Ein Hochhaus als Baumschule
Mit dem Mixed-Use-Turm IQON hat das Büro BIG nicht nur Quitos höchstes Gebäude geschaffen. Die Architekten haben ihm auch eine Zusatzfunktion als Baumschule verpasst: Was an der Fassade zu groß wird, wird in die Parks der ecuadorianischen Hauptstadt verpflanzt.
Noch sieht der 130 Meter hohe Turm, der in der höchstgelegenen Hauptstadt der Welt gen Himmel ragt, recht grau aus. Doch dies wird sich rasch ändern. Denn die Pflanzen, die seine verschachtelte, extravagant gedrehte Außenhaut begrünen, sprießen schon. Der Neubau namens IQON wird also bald nicht nur der höchste, sondern auch der grünste Blickfang der Skyline von Ecuadors Hauptstadt Quito sein. Ein Wolkenkratzer, der später zudem die Parks der Metropole um junge, einheimische Bäume bereichern soll: Werden diese nämlich zu groß für die Pflanzgefäße, sollen sie – ausgetauscht und umgesetzt – anderswo weiter Schatten und Freude spenden.
Quito wächst nach oben
Fürs dänische Erfolgsbüro BIG (Bjarke Ingels Group) ist IQON ist das erste Projekt auf südamerikanischem Boden. Und für Quito bedeutet das Mixed-Use-Hochhaus einen weiteren Schritt in Sachen Wachstum „nach oben“. Seit der Verlegung des bis vor zehn Jahren noch im Zentrum platzierten internationalen Flughafens strebt man vor Ort nach vertikaler Verdichtung. Zuvor traditionell von dichten Flachbauten geprägt, verändert sich die Skyline der Metropole zusehends. So, wie eben durch BIGs außergewöhnlich gestalteten, nach vier Jahren Bauzeit kürzlich fertiggestellten Turm.
Von Entwickler Uribe Schwarzkopf beauftragt, haben die Architekten ein gemischt genutztes Wohngebäude mit 390.000 Quadratmetern Fläche konzipiert, dessen außergewöhnliches Design ins Auge sticht. Seine 215 Wohnungen, Gewerbeeinheiten und Büroflächen profitieren von vielen Extras, die zur Lebensqualität beitragen.
Verwandlung eines Stadtteils
Neben IQON arbeiten BIG und Uribe Schwarzkopf derzeit übrigens auch am Bau der nahe gelegenen EPIQ Residences, die ebenfalls noch 2023 fertiggestellt werden sollen. Zudem steht das Entwickler-Unternehmen hinter dem, von Safdie Architects entworfenen Wohn-Projekt QORNER, das ebenfalls im zentralen Geschäftsviertel gen Himmel ragt. Genauer gesagt befinden sich also alle drei erwähnten Neubauten in direkter Nachbarschaft zur 670.000 Quadratmeter großen Grünzone des La Carolina Parks – eines begehrten Freizeit-Treffs der Stadt.
„IQON und QORNER repräsentieren die laufende Umwandlung Quitos in einen Knotenpunkt für Architektur, Design und Innovation. Die neuen Gebäude bereichern nicht nur die Skyline. Sie zeugen auch von unseren Partnerschaften mit den interessantesten und international renommiertesten Architekten der Welt“, betont Uribe Schwarzkopf Mitbegründer Tommy Schwarzkopf. Man freue sich darauf, zu sehen, wie die Gebäude zum Leben erwachen und Teil des Stadtgefüges werden.
Der Park wächst am Gebäude weiter
BIG hat IQON als vertikale Gemeinschaft und Erweiterung des benachbarten La Carolina Parks konzipiert, der sich bis zur Fassade des Turms ausbreitet. Auffälliges Element des Designs ist die geschwungene, von Terrassen umgebene Form des Hochhauses. Die Freiflächen setzen sich um den Gebäudeumfang herum fort und bieten Blick auf den Park, die Stadt und Quitos „Hausberg“, den Vulkan Pichincha.
Die architektonische Identität des Bauwerks wird durch die „zurückgenommene“ Fassade definiert. Und durch den rohen Sichtbeton, der Struktur und Außenansicht des Gebäudes bestimmt. Für Betrachter wirkt IQON fast wie ein gewagt zusammengefügter Turm aus dicht an dicht gesetzten Schachteln. Die einzelnen „Pixel“ sind 32 Stockwerke hoch aufgestapelt und gedreht, um bestmögliche Aussicht zu bieten und Terrassen für die Wohnungen zu schaffen.
Wir haben versucht, alle ikonischen Qualitäten Quitos in die vertikale Dimension zu übertragen.
Bjarke Ingels, BIG-Gründer und Creative Director
Wo immer möglich, gedeiht lebendiges Grün am Neubau. IQON ist rundum mit einheimischen Bäumen und Pflanzen bestückt, um das gemäßigte Klima und die spezielle Ökologie der Lage zu nützen. Immerhin gilt Ecuador weltweit als das Land mit den meisten Pflanzenarten pro Quadratmeter.
