Nah am Wasser gebaut
Im Mai 2023 wurde das von Renzo Piano Building Workshop entworfene, neue Istanbul Modern Museum eröffnet – ein Gebäude, das mehr mit dem Bosporus verbindet als nur seine dortige Lage.
Karaköy ist eine der angesagtesten Gegenden Istanbuls. Auch heute noch unter seinem früheren Namen Galata bekannt, liegt das „schwarze Dorf“ direkt am Goldenen Horn auf der europäischen Seite des Bosporus. Hier befindet sich das Istanbul Modern, das erste türkische Museum für moderne und zeitgenössische Kunst. Seit 2004 hat es am Ufer seinen Standort. Mit fünfjähriger Unterbrechung.
In den Jahren 2018 bis 2022 nämlich musste das Museum in ein temporäres Quartier umziehen, nachdem sein damaliges Zuhause, ein 8.000 Quadratmeter großes, ehemaliges Zollllager, abgerissen wurde. Im Mai 2023 schließlich kehrte das Istanbul Modern an seinen ursprünglichen Standort zurück. In ein neu errichtetes Gebäude.
Ans Ufer gesprungen
Entworfen wurde das Projekt von Renzo Piano Building Workshop (RPBW), unter anderem für The Shard in London oder das New York Times Gebäude bekannt. Das neue Istanbul Modern entstand auf 10.500 Quadratmetern an der Uferpromenade Karaköys. Der neuen Uferpromenade, denn diese war bisher für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Das Meer war es auch, das für die Inspiration des Designs sorgte, wie das Architekturbüro mit Hauptsitz in Genua erläutert. Die Gestaltung des Gebäudes soll demnach an Schiffe sowie den „seit Jahrtausenden als Hafen genutzten Ort“ erinnern und „einem Meeresgeschöpf ähneln, das vom Bosporus ans Ufer sprang“, wie es offiziell heißt.
Die transparente Fassade des Erdgeschosses sorgt zudem für die Verbindung zwischen dem Wasser und dem auf der anderen Seite des Museums gelegenen Tophane Park. Neben Glas verwendete RPBW dreidimensional geformte Aluminiumpaneele. Sie schaffen mit Wechselspielen des Sonnenlichts eine schillernde Hülle – so, als wäre das Museum mit Fischschuppen überzogen, beschreiben die Verantwortlichen. Der schimmernde Effekt der Paneele erzeuge demnach eine sich ständig verändernde Dynamik, die dem Gebäude zu verschiedenen Tageszeiten jeweils einen neuen Charakter verleiht und die wechselnden Gezeiten des Bosporus widerspiegelt.
Unerwartete Reise
Das Gebäude hat fünf Stockwerke, drei über, zwei unter der Erde. Im zurückgesetzten Erdgeschoss befinden sich die Museumsbibliothek, Bildungs- und Veranstaltungsräume, Infopoints, ein Café und ein Museumsshop. Runde Säulen bilden im großen Eingangsbereich eine eigene architektonische Landschaft; der Verzicht auf (intransparente) Wände soll laut RPBW den Übergang zwischen Licht und Schatten mildern und für eine helle und sichere Umgebung sorgen.
In der Mitte des Gebäudes verbindet eine breite zentrale Treppe die öffentlichen Bereiche des Museums. Von der Lobby im Erdgeschoss führt sie hinunter zu einem Auditorium mit 156 Sitzplätzen in einem unterirdischen Zwischengeschoss. Geht man nach oben, passiert man drei, aus Spiegeln hergestellte Kugelformen von Olafur Eliasson, die im Raum zu schweben scheinen. Das vom Museum in Auftrag gegebene Kunstwerk mit dem Titel „Your Unexpected Journey“ spielt mit dem Lichteinfall und dadurch mit den Sinnen der Besucher:innen. Es steht bewusst in Kontrast mit den geraden, orthogonalen Linien der Architektur von Renzo Piano.
Über dem Wasser
Im ersten Stock befinden sich Fotografie- und Pop-up-Galerien sowie Personalbüros, Bildungs- und Veranstaltungsräume. Das Restaurant an der Südfassade verfügt über eine Außenterrasse mit Blick auf das Meer. Alle Lobbybereiche auf den oberen Ebenen bieten den Besuchern einen Blick auf den Park und das Wasser und sorgen so für eine visuelle Verbindung zur Umgebung. Dies erleichtert den Besuchern auch die Orientierung im Gebäude.
Die zweite Etage beherbergt Dauerausstellungen, die einen Streifzug durch die moderne und zeitgenössische türkische Kunst ermöglichen, sowie die Galerien für temporäre Ausstellungen. Von dieser Ebene aus gelangt man schließlich auf eine Dachterrasse mit Ausblick über Istanbul und den Bosporus. Eine Terrasse, die einen schwebenden Eindruck erweckt, erstreckt sich unter ihr doch ein Reflexionsbecken über den gesamten Dachbereich. Die sich sowohl darin als auch im Meer spiegelnde Stadt sorgt laut den Designern dafür, dass das Museum und das Wasser zu einer Einheit verschmelzen.
Masterplan
Istanbul Modern ist Teil eines umfassenden Sanierungsplans entlang des Kais auf einer Länge von 1,5 Kilometern. Der Bau des neuen Gebäudes wurde durch die gemeinsamen Beiträge der Eczacıbaşı-Gruppe, dem Gründungssponsor des Museums, und der Doğuş Group-Bilgili Holding, dem Hauptsponsor des Museums, ermöglicht.
Die Sammlungen im Museum umfassen den Zeitraum von 1945 bis heute und zeigen Werke internationaler Künstler, die die künstlerische Kreativität der Türkei widerspiegeln und eine aktive Rolle bei der globalen Transformation der Kunst gespielt haben.
Text: Michi Reichelt
Bilder: Cemal Emden, Enrico Cano, RPBW