Wenn sich Neues gut integriert
Aus dem Zürcher Industriequartier Limmattalstraße wurde mit den Jahren das Trendquartier „Zürich West“. Auch der Charakter der Wohnhaussiedlung ändert sich. Und so manches ältere Gebäude wird von stilvollen, neuen Mehrfamilienhäusern abgelöst. Nicht zum Nachteil des Stadtteils, wie das L329 von Rossetti + Wyss zeigt.
Ältere Semester in Zürich werden das Stadtviertel um die Limmattalstraße noch als Industriequartier in Erinnerung haben. Die rund 1,7 Kilometer lange Verkehrsader verläuft parallel zum Sihlquai und zum Flüsschen Limmat und geht sogar bis zum Hauptbahnhof nahe der Altstadt.
Fun Fact am Rande: Wer nun glaubt, Zürich sei die Hauptstadt der Schweiz, irrt – obwohl Zürich das Finanz- und Wirtschaftszentrum der Schweiz ist. Und wer nun in einem Wissensquiz Genf als Hauptstadt nennt, irrt ebenfalls – obwohl Genf Sitz zahlreicher internationaler Organisationen ist. Bern vielleicht? Nein, auch falsch. Die Helvetische Republik hat offiziell gar keine Hauptstadt. Allerdings ist Bern seit 2002 Sitz der Schweizer Bundesversammlung.
Aber zurück zur Limmattalstraße. Neben den Fabrikbauten entstanden bald auch Wohnsiedlungen, zunächst für die Bahnangestellten und die Fabrikarbeiter. 1907 wurde die erste Siedlung des gemeinnützigen Wohnungsbaus der Stadt Zürich errichtet.
Zürcher Industrieviertel wurde zum Trendquartier
Ab den 1980er Jahren setzte der Umbruch im Industriesektor ein. Etliche Industriebetriebe fusionierten, wurden aufgekauft, gingen in Konkurs, schlossen Werke oder zogen weg. Aus der Reishauer AG, dem Städtischen Salzmagazin und der Bananen AG wurden Berufsschulen. Aus der Maschinenfabrik Escher Wyss AG entstanden Wohnungen, ebenso aus der Textilfabrik Schoeller AG und aus Steinfels Seifen und dem Städtischen Gaswerk. Und allmählich wurde der Stadtteil zum Trendquartier „Zürich West“ mit einem vielfältigen kulturellen Angebot.
Auch das Gesicht jener Teile der Limmattalstraße, die von offener Bebauungsweise mit freistehenden Einfamilienhäusern unterschiedlichster Größe mit vielen Grünflächen geprägt sind, wandelt sich. So manches in die Jahre gekommene Wohnhaus weicht nun modernen Mehrfamiliengebäuden. Eines davon ist das L329, das vom Architekturbüro Rossetti + Wyss entworfen wurde. Der Neubau ersetzt einen Apartmentkomplex aus den 1930er-Jahren.
Die Schweizer Architekten gingen behutsam vor: Das Gebäude fügt sich organisch in den bestehenden Kontext ein, sowohl in Bezug auf seine Struktur als auch auf die Gebäudegröße. Es umfasst sieben Apartments, einen kleinen Gewerbebetrieb im Erdgeschoss und eine Tiefgarage im hinteren Bereich des Grundstücks.
L329: Größer, aber von zurückhaltender Erscheinung
Trotz der etwas über dem Schnitt der nachbarschaftlichen Gebäude liegenden Höhe des L329 erscheint der Baukörper zurückhaltend. Die Experten von Rossetti + Wyss gaben sich Mühe, der rhythmischen Gebäudestruktur entlang der Limmattalstrasse zu folgen. Das Erscheinungsbild der Gebäudedimensionen wird durch die Knickung der Stirnfassaden aufgebrochen. Die Proportionen des Gebäudes stellen somit zu den umliegenden Grundstücken keinen absoluten Bruch dar.
Die Wahl des Pultdachs für das neue Gebäude folgt der gleichen Absicht. Und großer Wert wurde ebenfalls auf die topografische Einbettung gelegt. Den Bewohnern stehen dadurch großzügige Grünflächen zur Verfügung.
Klares und ruhiges Erscheinungsbild
Die Formensprache des L329 ist einfach und homogen. Das Erscheinungsbild der Fassaden ist klar und ruhig. Genau darin liegt die Stärke des architektonischen Ausdrucks. Alle sechs Seiten des L329 weisen dieselben Merkmale auf, mit unterschiedlichen Fenster- beziehungsweise Terrassenöffnungen je nach ihrer Ausrichtung.
Lediglich kleine Abweichungen im Rhythmus der vertikalen Lisenen und der Formatgrößen gliedern die sonst gleichmäßig gestalteten Fassaden und lockern sie auf. Die geneigten Holzpaneele zwischen den vertikalen Holzlisenen erzeugen dabei unterschiedliche Schatteneffekte und Lichtreflexionen. Sie verleihen dem gesamten Haus ein lebendiges Erscheinungsbild.
Auch der Anteil der Fenster pro Fassade variiert. Die Loggien dagegen sind südlich ausgerichtet und fügen sich unauffällig in die Geometrie des Gebäudes ein. Auch die großzügig bemessenen Dachflächen folgen der allgemeinen Gestaltungsabsicht: Sie zeigen ein homogenes, wenig fragmentiertes Erscheinungsbild. Auskragende Elemente wie Balkone und Erker wollte man keinesfalls. Dies hätte den modernistischen Stil konterkariert.
Weiteres Merkmal dieses gelungenen, modernen Wohnbaus: Das nachhaltige Konzept. Solarthermie und Photovoltaik zur Stromgewinnung werden den Energieverbrauch der Nutzer niedrig halten. Matte, fast undurchsichtige Paneele fügen sich in die Dachhaut aus Faserzement ein, sodass die Sonneneinstrahlung reflektiert wird. Alles in allem ist das neue Gebäude eine respektvolle, ruhige und elegante Ergänzung des Viertels.
Text: Linda Benkö
Fotos: Jürg Zimmermann