Kunst-Depot in der „Spiegel-Schüssel“
Das neu errichtete Kunst-Depot des Boijmans van Beuningen Museums in Rotterdam darf durchaus selbst als Kunstwerk gelten: Designt vom Büro MVRDV entstand eine riesige, verspiegelte „Schüssel“, aus deren „Deckel“ Bäume wachsen. Den Neubau kann man schon bestaunen – noch ehe Exponate Einzug halten.
Was jüngst in Rotterdams Museumspark für Staunen sorgt, sieht sehr nach UFO aus. Fast so, als wäre eine riesige, verspiegelte Schüssel aus dem Weltraum gelandet und von irdischer Natur erobert worden. Ganz klar: Das wundersame Ding macht neugierig. Und damit ist ein Ziel seiner Planer schon erreicht. Denn das neue Kunst-Depot des Boijmans van Beuningen Museums soll zum Kulturgenuss verleiten. Es wird Werke öffentlich zugänglich machen, die sonst verborgen blieben, weil es an Ausstellungsflächen fehlt. Eröffnet wird es zwar erst im Herbst 2021. Doch für Architektur-Fans ist der Neubau jetzt schon eine Attraktion.
Außen verspiegelt, oben grün
Auch wenn der Einzug der Kunstwerke noch nicht einmal begonnen hat: Das vom renommierten Büro MVRDV designte Depot des Boijmans van Beuningen Museums fasziniert. Mit 39,5 Metern Höhe ragt es auf wie ein halbiertes, senkrecht positioniertes Ei. Seine rundum verspiegelte Außenhaut reflektiert die Umgebung und obenauf gedeiht ein Wald.
Im Frühling wurden 75 eigens gezüchtete Birken mit einem Spezialkran auf das Dach gehievt. Damit wollten die Architekten zugleich öffentliche Grünflächen ersetzen, die für den Bau geopfert werden mussten. Das Dach befindet sich im sechsten Stock der „Schüssel“. Es wird auch ein Restaurant beherbergen. Per Expresslift kostenfrei erreichbar, wird es grandiosen Ausblick bieten.
Baukunst fürs Kunst-Depot
Auffälligstes Merkmal des neuen, rund 15.000 Quadratmeter Nutzfläche umfassenden Boijmans Depots bleibt allerdings seine Fassade. Denn diese besteht aus 6.609 Quadratmetern Glas und ist in 1.664 Spiegelplatten unterteilt. Die an die Betonhülle gesetzten Platten wurden von vielen Einwohnern und Kulturinstitutionen Rotterdams mit jeweils 1.000 Euro gesponsert.
Was auch rundum geschieht, blüht oder wächst: Der Boijmans Bau spiegelt es wider – und würdigt so auch die Natur des Museumparks, den Landschaftsarchitekt Yves Brunier in den 1990er Jahren mit dem Office for Metropolitan Architecture (OMA) geschaffen hat.
Öffentlich statt ungesehen verwahrt
Mit dem spektakulären Projekt will das Boijmans Van Beuningen Museum mehr Kunst denn je öffentlich darbieten. Deshalb ist MVRDVs Design ganz auf Besucherfreundlichkeit ausgerichtet. Stolze 99 Prozent des Gebäudes werden für Besichtigungen offenstehen und die 151.000 Artefakte der Sammlung präsentieren. Dadurch soll mit einer unliebsamen Tradition gebrochen werden: Derzeit können viele internationale Museen nur sechs bis sieben Prozent ihrer Sammlungen in Ausstellungen präsentieren. Die restlichen 94 Prozent bleiben im Speicher – zwar wohlbehütet, aber ungesehen, was schwerlich ihrem Sinn entspricht.
Ab Herbst 2021 können Besucher des Kunst-Depots hinter die Kulissen eines Museums schauen. Ganz ohne Guides und eigens gebuchte Führungen. Exponate, Konservierung, Restaurierung, sichere Lagerung und mehr: Alles soll „live“ betrachtet werden können. In einem einladenden Umfeld, das zugleich die Werke schützt.
