In Stein gemeißelt
Mit seinem „Haus im Felsen“ sorgt Architekt Amey Kandalgaonkar derzeit weltweit für Aufsehen. Kein Wunder – er hat einen monumentalen Stein in ein gigantisches Wohnobjekt verwandelt! Zumindest erst einmal auf dem Computer …
Es sind genau 111 spektakuläre Gräber, die inmitten der Wüste Saudi-Arabiens aus dem Sand ragen. Mada’in Salih nennt sich diese Ausgrabungsstätte, die dort verortet ist, wo einst die Handelsmetropole Hegra florierte. Doch der Legende nach soll der Prophet Salih versucht haben, die Bewohner der Stadt zum Islam zu bekehren. Erfolglos. Also traf die Ungläubigen zur Strafe ein Erdbeben. Daher rührt der heutige Name Mada’in Salih – Stätte des Salih.
Gräber, wie Häuser in Felsen
Jedenfalls aber bieten die überdimensionalen Steingräber einen spektakulären Anblick, der den in Shanghai lebenden Architekten und Architekturfotografen Amey Kandalgaonkar sprachlos zurückließ. Die monumentalen Bauten. Wie Häuser in Felsen. Die mystische Athmosphäre. Die Bilder wollten nicht mehr aus seinem Kopf.
„Es gibt eine riesige Menge an architektonischem Erbe, das uns von früheren Bauherren zur Verfügung gestellt wurde, und ich glaube, sie haben eine großartige Arbeit geleistet, um gebaute Umgebungen in natürliche Elemente zu integrieren“, meint er. Und eben die Bauherrn dieser Stätte sind in seinen Augen wahre Großmeister, von denen man sich förmlich inspirieren lassen muss.
Haus im Felsen
Also entschloss sich der auf 3D-Renderings spezialisierte Architekt dazu, aus den gewonnenen Eindrücken ein Privathaus zu entwerfen. Eines, das ebenso voller Überraschungen steckt, wie besagte Wüstengräber. Eines, das nicht aus einem Felsen wächst – wie etwa Baumhäuser aus Baumkronen – sondern sich in das natürliche Material hineinschneidet wie ein Skalpell, das Stein durchtrennt.
„Angesichts der visuellen Komplexität der Felsen von Mada’in Saleh war es unerlässlich, einfache Flächen und Würfel zu verwenden, um ein visuelles Gleichgewicht zu erreichen“, erklärt er heute. Doch bevor er diesen Schritt gehen konnte, musste zuvor der perfekte Felsen gefunden werden.
Felsen aus der Trickkiste
Doch weil sich dieses Unterfangen als nahezu unmöglich entpuppte, griff Kandalgaonkar in die Trickkiste: Er baute sich mittels eigener 3D-Software den Felsen eben selbst! „Das war für sich schon ein bildhauerischer Prozess“, schmunzelt er rückblickend und führt weiter aus: „Später, als ich das Haus in seinen digitalen Fels einbaute, versuchte ich, die visuelle Wirkung auf Augenhöhe so gering wie möglich zu halten.“ Erst wenn man das Objekt aus der Vogelperspektive betrachtet, sollte sich das wahre Ausmaß des Eingriffs in den Felsen offenbaren.
So wird der monumentaler Eingangsschacht der das Erdgeschoss mit einem breiten, rechteckigen Wohnraum, der entlang der Außenseite zur Luft hin offen ist verbindet offensichtlich. Rohe Betonplatten schmiegen sich an felsige Vorsprünge.
Eine Terrasse überragt den kubischen Raum und führt zu einer höher gelegenen Reihe von Terrassen und einem Schwimmbad, das auf der Spitze des Felsvorsprungs neben einem schattigen Penthousebereich angesiedelt ist. Diese eine Terrasse wiederum führt entlang der Spitze des Felsens zu einem weiteren Swimmingpool mit Glaswänden und einem Boden, der über den Rand des Felsens hinausragt.
Angesichts der visuellen Komplexität der Felsen von Mada’in Saleh war es unerlässlich, einfache Flächen und Würfel zu verwenden.
Amey Kandalgaonkar, Architekt
Durch die Gegenüberstellung der rauen Textur des Gesteins und der glatten Oberfläche des Betons erreicht Kandalgoankar einen komplexen visuellen Kontrast, bei dem sich Alt und Neu ergänzen. Allerdings muss man einräumen, dass eine tatsächliche Realisierung dieses Objekts eher Unwahrscheinlich ist.
Nichts ist in Stein gemeißelt
Aber, betont Amey Kandalgaonkar, sei dieses unglaubliche Konzept der Beweis für künstlerischen Möglichkeiten, die in der Architektur schlummern. Schließlich sei bei keinem noch so ausführlichen Plan oder Konzept dessen Realisierung auch in Stein gemeißelt …
Text: Johannes Stühlinger
Bilder: Amey Kandalgaonkar; Wikipedia