Kleiner Wohnen
In den letzten Jahrzehnten galt bei der Wohnfläche die Devise „es darf ruhig etwas mehr sein“. Zuletzt gewann mit den Tiny Houses aber ein neuer Minimalismus an Beliebtheit.
Wie gebaut und gewohnt wird, unterliegt nicht nur technischen und ästhetischen Trends, sondern ist immer auch ein Spiegelbild der jeweils geltenden kulturellen Werte. In den von Besitzmaximierung geprägten Konsumgesellschaften sind daher mit dem wachsenden Wohlstand auch die Häuser immer größer geworden. Laut der letzten Erhebung der Statistik Austria (2011) hatte ein Einfamilienhaus 2001 durchschnittlich 122 Quadratmeter Wohnfläche, zehn Jahre später immerhin um fünf Quadratmeter mehr.
Das Mehr an Fläche bedeutet aber auch höhere Kosten für Anschaffung und Erhalt der Immobilie. Im Zuge zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheiten, dem Wunsch beziehungsweise auch der Notwendigkeit nach mehr Mobilität im Beruf und Privatleben, dem begrenzten und immer teurer werdenden Raum in Ballungsgebieten und nicht zuletzt den Fragen rund um die ökologischen Auswirkungen des modernen Lebensstils hinterfragen immer mehr Menschen die These, dass größer grundsätzlich besser ist.
Eierlegende Wollmilchsau
Das Tiny House ist ein ebenso radikaler wie optisch charmanter Gegenentwurf und schlägt gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Es benötigt weniger Material und Zeit bei der Errichtung, ist günstig im Unterhalt, bietet dank ausgeklügelter Design- und Einrichtungskonzepte viel Komfort und kann je nach Größe und Gewicht per PKW oder LKW von einem Standort zum anderen transportiert werden.
Ihren Anfang nahm die Tiny House-Bewegung Ende des 20. Jahrhunderts in den USA. 1987 veröffentlichte die Architektin Sarah Susanka das Buch „The Not So Big House – A Blueprint For the Way We Really Live“. Die Idee griffen anfangs Bastler und Aussteiger auf, die alte Zirkus- und Bauwagen oder Container zu transportablen Minihäusern umfunktionierten und bei Workshops und via Internet ihre Erfahrungen und Baupläne unters Volk brachten. TV-Formate wie Tiny House Nation und Tiny House Hunters (läuft aktuell auf A&E) sowie zahlreiche Bücher, Blogs und Youtube-Kanäle machten die mobilen Minihäuser rasch auch in anderen Ländern populär.
Laut einer Anfang des Jahres von Interhyp, einem großen deutschen Vermittler von Baufinanzierung, durchgeführten Umfrage können sich immerhin 13% der Deutschen vorstellen, ihr Domizil auf Dauer in einem Tiny House aufzuschlagen. Theresa Steininger, die 2013 gemeinsam mit Christian Frantal in Wien das Start-up Wohnwagon gegründet hat, schätzt die Quote für Österreich ähnlich hoch. „Viele wollen aus dem Hamsterrad von Arbeiten, Konsumieren, Bauen und Arbeiten aussteigen und sehnen sich nach einer Reduktion auf das Wesentliche. So bleibt wieder mehr Zeit für unsere wahren Bedürfnisse, Zeit für Freunde, Zeit in der Natur.“
55 Minihäuser hat das Unternehmen bisher in Österreich, Deutschland, Luxemburg und der Schweiz verkauft. Die Kunden kommen aus allen Altersgruppen. „Vom jungen Paar, das sich zum ersten Mal etwas Eigenes schaffen möchte, bis zu Pensionisten, die das zu große, halb leer stehende Haus verkaufen wollen. Schön ist, dass über die Hälfte unserer Kunden den Wohnwagon wirklich als Hauptwohnsitz nutzen. Nachdem der Wagon nun als Gebäude genehmigt wird, ist das auch kein Problem.“
Unterschiedliche Konzepte
Neben den rollenden Tiny Houses gibt es die Containerhäuser. Die sind zwar weniger mobil. Außerdem erfordert ein Ortswechsel einen LKW. Asllerdings lassen sich die einzelnen Module fast beliebig kombinieren und das Haus damit einfach den wechselnden Wohnbedürfnissen anpassen. Auf diesem Prinzip beruhen unter anderem die Häuser der österreichischen Hersteller McCube aus Amstetten, Agrav aus Wiener Neustadt oder Eunido aus Wiesen.
Ob man für das Wohnen auf kleinstem Raum geschaffen ist, lässt sich nur in der Realität testen. Wohnwagons zum Mieten gibt es unter anderem in Gutenstein, bei Sonnentor in Sprögnitz oder in Eurasburgam Starnberger See.Darüber hinaus bieten verschiedene Ferienanlagen in Österreich, Deutschland und der Schweiz ihren Gästen die trendigen Micro-Häuser als Alternative zum herkömmlichen Hotelzimmer.
Fachmesse für Tiny Houses
Als Reaktion auf das wachsende Interesse hatte die Messe Karlsruhe 2018 im Rahmen der LOFT – Das Designkaufhauserstmals das Tiny House Festival veranstaltet. Heuer findet es vom 24. bis 26. Mai statt. Gezeigt werden 20 verschiedene Minihäuser. Daneben gibt es eine Reihe von Expertenvorträgen rund um Planung und Bau sowie Erfahrungsberichte von Tiny House-Bewohnern.
Text: Britta Biron
Bilder: Vitra, UN Environment, Zinipi, Wohnwagon, Leonardo di Chiara, Tchibo, Agrav, Eunido