Auf kleinem Fuß in Tokyo
Sakae Architects & Engineers hat mit KIBA Tokyo Residence den Versuch unternommen, die Möglichkeiten für die Entwicklung eines Wohnhauses auf einem sehr kleinen Baulos mitten im Stadtzentrum voll auszureizen.
Die Bauwirtschaft in Japan leidet – wie in anderen Ländern auch – seit geraumer Zeit unter steigendem Kostendruck. Weiterhin hohe Immobilienpreise und Großprojekte ziehen Investoren aber ungebemst an. Neue Hochhauskomplexe schießen aus dem Boden und zieren die Skyline in Tokyo – vielfach sind es die höchsten Wolkenkratzer des Archipels. Die Branche will zudem mit dem klimafreundlichen Baustoff Holz hoch hinaus.
Was den japanischen Immobilienmarkt kennzeichnet: Die Bevölkerung schrumpft insgesamt, dennoch ist die Nachfrage nach Wohnraum nach wie vor gegeben. Das Branchenforschungsinstitut RICE (Research Institute of Construction and Economy) erwartet, dass die Bauinvestitionen – auf Yen-Basis – im Fiskaljahr 2023 gegenüber 2022 steigen werden.
KIBA Tokyo Residence: Development auf kleinem Fuß
Die Stadterneuerung spielt bei den Bauaktivitäten in Japan eine besondere Rolle. Viele alte Gebäude waren in den vergangenen Jahren dem Verfall preisgegeben, doch dies ändert sich und die Grundstücke wurden sehr rar. Manche verbliebene Bauplätze im Zentrum Tokyos sind sehr klein – eine Herausforderung für die Planer und Architekten.
Beim Projekt KIBA Tokyo Residence von Sakae Architects & Engineers hat das Büro eben dies versucht: Die Möglichkeiten für die Entwicklung eines kleinen Wohnhauses auf einem kleinen Grundstück mitten im Stadtzentrum voll auszureizen.
Wohnprojekt am „Baumplatz”
Kiba ist ein Viertel im südöstlichen Bezirk Kōtō. Die Präfektur Tokio zählt insgesamt 23 Bezirke. Den Stadtteil erreicht man über die Kiba Station der Tokyo Metro Tozai Line. Nördlich des Bahnhofs befindet sich der Kiba Park, ein großes Gelände mit vielen Möglichkeiten für ein Picknick. Am anderen Ende des Parks liegt das Museum für zeitgenössische Kunst Tokio.
„Kiba” bedeutet wörtlich „Baumplatz”. Ein Großteil des heutigen Kiba-Parks war jahrhundertelang ein wichtiger Holzumschlagplatz. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Stämme per Schiff nach Kiba gebracht, in einem Teich gelagert und sortiert.
Diese Tradition lebt im jährlichen Kōtō Ward Citizen‘s Festival fort. Die auftretenden Künstler balancieren auf schwimmenden Baumstämmen in einem Teich in der Mitte des Parks und führen Kunststücke vor.
Geringe Grundfläche, drei Wohntypologien
Die Experten von Sakae wollten in vielfacher Weise einen Mehrwert für das Gebäude, für KIBA Tokyo Residence schaffen und einer Vielzahl an Lebensstilen und -entwürfen gerecht werden. Das Büro entwarf dafür mehrere Einheiten im Maisonnette-Stil.
Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten von der Grundstücksgröße her entstand eine Struktur mit mehreren Wohntypologien. In einem einzigen Gebäude koexistieren nun drei Wohnformen: Wohnungen für Alleinstehende, für Paare und Wohnungen für Familien mit Kindern. Diese Durchmischung trägt zu einem Gefühl der Gemeinschaftlichkeit im Herzen der Stadt bei.
Hommage an die Geschichte des Standorts
Außerdem versuchte das Büro, KIBA Tokyo Residence in Einklang mit der Historie des Standorts zu bringen. Man wollte neue Werte und Lebensstile in den Innenräumen schaffen und gleichzeitig das historische und kulturelle Erbe des Gebäudes im Außenbereich bewahren und präsentieren. Die Holzhändler lagerten ihr Holz just dort, wo das Wohnhaus nun steht, die meisten Geschäfte sind 1981 an den neuen Kiba-Standort umgezogen.
Vor diesem Hintergrund hat Sakae die Fassade von KIBA Tokyo Residence so gestaltet, dass sie das Bild des ursprünglichen Kiba-Bildes widerspiegelt. Dies zeigt sich insbesondere im Gitterwerk und in den Holzlamellen. Die hölzerne Jalousie imitieren das einstige „Landschaftsmerkmal” der an der Fassade des Ladens senkrecht angelehnten, gestapelten Hölzer.
