonzept“ die Aussicht aus den Räumen des Neubaus bereichert oder schmälert, ist – Aussagen von Mitarbeitern des Verlags zufolge – noch strittig. Für ein Maximum an Tageslicht im Haus sorgt das außergewöhnliche Konzept allerdings allemal.
Die „neue Welt“, die das „Le Monde“ Headquarter in der Stadt an der Seine schafft, beginnt auf der künftig begrünten, öffentlichen Plaza. Diese Verbindungszone soll 2021 durch eine neue Brücke über die benachbarten Bahngleise des Gare d’Austerlitz weiter verbessert werden. Auch neue Einzelhandelsflächen sollen hier zur Belebung des Areals beitragen.
Verbindendes Meisterwerk
Unterm freundlich beleuchteten Bogen des Verlagshauses warten eigens entworfene Betonbänke auf ruhesuchende Gäste. Und über 300 Fahrradstellplätze laden Fans umweltfreundlicher Mobilität zum Besuch. Ihre Lage am Schnittpunkt alter und neuerer Pariser Stadtteile macht die architektonische Attraktion besonders interessant.
Dass Beton die Plaza dominiert, passt zum urbanen Kontext der Anlage. Die Betonumgebung vermittelt Kontinuität, die sich im bogenförmigen Dach fortsetzt, das sich über den Platz erhebt. Der in Ortbeton gegossene Bogen wurde sorgfältig von Hand bearbeitet, um eine strukturierte Oberfläche zu schaffen.
Öffentliches Angebot im Medienhaus
Beton und Fassaden-Elemente setzen sich im Inneren des Gebäudes fort. Das Orientierungssystem ist von der verglasten Außenhaut inspiriert und mit klassischer Schreibmaschinentypografie verziert. Der Hauptsitz der „Le Monde“ Gruppe kann von zwei Seiten betreten werden. Ein öffentlicher Zugang führt zu den Geschäften im Gebäude und zu einem zweistöckigen Auditorium. Der andere Eingang mündet in den Empfangsbereich für jene Zonen, die „Le Monde“ Mitarbeitern vorbehalten sind.
Zwei große Amphitheater-Treppen in jedem Eingang leiten zu einem informellen Begegnungsraum auf der dritten Ebene, der Mitarbeitern und Besuchern offen steht. Die Aufgänge markieren eine physische Kontinuität mit dem gewölbten Mittelteil des Gebäudes – fast so, als ob sie darauf montiert wären.
Platz für breiten Nutzungsmix
Die Treppe bietet Zugang zum Auditorium durch einen offenen Empfangsbereich, der sich für Konferenzen und Events eignet. Eine Cafeteria, ein Mitarbeiter-Restaurant, Backoffice-Einrichtungen und Besprechungsräume finden sich ebenfalls auf dieser Ebene.
Vom dritten bis zum achten Stockwerk beherbergt das „Le Monde“ Gebäude weitläufige, offene Arbeitsräume. Ein deckenintegriertes Heizungs-, Lüftungs- und Beleuchtungssystem garantiert höchste Flexibilität in Sachen Raumaufteilung.
Die raumhohen Fenster eröffnen Blick auf die Seine und die umliegende Stadt. Die zweite Etage wartet mit Annehmlichkeiten wie Bibliothek, Mitarbeiter-Restaurant und analogem Archiv des Verlages auf.
In den Stockwerken fünf und sechs liegen Büros der Mediengruppe „Le Monde“. Auch sie sind sie offen organisiert und bieten eine Vielfalt an flexiblen Bereichen. Über 100 private Arbeits- und mehr als vierzig Besprechungsräume für gemeinsames Schaffen finden hier Platz.
Die Etagen sind durch eine doppelspiralige Treppe verbunden, die flotten, reibungslosen Informationsaustausch mit den Newsrooms ermöglicht.
Auf der obersten Ebene lockt eine begrünte Freiluftterrasse, die von beiden Seiten des Gebäudes zugänglich ist. Von dort hat man eine grandiose Aussicht auf Paris, für das Snøhettas Werk ein weiteres, wichtiges Zeichen setzt. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Symbol der Zuversicht
Der Neubau treibe „die Transformation des Stadtteils“ voran, lobt Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Das „Le Monde“ Gebäude werde „durch seine Offenheit zum integralen Bestandteil des täglichen Lebens“. Außerdem betont Hidalgo die Bedeutung transparenter, allgemein zugänglicher Information. Vor allem in schwierigen Zeiten: „Ich hoffe, dass die Avenue Pierre-Mendès-France 67-69 zum Herzstück dieses Austauschs wird“.
Bemerkenswert, dass das Projekt entstand, als diese Werte akut bedroht wurden: Die Entscheidung fiel 2015, nach dem Terroranschlag auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion. Dies verstärkt den Symbolcharakter des Bauwerks. Denn Zeiten der Angst drängen zum Aufbau von Barrieren. Dennoch entschied sich „Le Monde“ für Snøhettas offenen Entwurf.
„Le Monde“ im Dienst der Öffentlichkeit
„Wie so viele unserer Projekte ist dieses ein hybrides Gebäude. Eines, das die Zwischenräume der Architektur erforscht und im Dienst der Öffentlichkeit steht“, stellt Snøhetta-Gründungspartner Kjetil Trædal Thorsen fest.
Dass hochwertige, seriöse Information Ängste bezwingen hilft, liegt auf der Hand. Gut, wenn Architekten beste Bedingungen für diese Leistung schaffen. Und umso besser, wenn solche Bauwerke Städte um kommunikative öffentliche Treffpunkte bereichern.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: Jared Chulski, Ludwig Favre, Marwan Harmouche, Snøhetta