Kinder am Werk
Mit dem KinderKunstLabor ist in St. Pölten ist ein beispielloser Kulturbau entstanden, der in Form und Funktion neue Wege geht. Der viergeschossige Holzbau – mitentwickelt von einem Kinderbeirat – wurde mit dem Bauherr:innenpreis 2024 ausgezeichnet.
Der niederösterreichischen Landeshauptstadt eilt der Ruf eines verschlafenen Provinznestes voraus. Allein die Erwähnung des Namens „St. Pölten“ reicht im Kabarett, um sichere Lacher zu garantieren. Dabei kann die Stadt ihrem angestaubten Image heute einiges entgegensetzen. So zum Beispiel den neuen Uni-Campus, den sich Fachhochschule, New Design University und die Bertha von Suttner Privatuniversität teilen. Durch den sukzessiven Ausbau des akademischen Angebotes wird die Stadt an der Traisen heute von rund 5.000 Studentinnen und Studenten bevölkert.
Mit der Bewerbung zur europäischen Kulturhauptstadt 2024 wollte man das Bild einer lebendigen Metropole forcieren, in der kulturelle Vielfalt verankert ist. Auch wenn der Titel letztlich an Bad Ischl gegangen ist, hielt man dennoch an den Kernideen und den damit verbundenen Investitionsvorhaben fest. Was für eine gute Entscheidung das war, zeigt unter anderem das KinderKunstLabor St. Pölten, das diesen Sommer eröffnet wurde.
Ein Raum der Möglichkeiten
Eine bestehende Typologie, auf die das Wiener Architekturbüro Schenker Salvi Weber zurückgreifen hätte können, gab es nicht. Denn weder sollte das KinderKunstLabor ein klassischer Museumsbau mit integrierter Kunstvermittlung sein, noch ein Indoor-Spielplatz mit Kreativangebot. Vielmehr wollte man einen „Raum der Möglichkeiten“ schaffen, in dem zeitgenössische Kunst und kulturpolitischer Bildungsauftrag zu einer neuen Form finden.
„Diesen Möglichkeitsraum haben wir konsequent ausgelotet und dabei auch unsere eigenen kreativen Prozesse hinterfragt“, erklärt Architekt Michael Salvi gegenüber der Plattform austria-architects.com. „Das führte schließlich dazu, dass wir von Beginn an radikal im physischen Arbeitsmodell entwarfen. Diese Herangehensweise sieht man – so glauben wir – dem Bauwerk heute an.“
Ideen aus dem Kinderbeirat
Eine wichtige Rolle habe auch der kreative Beteiligungsprozess gespielt. Während kindgerechtes Raumdesign üblicherweise von Erwachsenen kommt, haben in diesem Fall die Kinder selbst ihre Vorstellungen von Architektur eingebracht.
Wir entwarfen von Beginn an radikal im physischen Arbeitsmodell. Diese Herangehensweise sieht man – so glauben wir – dem Bauwerk heute an.
Michael Salvi, Architekt
Ein Kinderbeirat, bestehend aus Kindergarten- und Schulgruppen, war aktiv in die Gestaltung und Planung des Projekts eingebunden. Durch den regelmäßigen Austausch mit dem Architekturbüro sowie mit den Künstlerinnen und Künstlern sei eine „ökologisch nachhaltige, gestalterisch ambitionierte und partizipative Architektur“ entstanden, die gezielt auf die Bedürfnisse von Kindern eingeht.
Entstanden ist nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, ein kunterbunter Spielpalast, sondern ein angenehm ruhiger Bau, dessen künstlerische Erfahrungsräume sich spielerisch erschließen. „Erwachsene verlaufen sich immer, Kinder nie“, sagt die künstlerische Leiterin des KinderKunstLabors Mona Jas. Die markante Helixtreppe, die sich zwischen der inneren und der äußeren Fassade nach oben windet, ist weit mehr als bloße Verkehrsfläche. Sie ist ein multifunktionaler Raum mit hoher Aufenthaltsqualität, der auch mit Veranstaltungen und Workshops bespielt wird.
Eine neue Landmarke für St. Pölten
Das markante Gebäude am Altoonapark verhilft St. Pölten nicht nur zu einem außergewöhnlichen Kulturbau, sondern auch zu einer neuen Landmarke, die zwischen der Altstadt und dem Kulturbezirk liegt. Die erste Auszeichnung hat das KinderKunstLabor bereits bekommen. Es wurde mit dem Bauherr:innenpreis 2024 prämiert. „Dass es in diesem Haus auf allen Ebenen um künstlerische Erfahrungsräume geht, zeigt auch eine textile Netzlandschaft zum Klettern, die die japanische Künstlerin Toshiko Horiuchi MacAdam eigens für diesen Ort geschaffen hat“, heißt es in der Bewertung der Jury.
Der dreieckige Baukörper mit den gekappten Ecken wirkt aus der Luft wie der Spielbaustein eines motorikfördernden Steckwürfels. Die Holzlamellen-Fassade bietet von außen Einblicke entlang der Helixtreppe, während sie im Inneren für ein Spiel aus Licht und Schatten sorgt.
Getragen von einer baumartigen Struktur
Die Konstruktion des Gebäudes hebt sich deutlich von den gängigen Bauweisen ab. In der Mitte der Kubatur befindet sich eine achteckige Betonstütze, die zusammen mit den Trägern und drei massiven Betonscheiben das Tragwerk bildet. Auf dieser Kernstruktur liegt der Holzbau auf, während quadratische Holzstützen fassadenseitig die Betondecken tragen. „Das gewählte Tragwerk spannt einen Schirm auf. Die Stütze ist eine Analogie zu den umstehenden Bäumen und prägt dadurch die Identität und Raumstruktur“, stellt Salvi den Naturbezug her.
Da man auf Verkleidungen weitgehend verzichtet hat, treten sowohl die Konstruktionselemente als auch die Aufputz-Leitungen offen zutage. Die naturbelassenen Beton- und Holzoberflächen stärken nicht nur die räumliche Qualität des Bauwerks, sie haben außerdem eine didaktische Funktion: „Die Besuchenden sollen sehen und erkennen können, wie das Haus gebaut ist.“
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Patrick Johannsen