Von Kunst umschlungen
Bronzefarbene 3D-Buchstaben umarmen eine Gebäudeecke mitten in Prag. Und diese gehört zum ehemaligen Umspannwerk Zenger. Es feiert nach einem umfangreichen Umbau durch Schindler Seko Architects Wiederauferstehung: Als Kunsthalle Praha mit Fokus auf zeitgenössischer Kunst.
Die großen, bronzenen Lettern prangen nicht nur auf der Fassade, nein, sie umschlingen regelrecht die Gebäudeecke. Und der Schriftzug ist damit gleichzeitig Definition des Bauwerks und Kunstwerk selbst.
Die Rede ist von einem berühmten Kulturdenkmal im historischen Stadtzentrum von Prag. Es ist nach umfangreichen Umbaumaßnahmen seiner neuen Bestimmung zugeführt worden: Das ehemalige Umspannwerk Zenger wurde in die neue Kunsthalle Praha umgewandelt, in einen urbanen Hotspot für zeitgenössische Kunst und Kultur.
Kunsthalle Praha: Transformierte Trafo-Station
Die von Ivana Goossen geleitete und von der Pudil Family Foundation gegründete Kunsthalle Praha ist der erste der Kunst gewidmete Raum, der seit fast 100 Jahren mitten im Stadtzentrum errichtet wurde. Das Gebäude, das 40 Jahre lang als Trafo-Station diente, liegt im Stadtteil Malá Strana im Zentrum der tschechischen Hauptstadt.
Nach dem vom tschechischen Architekturbüro Schindler Seko durchgeführten Redesign umfasst das Gebäude in der Straße Klárov 5 auf einer Fläche von 5.700 Quadratmetern drei große Galerien. Daneben haben weiters Platz: ein Designshop, ein Bistro und ein Café mit Terrasse und Blick auf den Berg Petřín (Laurenziberg) – eigentlich ist es ein Hügel – und die Prager Burg.
3D-Logo, um die Ecke
Für die neoklassizistische Fassade des Gebäudes hat man sich etwas besonderes einfallen lassen: Ein Bronze-Logo aus 3D-Buchstaben umarmt gleichsam die Ecke des Gebäudes. Es dient zugleich als Blickfang und als elegantes Statement.
Entworfen hat den 3D-Schriftzug, der gleichzeitig Hinweis auf die Nutzungsart des Gebäudes als auch Kunst selbst ist, das Studio Najbrt. Es ist eines der führenden Grafikdesignstudios in der Tschechischen Republik.
Schriften sind buchstäblich ein besonderes Kulturgut – und können ein Stadtbild prägen, ja, sogar eine Art städtischen Markenauftritt definieren. So hat auch Wien eine eigene Schrift: Wiener Melange. Bei dieser Typografie hat die Stadtregierung besonderen Wert auf geschwungene Formen gelegt.
Die moderne Schrift der Kunsthalle Praha umschlingt die historische Fassade des Gebäudes mit einer markanten und doch liebevoll-augenzwinkernden Geste, so, als wäre sie schon immer da gewesen. Die Lettern übersetzen die Identität des neuen Kunstraums in visuelle Form. Gleichzeitig ist die geschwungene Bronzetypografie aus verschiedenen Blickwinkeln sichtbar.
Altes Schriftbild aus den 1930ern
Bereits fünf Jahre vor der Eröffnung der Kunsthalle Praha hat das Studio Najbrt begonnen, am Logo zu tüfteln. Designer Marek Pistora hat als Basis der Blockbuchstaben des aus Bronze gegossenen Logos ein altes Schriftbild aus den 1930er Jahren genommen. Dieses wurde ursprünglich vom deutschen Designer Jan Tschichold etwa zur gleichen Zeit entworfen, als das Umspannwerk gebaut wurde.
Es war nicht so einfach, die charakteristische Biegung der Schrift zu erzielen, die es ermöglicht, dass sich die Buchstaben so perfekt an die Ecke des Gebäudes schmiegen. Dafür musste das tschechische Designstudio eine Reihe von Papiermodellen und Visualisierungen verwenden, um den richtigen Winkel der einzelnen Buchstaben zu finden. Es sei ihre bisher „größte Umsetzung von Typografie im öffentlichen Raum” gewesen.
Herausfordernde Renovierung
Bautechnisch gesehen bestand die Herausforderung darin, dass das Gebäude unter Verwendung von Beton aus Tonerdezement (Anmerkung: enthält Calciumaluminat) errichtet wurde. „Die Materialermüdung war nach 80 Jahren schon weit fortgeschritten”, so Architekt Jan Schindler. Insbesondere die Säulen mussten entfernt werden. Zudem musste man das Problem der Kontaminierung mit Öl und Quecksilber lösen.
Eleganter neuer Eingang
Über einen Steg mit Prager Mosaikpflaster wurde ein neuer Eingang zur Kunsthalle gebaut. Dieser verdeckt gleichzeitig die von den Verkehrsbetrieben benötigte Abluftleitung.
Im mittleren Gebäudebereich wurde ein eingeschossiger Anbau mit einer Oberfläche aus geschliffenem Terrazzo angefügt. „Er konkurriert in seiner Schlichtheit und seiner zurücktretenden Segmentfassade nicht mit dem ursprünglichen Gebäude”, so Schindler.
