Jetzt wird Sandstein neu entdeckt
Für viele Herrscher galt Sandstein in der Vergangenheit als der Baustoff schlechthin. Heute wird er meist nur noch als hübsches Verkleidungsmaterial genutzt. Doch das soll sich nun wieder ändern. Sagen zumindest Malik Architecture.
Eigentlich ist Rajasthan ein nordindischer Bundesstaat an der Grenze zu Pakistan. Seine prachtvollen Paläste und Festungen erinnern an die vielen Königreiche, die einst um die Vorherrschaft in der Region gekämpft haben. Ganz besonders das Wahrzeichen der Hauptstadt Jaipur: der Stadtpalast aus dem 18. Jahrhundert.
Sandstein gibt die Stadtfarbe vor
Erbaut aus rosafarbenem Sandstein. Genau so, wie die meisten anderen Gebäude in seinem Umfeld. Das hat Jaipur auch seinen Namen gegeben – dieser bedeutet übersetzt so viel wie die „rosafarbene Stadt“. In Rajasthan wird seit vielen Jahrhunderten der farblich besonders schöne Sandstein abgebaut. Und in die ganze Welt verschifft.
Deshalb steht der Begriff Rajasthan auch für weit mehr, als bloß eine Region. Er steht für hochwertigen Sandstein. So wie etwa Tixo für Klebeband. Oder Nivea für Handcreme.
Doch in den vergangenen Jahrzehnten bröckelte der steinerne Glanz. Das einst so begehrte Baumaterial – weltweit errichteten Herrscher ihre Paläste damit, der Berliner Reichstag und der Kölner Dom bestehen beispielsweise zu großen Teilen aus Sandstein – wurde zunehmend verdrängt. Von Kunststein. Von modernen Baustoffen, die vielleicht nicht besser, aber sicher billiger sind.
Keiner kennt das wahre Sandstein-Potential
Ein Fehler! Davon sind die renommierten Planer aus dem Hause „Malik Architecture“ überzeugt. Sie monieren: „Dieses Material wurde in den letzten Jahrzehnten auf ein „Verkleidungsmedium“ reduziert. Sein wahres Potenzial als robustes und nachhaltiges Strukturelement wurde nicht einmal konkret erforscht!“
Das indische Architektur-Studio hat sich also nun eben dieser Grundlagenforschung verschrieben. Stein des Anstoßes: Just ein Haus in Jaipur, besagter rosafarbener Hauptstadt, das sie realisieren durften. „Es bot uns überraschend die Gelegenheit, eine Bauweise zu erforschen und weiterzuentwickeln, die in traditionellen Gebäuden seit Jahrhunderten vorherrscht“, sagen die Planer rückblickend.
Also hatten sie sich eine simple aber keineswegs einfache Vorgabe auferlegt: Es durfte kein anderes Material als Sandstein für die Konstruktion verwendet werden.
Tradition auch in der Bauweise
Ausgehend von dieser Überlegung, besann man sich zudem auf eine traditionelle Bauweise: Eine tragende Konstruktion, die auf besonders dicken Sandsteinwänden ruht. So kann man selbst mit dem etwas weicheren Sandstein hohe und stabile Objekte – wie etwa Schlösser oder Festungen – errichten. Und auch ein mehrstöckiges Wohnhaus.
Allerdings wollte man sich nicht mit dem Ausgraben von altem Wissen begnügen. Vielmehr wurde diese steinalte Methode mit modernen und besonders exakten statischen Berechnungsmöglichkeiten weiterentwickelt. Das Ergebnis: Ein teilweise hohles und ineinander verzahntes Wandsystem, das die Stabilität erhöht und gleichzeitig eine effektive thermische Lösung bietet. „So war es uns außerdem möglich, den Materialverbrauch um 30 Prozent zu reduzieren“, machen die Planer stolz aufmerksam.
Denn auch wenn in der Region gewiss kein Mangel an Sandstein herrscht, wollte man dennoch möglichst ressourcenschonend vorgehen. Deshalb kaufte man auch nicht rein nach Bestbieter-Kriterien ein, sondern achtete auf die regionale Nähe zur Baustelle: Der verwendete, härtere Jodhpur-Sandstein wird nur 45 Autominuten entfernt abgebaut.
Handarbeit als großer Trumpf
Weil hier jedoch längst auf den maschinellen Abbau gesetzt wird, waren die Architekten mit den angepriesenen Ziegeln nicht sonderlich glücklich. „Die Sägen zerstören die natürliche Maserung des Steins“, monierten sie. Das würde die gewünschte Optik gefährden. „Auf unser Bitten kehrte der Steinbruchleiter für unser Vorhaben zur alten Technik des ,Spaltens’ zurück“, erzählen die Architekten. Dies bewahrt die natürliche Erdprägung des Steins und schuf eine Optik, die das Objekt in die Altstadt nahezu nahtlos integriert. Zumal man die Fassadensteine auch noch mithilfe alter Handwerkskunst verzierte.
Angeordnet sind die einzelnen Bereiche des Hauses ebenfalls ganz traditionell: Um einen schmalen Hof herum, der das Zentrum des Objekts bildet. Hierbei gelang den Architekten allerdings ein charmanter Kunstgriff: Die schon erwähnten Hohlräume in den Sandsteinmauern bieten den Sonnenstrahlen immer unterschiedliche Möglichkeiten, den Hof und das Innere des Hauses zu fluten.
Haus, wie eine Sonnenuhr
Auf diese Weise wandeln die Schatten konstant mit der Sonne mit. Fast, als würde das neue Haus aus altem Sandstein in seiner Gesamtheit eine gigantische Sonnenuhr darstellen. Die – wenn man so will – die Zeit an jenen Punkt zurückdreht, an dem Sandstein für Ruhm, Reichtum und Macht stand. Und nicht bloß als schickes Fassaden-Dekomaterial sein Dasein fristete.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Bharath Ramamrutham, Fabien Charuau