Fabrik der Fabriken
In Mexiko-Stadt sind Erdbeben allgegenwärtig. Ein Ort, der sich davon erstaunlich unbeeindruckt zeigt, ist Laguna México. Eine Fabrik, die mit sich und ihrer Zeit geht.
Wandel ist in der Regel ein geduldiger Zeitgenosse. Große Veränderungen passieren meist nicht von heute auf morgen. Nur manchmal sind sie auf einmal da. So wie in Mexiko-Stadt. Dort sorgte 2017 ein Erdbeben für einen überraschend schnellen Wandel für La Laguna – eine ehemalige Textilfabrik im Colonia Doctores, einem Stadtviertel südwestlich des historischen Zentrums der Metropole.
Nach dem Erdbeben bot der Eigentümer des Laguna-Komplexes anderen vom Erdbeben betroffenen Unternehmen Räumlichkeiten zu attraktiven Mietpreisen an. Allerdings unter der Bedingung, dabei auch aktiv zur Gemeinschaft von La Laguna beizutragen. Dieser Aufforderung folgte das Architekturstudio Productora und nahm sich der Sanierung und des Umbaus an. Tatsächlich begann der Wandel von La Laguna aber schon deutlich früher…
Ein Ort mit Geschichte
1920 wird im eher wenig industriell geprägten Doctores die Textil- und Spitzenfabrik La Laguna gegründet. Bis 2015 führt sie ihren klassischen Betrieb fort. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts, neuen Bekleidungsmarken und den damit einhergehenden Veränderungen des Textilmarktes sieht sich die Fabrik allerdings zu Anpassung und Veränderung gezwungen.
Nach einem großen Erdbeben im Jahr 1985 diente die Fabrik als Gemeinschaftszentrum, als damals einziger Ort, der noch an die Wasserversorgung angeschlossen war. Die gesamte Nachbarschaft kam nach La Laguna, um sich Wasser zu holen. Von da an war die Fabrik nicht mehr nur Fabrik, sie war ein Ort des Zusammenhalts. 2012 begannen deshalb Überlegungen, als Antwort auf den Wandel in der Textilbranche, die Fabrik für artisanale Handwerksbetriebe zu öffnen. Das Erdbeben 2017 ließ dieses Vorhaben schließlich Realität werden. Denn zu diesem Zeitpunkt gab es bereits ein paar Unternehmen, die sich in La Laguna angesiedelt hatten: eine Kaffeerösterei, eine Manufaktur für Keramikprototypen und eine Möbelwerkstatt.
Eine Gemeinschaft, die wächst
Seit dem günstigen Mietangebot des Eigentümers sowie der Sanierung und dem Umbau durch Productora sind weitere Unternehmen in die ehmalige Fabrik eingezogen. Darunter zwei Architekturbüros, eine Galerie, eine Filz- und Textilwerkstatt, LIGA (eine Einrichtung zur Förderung der lateinamerikanischen Architektur) und zuletzt eine Buchhandlung, eine Schule, eine Filmgesellschaft und ein Projekt für Artists in Residence.
Entstanden ist damit tatsächlich ein Ort der Gemeinschaft, der Kreativität und des Handwerks – entstanden ist Laguna México. Straßenseitig betrachtet wirkt die ehemalige Fabrik wie eh und je. Die geschundenen Betonwände sind wohl das Einzige an dem Gebäude, das sich dem Wandel widersetzt hat.
Ein offener Prozess
Die bauliche Umgestaltung der alten Fabrik folgte keinem strikten Plan. Vielmehr wurde der Umabu als offener Prozess betrachtet, der sich mit entstehenden Bedürfnissen weiterentwickeln kann. Das Architekturbüro Productora, das selbst eine Werkstatt auf dem Gelände hat, strebte eine achtsame Transformation an, die das Wesen der Fabrik erhält. Es entfernte Dachflächen, um dadurch mehr gemeinschaftlichen Raum und zwei Innenhöfe zu schaffen.
Nachdem die Architekten die historische Betonfassade zur Straße unangetastet ließen, wurden auch die neuen Bauteile im Inneren bewusst schlicht gehalten. Sichtbeton, grauer Putz und quadratische Fenster mit olivgrünen Akzenten; Materialien und Farben, die eben die Identität der ehemaligen Fabrik unterstreichen. Balkone, Gehwege und Lastenaufzüge verbinden die einzelnen Bereiche miteinander und machen Laguna México mit ihrer unternehmerischen Vielfalt zu dem Ort der Gemeinschaft, der sie auf gewisse Weise immer schon war.
Ein stetiger Wandel
Interessanterweise entschied sich Laguna México gegen Restaurants und Bars auf dem Gelände, um keine konsumorientierte Gentrifizierung zu begünstigen. Stattdessen konzentriert sich das Projekt darauf, einen produktiven Raum zu schaffen, in dem kreative Berufe, artisanales Handwerk und regionale Produktion im Mittelpunkt stehen.
Das Projekt bleibt bewusst unvollendet. Erweiterungen, zum Beispiel durch leichte Atelierkonstruktionen auf dem Dach, sind jederzeit möglich. Die flexible Struktur der alten Fabrik lässt viele Optionen offen, die die Architekten von Productora erkannt haben. Die Nachfrage an Laguna México ist hoch, doch statt einer aggressiven Expansion wird das Wachstum behutsam gelenkt – vermutlich die größte Errungenschaft von Laguna México. Es ist kein typisches Sanierungsprojekt, sondern ein lebendiges Experiment – ein kreatives Biotop, das sich mit seinen Nutzern verändert und die Grenzen zwischen Architektur, Stadtplanung und sozialem Raum neu definiert. Laguna México befindet sich also immer noch im Wandel. Und passt sich seiner Zeit an.
Text: Eva Schroeder
Fotos: Productora