James Bond und der Stein des Waldes
Am Rande von Antwerpen sorgt ein Einfamilienhaus, das sich sowohl in die umgebende Natur als auch den Wechsel der Jahreszeiten integriert, für Staunen. Ein Lokalaugenschein an einem Ort, der James Bond-Gefühle weckt.
Die Kieselsteine unter den groben Reifen des SUVs spritzen schon seit einigen Minuten links und rechts zur Seite. In sanften Kurven führt die einspurige und nur zwischendurch asphaltierte Straße von Antwerpen weg und direkt hinein in einen Mischwald, der auch ohne die wabernden Nebelschwaden an wilder Romantik kaum zu überbieten wäre.
James Bond und Blofeld warten
Unser Ziel: Das soeben fertiggestellte „Haus Bras“. Ein Einfamilienhaus, um das sich schon jetzt Geschichten ranken, wie sonst bloß um Jahrhunderte alte Gehöfte. Das Haus würde getarnt sein, damit man es aus der Luft nicht sehen kann, heißt es im Umland. Auch soll man nur einen kleinen Teil sehen, der weit größere würde sich unter einem dunklen See verbergen.
Kurz gesagt: Wir fühlen uns wie James Bond, sind auf Stavro Blofelds Bunkerbasis gefasst und in Erwartung einer Moonraker-Startrampe direkt unter dem See. Doch man soll eben nicht zu sehr den Gerüchten trauen …
Das schlafende Krokodil
… ihrer Spur zu folgen, das macht jedoch allemal Sinn, wie wir in diesem Moment feststellen können. Im ob der Jahreszeit weichen Licht der tiefstehenden Sonne geben die Bäume soeben den Blick auf das gesuchte Haus frei. Im Vordergrund ruht er tatsächlich, der nahezu schwarze Weiher.
Darin spiegelt sich die Fassade eines langgezogenen Gebäudes, das wie ein schlafendes Krokodil am Ufer wartet. Die zweigeschossige Fensterfront wie ein Maul weit aufgerissen – um Besucher zu verschlingen. Um uns zu empfangen. Und um seine Geschichte zu erzählen.
Tatsächlich muss man einräumen, dass der belgische Star-Architekt Dirk De Meyer beim Bau dieser Villa wirklich versuchte, diese unsichtbar zu machen. Wenn auch aus gänzlich anderen Motiven, als die Gerüchteküche wissen will. „Uns war es ein Anliegen, keinen Fremdkörper in den idyllischen Wald zu pflanzen, sondern ein Objekt, das sich möglichst integriert“, heißt es.
Der Stein des Waldes
Ein Unterfangen, das bei einem Haus mit einer Grundfläche von 190 Quadratmetern kein leichtes ist. Doch die Lösung war am Ende zwar unaufregend in der Arbeit, jedoch spektakulär in ihrer Wirkung: Drei unterschiedliche Arten von Muschelkalksteinplatten wurden abwechselnd an der Fassade aufgezogen. So imitiert die Hausfront das Spiel des durch die Laubbäume brechenden Lichts. Und so ruht das Gebäude nun an seinem Platz, wie ein großer Fels, der schon immer hier gelegen haben muss.
Um die Integration in den Wald zu komplettieren, kann das Team von DDM Architectuur übrigens mit einem weiteren Schachzug überraschen: Das Gebäudes wurde den vorherrschenden Jahreszeiten entsprechend angelegt. Das bedeutet: Der mäanderförmige Grundriss lässt zu allen Jahreszeiten und zu jeder Tageszeit ähnlich viel Tageslicht eindringen und ermöglicht gleichzeitig einen ungehinderten Blick auf den Garten.
(K)eine Unterwasserwelt
Das erklärt nun zwar den Camouflage-Gossip, das vermeintliche Unterwasserparadies konnten wir allerdings noch immer nicht entdecken. Ein paar Schritte weiter wird aber rasch klar, woher der Wind weht: Eine Rampe schneidet das Wasser des Teichs förmlich entzwei und verschwindet mitten im Gewässer unter dem Wasserspiegel.
Aber: Sie führt direkt in die Garage, die neben ein paar Kellerräumlichkeiten unter dem Haus und nicht etwa unter dem Teich angesiedelt ist. Weit spannender als die vermeintliche Moonraker-Basis sind allerdins jene Areale, die man nun durch die Garage mittels Aufzug erreicht – die Wohnbereiche!
In seinem Inneren ist das Haus in drei Bereiche mit jeweils unterschiedlichen Merkmalen unterteilt. Einzig, ob der fehlenden Säulen – diese wurden durch intelligente Traversensysteme ersetzt – wirken sie alle saalartig. Jedenfalls aber gelangen wir zuerst in den Fitness- und Wellnessbereich. Eine Sauna und ein langes Schwimmbad mit einer raumhohen Glaswand, die den Blick in den Garten ermöglicht und Spa-Feeling inmitten des Waldes suggeriert.
Musik für die Augen
Im zweiten Teil des Hauses befindet sich ein großes Wohnzimmer, über dem eine freistehende Küche thront. Die großteils in dunklen Farbtönen verkleidete Küche bildet mit ihren schwarzen Kästen einen Kontrast zu den helleren Tönen von Decke und Boden.
Im dritten Bereich ist das offensichtliche Herzstück des imposanten Gebäudes angesiedelt: Ein Musikzimmer, mit einer Glaswand, die den beruhigenden Blick auf den Garten ermöglicht, während die gegenüberliegende Wand mit dunklem Lärchenfurnier verkleidet ist. Die Wand aus Lärchenfurnier unterstreicht sanft im Inneren die äußere ästhetische Linie des Hauses.
Und während wir in diesem eindrucksvollen Raum stehen und durch das gigantische Fenster die Spiegelung des dunklen Hauses im Teich bestaunen, fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Wir stehen mitten im gigantischen Maul des schlafenden Krokodils. Wurden von ihm verschlungen und wollen eigentlich gar nicht mehr ausgespuckt werden.
Der gigantische Stein im Wald hat uns längst in seinen Bann gezogen.
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Lenzer