Dieses Haus hat einen Vogel
Das von OI Architects entworfene International Migratory Bird Town Convention & Exhibition Centre wurde äußerlich jenem Tier nachempfunden, um das es im Inneren geht: dem Kranich.
Wucheng am Poyang-See in der südwestchinesischen Provinz Jiangxi ist keine gewöhnliche Stadt. Sie liegt auf einer Insel im größten Süßwassersee Chinas und ist über eine fünf Kilometer lange Autobahnbrücke mit dem Festland verbunden. Jeden Sommer, zu Beginn der Hochwassersaison, wird diese überflutet und dadurch unbenutzbar. Wucheng ist dann nur mehr mittels Fähre erreichbar.
Doch das ist nicht die einzige Besonderheit der Stadt am See. Denn hier befindet sich eines der außergewöhnlichsten Gebäude Chinas. Wenn nicht gar der Welt. Das International Migratory Bird Town Convention & Exhibition Centre. Ein Gebäude, das OI Architects mit Sitz in Shanghai dem Symboltier von Jiangxi nachempfunden haben: Dem Schneekranich.
Zugvogel-Stadt
Der Poyang-See ist das Hauptüberwinterungsgebiet der Schnee- oder Nonnenkraniche, wenn diese von ihren sommerlichen Brutstätten im nordöstlichen Sibirien in den Süden übersiedeln. Bis zu 3.000 Kraniche leben ab November hier, bevor sie sich im darauffolgenden Frühjahr wieder Richtung Polarkreis aufmachen. In den 1980er Jahren ging man davon aus, dass der Schneekranich ausgestorben sei, bevor man die Population am Poyang-See entdeckte.
Seitdem gilt Wucheng als Chinas „Zugvogelstadt“, der Schneekranich wurde gleichsam eine ökologische Visitenkarte der Provinz Jiangxi. Das International Migratory Bird Town Convention & Exhibition Centre (Internationales Messe- und Ausstellungszentrum der Zugvogelstadt) trägt der weltweit einzigartigen Fauna Rechnung: ein Gebäude, in dem ausschließlich Ausstellungen, kultureller Austausch und Forschung zum Thema „Zugvögel“ stattfinden.
Das gefaltete Gebäude
Die Form des Gebäudes könnte ebenfalls symbolhafter nicht sein. OI Architects nahmen sich einen Origami-Kranich zum Vorbild – und designten das Centre tatsächlich so, als würden sie einen Papiervogel kreieren. „Beim Falten von Kranichen beginnt man normalerweise mit einem quadratischen Blatt Papier“, erklärt das Studio. „Man faltet es in der Mitte, sodass ein rechtwinkliges Dreieck entsteht. Dieses wird dann erneut gefaltet, um ein Paar rautenförmiger Flügel zu bilden. Mit nur wenigen Handgriffen wird ein Papierkranich zum Leben erweckt.“
Auch das Migratory Bird Town Convention & Exhibition Centre habe im Wesentlichen eine quadratische Form, so das Studio weiter. „Wir haben diese beim Layout entlang der Diagonale ‚gefaltet‘. Es sind so zwei Dreiecke entstanden: eines für das Gebäude, das andere für seinen Eingang und den Außenbereich.“ Dieser wurde begrünt und mit Wasserflächen versehen. Der dreieckige Bereich des Gebäudes wiederum besteht aus Ausstellungshallen, einem großen Konferenzraum und touristischen Serviceeinrichtungen.
Auf den Schwingen des Kranichs
OI Architects: „Die diagonale Linie haben wir noch einmal in die andere Richtung ‚gefaltet‘, um die Mittelachse des Gebäudes zu bilden. Dadurch entstehen der lange Schnabel und der Hals des Kranichs, die symmetrischen großen Flügel und der längliche Körper. So nimmt das Gebäude die Form eines fliegenden weißen Kranichs an, der mit seinen ausgebreiteten Flügeln zum Erfolg aufsteigt.“
Die Südfassade wurden von den Architekten mit „weißen Federn an den Flügelenden“ gestaltet, die eine Kolonnade bilden. Die Dachkonstruktion ist zudem bewusst unruhig gehalten, um einen dreidimensionalen Effekt zu erzeugen: Die Flügel des weißen Kranichs treten so deutlich aus dem „Papier“ hervor.
Die Welt der Zugvögel
Um zum International Migratory Bird Town Convention & Exhibition Center zu gelangen, muss man eine lange Stahlbrücke – den Schnabel und Hals des Kranichs – überschreiten. Die Oberseite der langen Brücke ist mit geschwungenen, perforierten Metallpaneelen versehen, um den Besucherinnen und Besuchern besondere Licht- und Schattenspiele zu bieten
Vom vollständig verglasten Eingangsbereich gelangen diese in die Aula auf der Nordseite und in die zweigeschossigen Ausstellungshallen in den beiden Flügeln. Hier befindet sich das Zugvogelmuseum, in dem auch die Geschichte der Stadt Wucheng und ihrer Einwohner:innen gezeigt wird, sowie ein Forschungszentrum und ein Lehrsaal für Zugvogelfotografie. Im Inneren des „Vogelkörpers“ wiederum findet man den riesigen zentralen Konferenzraum für bis zu tausend Personen.
„Wucheng, das ist ein Paradies für Zugvögel“, meint OI Architects abschließend. „Und das Gebäude dreht sich einzig um dieses Thema – sowohl im Inneren als auch außen. Lassen Sie die Menschen in die Welt der Zugvögel eintauchen, um sich auf die Zugvögel der Welt zu fokussieren“.
Text: Michi Reichelt
Bilder: OI Architects