Wo Licht, da auch Schatten
Chilenische Architekten haben inmitten eines dichten Waldes ein Häuschen errichtet, das alles vereint, was einen Baum ausmacht. Allein, „La Invernada“ leuchtet auch noch in der Nacht. Und man kann obendrein in diesem „Baum“ wohnen.
Man könnte fast sagen, die Philosophie, die sich in der Architektur dieser ungewöhnlichen Hütte verbirgt, ist genau so gut versteckt, wie es die Idee eigentlich für das Objekt selbst vorsieht. Klingt kompliziert? Keine Sorge, ist eigentlich ganz einfach: Das chilenische Studio Guillermo Acuña Arquitectos Asociados (GAAA) entwarf ein 54 Quadratmeter großes Knusperhäuschen für einen versteckten Fleck in den chilenischen Wäldern von Curicó. Schon der Name „La Invernada“ verrät ein bisschen über die grundgelegte Idee – das beutet so viel wie Winterquartier.
La Invernada: Fremdkörper mit Ambitionen
„Das Projekt wurde als ein Objekt konzipiert, das nicht zum Standort gehört. Als ein Fremdkörper, der versucht dazuzugehören aber jeden Moment verschwinden kann,“ so die Architekten. La Invernada soll von einer vorübergehenden Besetzung des Waldes erzählen.
Gleichzeitig spielt das Häuschen aber auch mit dem Wald verstecken. Es versucht, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, aber dennoch Präsenz zu zeigen. Zudem erhebt das künstliche Winterquartier den Anspruch. nachhaltig zu sein. Gleichzeitig kommen aber künstliche Materialien zum Einsatz, um die Idee, das Baumsein zu imitieren, zu verfolgen.
Wir sehen also: Es ist nicht kompliziert an sich. Es ist aber nicht ganz schlüssig in sich. Gleichzeitig aber verleihen eben diese offensichtlichen Diskrepanzen La Invernada etwas Reizvolles. Man stellt sich Fragen. Spannung wird generiert. Und allein deshalb darf man das Projekt schon einmal als gelungen betrachten. Bevor es nun aber doch kompliziert wird, zurück zu den Gedanken der Architekten.
Was kann diese Waldhütte wirklich?
Es ist ein schmaler hölzerner Pfad der einen sanften Hügel emporführt. Irgendwo an seiner Flanke gelegen findet man sich plötzlich vor einer in Form und Materialgebung einmaligen Hütte wieder.
Für den Bau von La Invernada wählten GAAA genau drei Materialien. „Wir wollten mit der Pflanzlichkeit als Metathema für das Design experimentieren“, so die Architekten. Also musste das Haus die plastischen Attribute der Natur erfüllen – Licht (Photosynthese), Gewebe (Blätter) und Holz (Bäume). Daraus leiten sich also diese drei Materialien her: Chilenisches Kiefernholz, Polycarbonat und Mesh.
So. Von außen betrachtet wird die Angelegenheit mit „Natur, Pflanzen und Nachhaltigkeit“ nun allerdings etwas unübersichtlich. Das Kiefernholz ist jedenfalls verständlich, regional und jedenfalls ressourcenschonend. Die Umgebung spiegelnd. Aber wo kommt das Polycarbonat her? Und was ist eigentlich Mesh?
Was sucht Plastik im Wald?
Beide Stoffe werden dazu verwendet, um tagsüber eine Art Mimikry-Effekt zu schaffen. „Die so erzielte Transparenz spielt mit der Unbeständigkeit der Natur, da sie die projizierten Schatten des Waldes auf der Haut und die Bewegungen des Waldes während des Tages reflektiert“, erklärt das Studio.
Und weiter: „Die Textilschicht übernimmt die Rolle, das Licht tagsüber golden zu färben. Die Farbe der Eichenblätter im Herbst zu imitieren. Zudem fungiert es bei Sturm als strapazierfähige Abdeckung, die das Haus vor herabfallenden Ästen schützt.“ Außerdem lässt es in der Nacht das Heim von innen heraus strahlen.
Kurz gesagt: Um Licht ein- und auslassen zu können, hätte man wohl bloß noch Glas anstelle des Polycarbonats nutzen können. Das jedoch hätte die Idee eines jederzeit abbaubaren Winterquartiers über den Haufen geworfen.
Nachhaltig? Fehlanzeige
Aber was ist jetzt Mesh? Das ist technisch gesehen ein Gitter aus miteinander verbundenen Fäden, ein Netzstoff, also. Das Garn besteht meist aus Polyester oder Nylon und wird entweder verstrickt oder verwebt, um die charakteristischen Löcher zu erhalten. Der Stoff ist eigentlich in der Modewelt beliebt. Ob seiner Robustheit wird er längst auch in der Medizin und eben dem Bauwesen verwendet. Aber nachhaltig? Fehlanzeige.
Dafür wurde das Kiefernholz vor dem Bau eigens gefräst und erst vor Ort vorwiegend mit Holzverbindungen zusammengesetzt. Ohne schweres Gerät und mit wenig Energieaufwand. Apropos Energie: Im Betrieb ist La Invernada autark, kann sich also durch Licht (Photovoltaik) und Regen (Wasseraufbereitung) selbst erhalten. Wie die benachbarten Bäume auch.
Errichtet auf einer Art Holzdeck besteht das Miniheim dennoch aus drei Geschoßen, die aufgrund der schrägen Wände nach oben hin naturgemäß immer kleiner werden.
Drei Geschoße auf engstem Raum
Das Erdgeschoss des Hauses besteht aus einem Wohnzimmer mit Holzofen und einer Küchenzeile an der Vorderseite. Außerdem findet hier ein kleines Badezimmer Platz, ein Schlafzimmer an der Rückseite ebenso. Letzteres hat Glastüren, die auf eine um einen Baum gewickelte Terrasse führen. Auf dieser können die Bewohner dem Wald ungeschützt nahe sein, so die Überlegung. Eine Leiter führt dann in die beiden darüberliegenden Etagen, die beide mit großen Kissen ausgelegt sind. Plätze zum Entspannen, während man die Aussicht auf den Wald genießt, steht in der Projekt-Beschreibung.
Ideal also, um genau das zu tun, zu was La Invernada allein durch seinem Namen verheißt: Winterschlaf halten. Und so vielleicht auch ein bisschen die Augen vor ein paar konzeptionellen Unstimmigkeiten zu verschließen …
Text: Johannes Stühlinger
Fotos: Cristobal Palma