Traditionelles Gitterwerk
Das Design der Gitterfenster und -flügel ist vom Kouraiya-Gitterwerk abgeleitet, einem der bekanntesten Gitterwerkstile der Edo-Zeit. Diese Periode wird auch Jedo-Periode oder Tokugawa-Zeit genannt – ein Abschnitt der japanischen Geschichte, der von 1603 bis 1868 dauerte. Damals herrschten die Tokugawa-Shogune. Die Edo-Zeit ist benannt nach dem damaligen Namen der Hauptstadt, Edo (das heutige Tokyo).
Die Tragwerksplanung konzentrierte sich auf die Konstruktion eines siebenstöckigen Stahlbetongebäudes mit vier Stützen, das in ein kleines Grundstück mit (brüchigem) Boden eingebettet ist. Die große, direkt nach Süden ausgerichtete Fensterseite lässt reichlich Sonnenlicht einfallen und schafft ein angenehmes Raumklima, vor allem im Winter.
Low-E-Doppelverglasungen
Als Fenster wurden Low-E-Doppelverglasungen gewählt. Das steht für Low-Emissivity-Glas, also Glas mit niedriger Wärmeabstrahlung. Dies ist ein Isolierglas, auf das eine hauchdünne Metallschicht von etwa 100 Nanometer aufgebracht wird. Diese Schicht reduziert den Emissionsgrad der Verglasung und dient als Wärme- und/oder Sonnenschutzschicht.
Die hölzernen Lamellen, die jeweils etwa drei Meter lang und in Summe dreiundzwanzig Meter hoch sind, werden durch Querträger gegen den Winddruck und zur Tragfähigkeit an den oberen und unteren Enden gestützt. Die Holzlamellen bestehen aus recyceltem Holz. Dies verleiht dem Projekt eine wichtige nachhaltige und umweltverträgliche Komponente.
Holz wird auch in Japan zum begehrten Baustoff
Holz spielt auch in Japan in der Bauwirtschaft eine immer größere Rolle. Schon jetzt wird in Japan immer mehr aus Holz oder Hybridmaterialien errichtet, auch mehrstöckige Gebäude. Als Vorzeigeprojekt gilt ein elfstöckiges Hochhaus auf Holzbasis in Yokohama, das vom Baukonzern Obayashi im Sommer 2022 fertiggestellt wurde. Der Konzern positioniert und etabliert sich als Timber-Vorreiter.
Viele neue Skyscraper in Tokyo
Vor allem in Tokio ist die Veränderung des Stadtbildes durch neue Hochhäuser in verschiedenen Distrikten der Metropole spür- und sichtbar. Mit 330 Metern wird ab 2023 in Tokyo der höchste Skyscraper des Archipels, der A Tower des Immobilienkonzerns Mori Building, fertiggestellt sein.
Ihm folgt bis 2027 in der Nähe des Tokioter Hauptbahnhofs mit 390 Metern Höhe der Torch Tower des Immobilienkonzerns Mitsubishi Estate.
100 Meter hoher Holz-Büroturm von Renzo Piano
Viele der neuen Skyscraper werden noch als Glas- und Stahlkonstruktionen errichtet. Aber: Ein lokaler Versicherungskonzern hat jüngst einen 100 Meter hohen Holz-Gebäudekomplex im Marunouchi-Distrikt in Auftrag gegeben. Dies berichtet die Organisation Germany Trade and Invest (GTAI), die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing.
Marunouchi ist ein lebhaftes Geschäftsviertel, in dem elegante hohe Bürogebäude die steinernen Wassergräben und üppigen Grünflachen des Kaiserpalastgartens Kōkyo Higashi-Gyoen überblicken. Das neue, von Renzo Piano Building Workshop in Zusammenarbeit mit Mitsubishi Jisho Sekkei entworfene Objekt mit rund 130.000 Quadratmetern Fläche soll ab Anfang 2029 den Hauptfirmensitz der Tokio Marine Holdings beherbergen.
Auch das norwegisch/US-amerikanische Büro Snøhetta hat ein Prestige-Projekt in Tokio, das Shibuya Upper West Project: ein Wolkenkratzer mit Fokus auf nachhaltiger Bauweise.
Preisträger vieler international beachteter Wettbewerbe
Sakae Architects & Engineers ist ein japanisches Architekturbüro mit Sitz in Tokio, das 1963 gegründet wurde. Das Oeuvre des Büros umfasst zahlreiche Bürogebäude, öffentliche Räumlichkeiten, Bildungseinrichtungen, Wohnhäuser, medizinische, kommerzielle und industrielle Gebäude und vieles mehr.
Sakae bietet verschiedene architektonische Dienstleistungen sowie Planung und Design an. CEO Eisuke Yamazaki erwarb einen Master of Architecture am Pratt Institute in New York, USA. Er beziehungsweise Sakae Architects hat mehrere internationale Architekturpreise erhalten, darunter den Architecture Master Prize 2022, den A‘ Design Award Wettbewerb 2021-2022 sowie den Future House Award 2022, den BLT Built Design Award 2022 und den LOOP Design Award 2022 und bei den Muse Design Awards die silberne Auszeichnung.
Text: Linda Benkö
Fotos: Koji Fujii/Yuichi Higurashi