„Wir erleben einen Paradigmenwechsel“
Die oberösterreichische Firma Wiehag ist einer der Weltmarktführer im Ingenieur-Holzbau. Geschäftsführer Erich Wiesner spricht im Interview über die Anfänge des Holzbaus und die aktuelle Trendwende in der Baubranche.
Londons neue Crossrail-Station Canary Wharf ist ein Bauwerk der Superlative. Der 300 Meter lange Bahnhof von Star-Architekt Sir Norman Foster gilt als architektonische Landmark in den Docklands, dem einst größten Hafen der Welt. Die Station liegt wie ein Schiff im Wasser und reicht 18 Meter unter die Wasseroberfläche. Die spektakuläre Dachkonstruktion, die eine öffentliche Parkanlage überspannt, gilt als Pionierleistung im Ingenieur-Holzbau. Planung, Statik und Ausführung des Dachtragwerks stammen von der Firma Wiehag mit Sitz im oberösterreichischen Altheim.
Das 2021 eröffnete Hans Christian Andersen Museum im dänischen Odense ist ein weiteres Referenzprojekt von Wiehag. Der japanische Star-Architekt Kengo Kuma ließ sich bei der Konstruktion von historischen Fachwerkhäusern inspirieren. „Es war nicht einfach, ein Unternehmen zu finden, das den hohen Design-Ansprüchen von Kengo Kuma gerecht werden konnte“, erklärt Troels Bramming von Vita Engineers Demark die schwierige Suche nach einem Holzbau-Partner.
Die Liste internationaler Ingenieur-Holzbauten lässt sich beliebig fortsetzen. Unter Wiehags aktuellen Projekten findet sich der knapp 90 Meter hohe Ascent Tower in Milwaukee und der von UBM Development entwickelte Timber Pioneer, Frankfurts erstes Bürogebäude in Holz-Hybrid-Bauweise. Geschäftsführer Erich Wiesner verrät im Interview, warum ihr Knowhow weltweit so gefragt ist.
Brettschichtholz gilt als deutsche, Brettsperrholz als österreichische Erfindung. Zusammen läuteten sie eine neue Ära im Ingenieur-Holzbau ein. Welchen Part hatte die Firma WIEHAG in dieser historischen Entwicklung?
ERICH WIESNER: Wir sind ein Familienbetrieb in fünfter Generation und haben den Ingenieur-Holzbau wesentlich mitgeprägt. Anfang der 1960er-Jahre haben wir als einer der ersten Betriebe in Österreich mit der Produktion sogenannter Hetzer-Träger begonnen, heute nennt man sie Brettschichtholz-Träger. Das war der Beginn der weitgespannten und freitragenden Konstruktionen aus Holz. Wir haben uns auch immer als Lobbyisten für das nachwachsende Baumaterial in Österreich eingesetzt. Als langjähriger Obmann des Fachverbandes der österreichischen Holzindustrie ist es gelungen, den ersten Lehrstuhl für Holzbau an der TU Graz einzurichten. Das hat sich gelohnt, denn dort wurde das Brettsperrholz im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Einsatzreife geführt.
Sie haben zu einer Zeit auf Holz gesetzt, als das Baumaterial als unwirtschaftlich und technisch überholt galt. Wann kam die Trendwende?
Holzbau hat es immer gegeben. Es war aber in der Vergangenheit moderner und einfacher in Beton und Stahl zu bauen. Der Ingenieur-Holzbau hat ein Nischen-Dasein gefristet, nur sehr wenige Großprojekte kamen auf den Markt. Das ist seit ein paar Jahren anders.
Was für mich ein Vorzeichen war: Vor mehr als zehn Jahren hat Stararchitekt Frank Gehry ein Guggenheim Museum in Abu Dhabi in Holz geplant. Es ist zwar noch immer nicht gebaut, aber die beauftragten Verantwortlichen machten sich damals weltweit auf die Suche nach möglichen ausführenden Holzbaufirmen. Sie mussten feststellen, dass das Knowhow für den Ingenieur-Holzbau nicht so verbreitet ist. Bei Wiehag in Altheim sind sie fündig geworden. Da ist mir deutlich geworden, wie wertvoll und einzigartig unsere Erfahrung und unser Wissen in Engineering und Produktion ist.
Heute ist Wiehag an den größten internationalen Holzbauprojekten beteiligt. Wie kommt es, dass der Knowhow-Vorsprung hier so groß ist?
Wir waren nicht nur einer der ersten Produzenten von Brettschichtholz in Österreich, sondern auch Pioniere im Holzbau-Engineering. Seit den 1950er-Jahren betreiben wir ein hauseigenes Ingenieurbüro und konnten damit Planer und Bauherren bei der Umsetzung ihrer Ideen unterstützen. Wie etwa Architekt Gustav Peichl, der 1964 den Österreich-Pavillon für die New Yorker Weltausstellung in Holz geplant hat. Die Umsetzung war eine Pionierleistung in der Vorfertigung.