Eine Tatsache, die BIG-Gründer und Creative Director Bjarke Ingels mit dem Design des Wolkenkratzers würdigt: „Wir haben versucht, alle ikonischen Qualitäten Quitos in die vertikale Dimension zu übertragen. Also etwa die Freude am Leben an einem der artenreichsten Orte der Erde, in einer Stadt am Äquator, wo die Jahreszeiten perfekt für das menschliche und pflanzliche Leben sind“. IQON bezeichnet Ingels als „vertikale Gemeinschaft von Einzelhäusern“ und „Erweiterung des La Carolina Parks, die bis zum Dach hinauf reicht“.
Verbindende Plaza
Die Plaza im Erdgeschoss wartet mit großzügigen öffentlichen Bereichen und Kunst, aber auch mit Einzelhandelsflächen auf. Dieser zentrale Platz dient zudem als neue Ost-West-Verbindung zwischen dem Park und den anderen Teilen des Stadtviertels.
Im Inneren des Bauwerks dominiert ein deutlich anderer Look als draußen: In der Lobby wechselt die Materialpalette von der rohen, reduzierten Außenansicht zu raffinierterer Ästhetik.
Außen rau, innen elegant
Marmorpflastersteine ergänzen die maßgefertigte Empfangstheke und Betonelemente nehmen Bezug auf die Fassade. Deckenfliesen und Briefkästen leuchten in smaragdgrünen Farbtönen. Ebenso, wie die hinter einem Portal aus geschwärztem Stahl liegende Aufzugslobby.
Quitos vielfältige Flora wird im Turm IQON geradezu zelebriert. Architektonisch integrierte, skulpturale Pflanzgefäße tragen sie in jeden Winkel – von den öffentlichen Räumen bis in die privaten.
IQON pflegt lokale Artenvielfalt
In den Wohnungen werden die Behältnisse des Grüns zu einer extravaganten Betonskulptur: Sie schaffen jeweils Platz für den Wurzelbereich des Baumes, der wiederum auf der darüber liegenden Wohnungsterrasse seine Äste entfaltet. Dadurch verwandeln sie die gesamte Fassade in eine faszinierende Entsprechung der Artenvielfalt Quitos.
Sobald die Pflanzen den Gefäßen entwachsen, können sie – wie eingangs erwähnt – ausgetauscht und in die Parks der Stadt versetzt werden. Dies macht IQON quasi zur „städtischen Baumschule“. Und zum Teil eines urbanen Grün-Kreislaufs: Von der Natur zum Gebäude und von dort zurück ins Freie, in den Park.
Wohnqualität im „Baumschul-Turm“
Was den Nutzern des Neubaus Freude machen wird, ist allerdings nicht allein die Pflanzenpracht im und rund um IQON. „Jede Wohnungsetage verfügt über durchgehende Einheiten: Wohnungen, die sowohl an der Nord- als auch an der Südfassade Terrassen haben“, beschreibt etwa BIG-Partner Thomas Christoffersen. Dieses Konzept verschafft den Bewohnern neben freiem Blick über die gesamte Stadt auch die Möglichkeit zur Querlüftung. Und es verleiht den Räumen ein Gefühl der Offenheit, das sich durch die Terrassen im Freien fortsetzt.
Auch ein Pool und Terrassen auf dem Dach bieten den Nutzern Platz für Outdoor-Entspannung mit superbem Fernblick. Und dies ist längst nicht alles, was das Wohnen in IQON angenehm gestalten wird. Denn das Gebäude verfügt auch über ein Fitnessstudio und einen Squash-Platz, ein Spa, eine Bowlingbahn, Entertainment-Räume und ein Business Center.
Gut leben in der Großstadt
IQON ist das erste gemischt genutzte Gebäude in Quito, dem GBCI (Green Business Certification Inc.) und IFC (International Finance Corporation) eine vorläufige EDGE-Zertifizierung erteilt haben. Also eine begehrte Bestätigung für höchste Standards in Sachen Vielfalt, Chancengleichheit und Integration. Dass derlei vor allem für Großstädte wichtig ist, liegt auf der Hand. Und Bjarke Ingels und sein Büro BIG haben diesen Aspekt längst auch bei anderen Projekten ebenso gezielt mitbedacht wie Umweltschutz und Ressourcenschonung.
Während an Quitos „Baumschule“ in Hochhausform junge Bäumchen sprießen, beeindruckt BIG auch andernorts mit spannenden, oft visionären Entwürfen, die Mensch und Natur eine gute Zukunft bescheren sollen. Im beispielhaften, kleinen Rahmen, wie mit dem Baumhaus „Biosphere“ in Schweden. Aber auch im spektakulär großen, wie etwa mit dem Plan für die „Oslo Science City“ oder jenem für den „O-Tower“ in China, an dem noch getüftelt wird. In IQON indes nimmt das Leben bereits Fahrt auf. Und bald wird auch das Pflanzenkleid des Turms mit dichtem Grün aus Quitos Skyline leuchten.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: BICUBIK, Pablo Casals Aguirre