Spannendes Innenleben
Fünf große Zick-Zack-Treppen führen durchs Atrium nach oben. Damit erinnert das Innenleben des Kunst-Depots selbst an Radierungen von Giovanni Piranesi. Die aufbewahrten Werke werden so effizient wie möglich gelagert. Sie werden eingehüllt, in Schränken oder in einer der 13 riesigen Vitrinen des Atriums präsentiert.
Drucke, Zeichnungen und Fotos werden in geschlossenen Räumen untergebracht. Besucher können sie jedoch auf Anfrage betrachten. Die Film- und Videosammlung wird in speziellen Projektionsräumen gezeigt.
Die Anordnung der Schauräume folgt Vorgaben zur sicheren Lagerung der Werke. Anders als in Museen üblich, spielen Epochen und Stile eine untergeordnete Rolle. Im Kunst-Depot des Boijmans Van Beuningen gibt es fünf verschiedene Klimazonen, die den Anforderungen verschiedener Materialien gerecht werden. Ein spezielles Klimasystem sorgt für die jeweils optimale Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
Dass das Baugelände wenige Meter unterm Meeresspiegel liegt, darf nicht zum Problem werden. Deshalb wurde bei der Planung auch an mögliche Überflutung gedacht. Die Betonkonstruktion soll vor Wassereintritt schützen.
Zudem legten die Architekten Wert auf nachhaltiges Design. Energie- und Wasserverbrauch sollen auch während des Betriebs so gering wie möglich bleiben. Geothermischer Wärmeaustausch, Sonnenkollektoren, LED-Beleuchtung und Hochleistungsdämmung waren also Fixpunkte des Plans. Was den gebäudebezogenen Energieverbrauch betrifft, ist das Boijmans Kunst-Depot energieneutral.
Regenwasser wird im Keller gespeichert und für Bewässerungs- und Toilettenanlagen verwendet. Der Wasserspeicher und das begrünte Dach reduzieren den Wasserabfluss auf ein Minimum. Überschuss wird in den Teich des benachbarten Het Nieuwe Instituut geleitet.
Für den Wald auf dem Dach kooperierte das Büro MVRDV mit MTD Landschaftsarchitekten. Die ausgewählten Birken (Betula pubescens) werden maximal zehn Meter hoch. Sie gelten als sehr widerstandsfähig und langlebig. Ihre Pflege werden spezialisierte Profis übernehmen.
Erholung auf dem Kunst-Depot
Die grüne Terrasse des Kunst-Depots wird wohl auch viele Gäste locken, die einfach nur Erholung suchen. Insgesamt wird mit Besucherzahlen von 150.000 bis 250.000 pro Jahr gerechnet.
Das Design der verspiegelten „Schüssel“ verflicht Lagerräume und Wege im Gebäude zu einem dichten, einladenden Netz. Außerdem boten die Architekten Künstlern beim Bau des Boijmans Depots die Möglichkeit zur Mitgestaltung.
Künstler als Mit-Gestalter
Eingang und Atrium werden gemeinsam mit niederländischen Größen wie Bildhauer John Körmeling und Fotografin Marieke van Diemen entwickelt. Das Design des Restaurants stammt vom Amsterdamer Studio Concrete. Und die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist wird den Neubau mit einer Installation bereichern.
Realisiert wird das Depot des Boijmans Van Beuningen Museums mit finanzieller Unterstützung der Stadt Rotterdam und der De Verre Bergen Stiftung. Das internationale Interesse am Projekt ist groß.
Erstes wirklich öffentliches Kunst-Depot
Immerhin gilt das außergewöhnliche Gebäude als erstes wirklich öffentlich zugängliches Kunst-Depot der Welt. Obendrein fügt es der Liste moderner Museumsbauten ein besonderes Highlight hinzu. Eines, das mindestens so spektakulär ist wie etwa Norwegens gedrehtes „Kistefos“ oder das unterirdische „Amos Rex“ in Helsinki.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: MVRDV, Ossip van Duivenbode, Rob Glastra