In den USA wurden in den 1960er-Jahren einige interessante Holzbauten errichtet. Mein Vater ist damals hingereist und hat sich diese angeschaut. Der Ingenieur-Holzbau konnte sich dort aber nicht weiterentwickeln und ist eigentlich fast verschwunden.
Es wird in Zukunft zur Normalität gehören, dass Hochhäuser im urbanen Bereich in Holz gebaut werden.
Erich Wiesner, Geschäftsführer von Wiehag
Das höchste Holz-Hochhaus der Welt, der Ascent Tower in Milwaukee, wird im oberösterreichischen Ort Altheim vorgefertigt. Wie kann man sich den Prozess vorstellen?
Der Auftrag dazu wurde in der Coronazeit erteilt. Das Vertrauen in uns muss groß gewesen sein, denn wir haben die Zusage in einer Videokonferenz erhalten. Für den Ascent Tower liefern wir die Beratung für das Engineering und die Konstruktion sowie alle Holzbauteile der Tragstruktur. Die Bauteile kommen komplett vorgefertigt auf die Baustelle, inklusive vormontierter Stahl-Verbindungsteile. Dort wird nur mehr zusammengeschraubt. Ob das nach Amerika geht oder nach Frankfurt, ist egal. Entscheidend ist die perfekte Planung und Logistik, und eine hochpräzise Produktion.
Wie wichtig ist die Digitalisierung für den Holzbau?
Der Holzbau ist in dieser Hinsicht seiner Zeit voraus. Das ist bedingt durch den hohen Vorfertigungsgrad, der einen entsprechenden Planungsaufwand bedeutet. Zur Ansteuerung unserer CNC-Maschinen in der Produktion mussten wir die Holzbauteile schon vor 20 Jahren in 3D planen.
Was ist die größte Herausforderung bei Highrise-Projekten wie in Milwaukee?
Die ersten Holz-Hochhäuser waren allesamt Pionierprojekte. Wir mussten die Nachweise für den Brandschutz und die Erdbebensicherheit erbringen. Dabei haben wir selbst etliche Brandtests, zum Beispiel für die NTU-Universität in Singapur, durchführen lassen, immerhin das größte Holzgebäude in Asien.
In Milwaukee hat uns die Logistik herausgefordert, weil plötzlich die Frachtkapazität in die USA nur mehr begrenzt verfügbar war. Aber schön langsam wachsen wir aus der Pionierphase heraus. Es wird in Zukunft zur Normalität gehören, dass Hochhäuser im urbanen Bereich in Holz gebaut werden.
Ist der Holzbau im Vergleich zu Stahl und Beton konkurrenzfähig genug?
Wären wir in der Vergangenheit im Hallenbau gegenüber Stahl und Beton nicht konkurrenzfähig gewesen, gäbe es den Holzbau in dieser Anwendung nicht mehr. Faktisch haben nur ökonomische Kriterien gezählt. Wir mussten uns preislich durchsetzen und haben die ökologischen Vorteile ohne Kosten mit eingebracht.
Die ökologische Komponente spielt jetzt aber eine immer größere Rolle, daher erleben wir in der Baubranche gerade ein Paradigmenwechsel. Investoren und Bauwirtschaft müssen sich an den gesetzten Nachhaltigkeitszielen orientieren. Die Erfüllung von ESG-Kriterien ist gefordert. Da hat Holz als nachwachsender Rohstoff am meisten zu bieten.
Die Holzbauprojekte nehmen stetig zu und werden immer größer. Wird es in Zukunft genug Holz für alle geben?
In Europa wird schon seit Generationen nachhaltige Forstwirtschaft betrieben. Seit mehr als 165 Jahren haben wir in Österreich eines der strengsten Forstgesetze der Welt. Tatsächlich wächst bei uns immer noch mehr Wald nach als wir entnehmen. Weltweit ist das leider anders: Durch Rodungen für die Landwirtschaft oder auch illegale Nutzungen nimmt die Waldfläche besonders in anderen Kontinenten ab. Eine der wichtigsten Maßnahmen für das Klima wäre ein weltweites Aufforstungsprogramm.
Die moderne Holzbauweise gilt als Hoffnungsträger auf dem Weg zur Klimaneutralität. In welcher Rolle sieht sich Wiehag?
Wir sehen uns als ein Teil der Lösung. Mit unserer Erfahrung bringen wir den Holzbau in neue Anwendungsbereiche. Und das ist gut für das Klima. Was Ökologie und soziale Verantwortung betrifft, so setzen wir bei uns selbst sehr hohe Maßstäbe an. Im Grunde ist unser Handeln schon seit fünf Generationen nachhaltig ausgerichtet. Die neuen Produktionshallen und das Bürogebäude sind in Holz gebaut, und außerdem erzeugen wir unseren Strom- und Wärmebedarf aus der eigenen Biomasse und durch Photovoltaik. Ein Musterbeispiel für eine grüne Fabrik.
Interview: Gertraud Gerst
Fotos: Wiehag, Foster+Partners