Alle wesentlichen Elemente des ursprünglichen Designs wurden beibehalten: Dacheindeckung, Dachrinnen, Gesimse, Fassaden, Grundmauern und einige bescheidene Dekorationselemente. Die Material- und Farbgestaltung ist damit sehr nüchtern. Die Fassaden sind wieder in ihrem ursprünglichen grau-beige gehalten, was von der Sandsteinverkleidung stammt.
Beton dominiert strukturell und visuell
Im mittleren und südlichen Teil des Gebäudes befinden sich die Räume auf unterschiedlichen Höhen. Sie orientieren sich exakt an den Fensteröffnungen der neoklassizistischen Fassade. Wie einst dominiert Beton sowohl strukturell als auch visuell.
Im südliche Teil schließlich verteilen sich die Ausstellungsräume auf zwei Stockwerke. Ein Zwischengeschoß bildet den Eingangsbereich. Im Dachgeschoß darüber sind die Büros der Stiftung untergebracht. Die Untergeschosse beherbergen Technik und Depots. Eine Galerie fungiert als Ort für Konferenzen, Präsentationen sowie Lehr- und Bildungsveranstaltungen.
Neue Kunstinstitution in Malá Strana
Die Betreiber der Kunsthalle Praha, die gemeinnützige Stiftung Pudil Family Foundation, hat sich zum Ziel gesetzt, auf den 1.300 Quadratmetern Ausstellungsfläche die tschechische und mitteleuropäische Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts mit „einem dynamischen Programm von Kurzzeitausstellungen” zu zeigen.
Bis zu acht Ausstellungen pro Jahr sind vorgesehen. Daneben wird es zahlreiche Bildungsinitiativen, Workshops und kulturelle Events geben. Die Pudil Family Foundation wurde 2014 von Petr und Pavlína Pudil ins Leben gerufen.
Erstausstellung mit Licht-Graffiti
Als Eröffnungsausstellung war „Kinetismus: 100 Jahre Elektrizität in der Kunst” bis vor kurzem noch zu sehen. Sie feierte die ursprüngliche Funktion des Gebäudes und ging der Frage auf den Grund, wie die Elektrizität die künstlerische Praxis vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute verändert hat. Für diese Ausstellung wurde eine neun Meter lange Kunstwand geschaffen, auf der die Besucher ihr eigenes Werk, ein „Licht-Graffiti”, gestalten konnten.
Als Kuratoren fungierten Peter Weibel gemeinsam mit Christelle Havranek (Chefkuratorin der Kunsthalle Prag) und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Lívia Nolasco-Rózsás. Die Schau umfasste über 90 Werke von Künstlern wie Refik Anadol, Marcel Duchamp, Olafur Eliasson, Shilpa Gupta, Ryoji Ikeda, William Kentridge, László Moholy-Nagy, Man Ray und teamLab.
Referenz an die Elektrizität
In einer zweiten Ausstellung zollt die Kunsthalle Prag der reichen industriellen Vergangenheit des Gebäudes Tribut: „The Zenger Transformer Station: Elektrizität in der Stadt, Elektrizität in der Architektur”. Hier wird die Rolle der Elektrizität und der modernen Technologie bei der Entwicklung des Gebäudes und der Geschichte Prags im Allgemeinen untersucht.
Der Raum beherbergt eine permanente ortsspezifische Installation mit dem Titel „Cabinet of Electrical Curiosities” des Konzeptkünstlers Mark Dion. Als „Archäologe der Gegenwart” hat der Künstler das Kabinett aus Objekten und Artefakten zusammengestellt, die während des Baus der Kunsthalle Prag vor Ort gesammelt wurden.
Mitglied der Kunsthalle Praha werden
Um alle Angebote der Kunsthalle Praha in vollem Umfang nutzen zu können, wird derzeit die Kunsthalle Praha-Mitgliedschaft angeboten. Damit können Besucher so oft sie wollen für ein ganzes Jahr alle Ausstellungen sehen. Und sie erhalten Zugang zu Vorbesichtigungen, Führungen sowie weiters einen Rabatt von zehn Prozent im Designshop.
Das Zenger-Umspannwerk wurde in den 1930er Jahren von den Architekten Kvasnička und Mayer entworfen. Das neoklassizistische Gebäude wurde nach dem tschechischen Meteorologen Václav Karel Zenger benannt. Es diente vier Jahrzehnte als Trafo-Station zur Umwandlung von Elektrizität in Gleichstrom für die Prager Straßenbahnen. Heute ist die gesamte Technik in einem kleinen Bereich der U-Bahn untergebracht. Und so wurde das Gebäude für den ursprünglichen Zweck obsolet.
Text: Linda Benkö
Fotos: Lukáš Masner, Kunsthalle Praha; Alexandra Timpau, Kunsthalle Praha; Alexandra Timpau, Kunsthalle Praha; Vojtěch Veškrna, Kunsthalle Praha; Jan Malý, Kunsthalle Praha; Alex Shoots Buildings, Kunsthalle Praha; Filip Šlapal, Schindler Seko Architects