Eine Hommage an Jules Verne
Nachdem er über Jahrzehnte bei Auktionen und Nachlassverkäufen hunderte Jules-Verne-Artefakte ausgegraben hatte, träumte Jacquelin Bouchard davon, seine Sammlung öffentlich auszustellen. FOR. design planning machte den Traum wahr – mit dem Minimuseum „L’Île Mystérieuse“ in La Malbaie, Kanada.
Wer kennt Kapitän Nemo nicht, den Kommandanten des U-Bootes Natilus und Helden des Jules-Verne-Romans „20.000 Meilen unter dem Meer“. Auch bekannt ist, dass Nemo Protagonist des Romans „Die geheimnisvolle Insel“ ist. Schließlich wurde auch dieses Werk des großen französischen Autors und Begründers der Science-Fiction-Literatur, in dem das tragische Ende des berühmten Kapitäns beschrieben wird, inzwischen mehrfach verfilmt wurde. Nur wenige wissen jedoch, dass es die „Île Mystérieuse“ – so der Originaltitel letzteren Abenteuers – tatsächlich gibt: in La Malbaie nämlich, einer kleinen Stadt in der MRC Charlevoix-Est der kanadischen Provinz Québec.
Obwohl La Malbaie am Nordufer des Sankt-Lorenz-Stroms liegt, befindet sich die Île Mystérieuse jedoch keineswegs im Wasser. Genaugenommen ist sie auch keine Insel, sondern vielmehr ein Museum. Die Innenarchitekten des Montrealer Büros FOR. design planning haben es geplant – und damit ihrem Kunden Jacquelin Bouchard einen Lebenstraum erfüllt.
Der Mega-Fan
Jacquelin Bouchard als Jules-Verne-Fan zu bezeichnen, griffe zu kurz. Der Gründer der in Montreal ansässigen Video-Produktionsfirma Pixcom ist geradezu besessen von dem multidisziplinären Künstler, dessen visionäre Ideen bis heute Inspiration für architektonische Unterwasserwelten sind und auch seinen Lebensweg beeinflusst hat: „Jules Verne hat mich erkennen lassen, dass man mit einer Portion Traum, Willenskraft und Einfallsreichtum das Unmögliche schaffen kann … selbst auf einer einsamen Insel.“
Angefixt von der Lektüre von „In 80 Tagen um die Welt“ las er schon als Kind alles, was ihm von Verne unterkam. Über die Jahrzehnte hat der inzwischen über 70-Jährige mehr als 300 Artefakte zusammengetragen. Auf Auktionen, bei Nachlassverkäufen und Sammlern spürte Bouchard nicht nur Bücher, Drucke, Film- und Theaterplakate auf, sondern auch Modelle von Vernes Schiffen und zahlreiche Merchandising-Produkte. Besonders stolz ist er auf drei Original-Karten der Lincoln-Insel, der fiktionalen „geheimnisvollen“ Insel, die Jules Vernes Handschrift tragen. „Sie sind einzigartig auf der Welt.“
Geteilte Freude
Vor sieben Jahren wuchs in Jacquelin Bouchard der Wunsch, seine Leidenschaft mit der Welt zu teilen und seine Schätze öffentlich auszustellen. Der Name für das Projekt war mit L’Île Mystérieuse schnell gefunden. „Ich hatte eine Art Vision zu diesem letzten Titel der Trilogie, zu der auch Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer und Die Kinder des Kapitän Grant gehören“, erklärt Bouchard.
Die Suche nach einem Ort, der genug Platz bot, um das Museum L’Espace Jules Verne samt einem Loungerestaurant und der Boutique Charlevoix für lokale Produkte unter einem Dach zu vereinen, dauerte hingegen länger als geplant. Auch musste das alte Haus in der Rue Richelieu erst einmal renoviert und für die Präsentation der Sammlung hergerichtet werden.
Das blaue Haus
Der Auftrag dafür erging an die erwähnten Innenarchitekten von FOR. design planning. Und die leisteten Großartiges. Heute ist die Île Mystérieuse in einem Gebäude aus dem 20. Jahrhundert untergebracht, das den Spitznamen „Blaues Haus“ trägt und an das ein neuer Glasanbau angefügt wurde. Die Türen, Fenster und das Dach des Hauses wurden vollständig renoviert, während die Steinmauern und Kamine erhalten blieben und in ihren ursprünglichen Zustand versetzt wurden.
Ein Kunstwerk für Kapitän Nemo
Der Anbau mit Vorhangwänden beherbergt das Mini-Museum und den Shop und beeindruckt durch ein von außen sichtbarers Gemälde. Es wurde vom Künstler Gregory Fages entworfen, der auch als architektonischer Designer des Projekts fungierte. Das Werk ist das Ergebnis eines ausgeklügelten kreativen Prozesses: Der Kunde entwarf zunächst eine Collage aus Originalbildern der Bücher von Jules Verne, von denen Gregory die Zeichnungen in digitalem Format für den Druck auf Glas nachzeichnete, mit einem Aquarelleffekt auf schwarz-weißer Gravur. So entstand die Szene von Kapitän Nemos ergreifendem Tod auf der geheimnisvollen Insel, die abends dramatisch beleuchtet wird.
Vernes Wunderkammer
Im Inneren tauchen die Besucher in eine Zigarrenlounge aus dem 19. Jahrhundert ein, in der Jules-Verne-Erstausgaben, Kunstwerke und Schiffsmodelle wie in einer Wunderkammer ausgestellt sind. Rattan-Möbel, Kassettenwände und Schrankelemente, die an alte Porzellanschränke erinnern, lassen das Wesen von Vernes Epoche Zeit noch deutlicher hervortreten. Passagen aus einigen Büchern werden auf Bildschirmen werden gezeigt, die auf den Buchdeckeln ausgestellt und durch Glasständer geschützt sind.
U-Boot trifft auf Wassermann
Die Reise von „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ setzt sich um eine große kreisförmige Bar und eine Treppe herum fort, die aus Bronzegeflecht bestehen und mit Geräten beleuchtet werden, die einen Lichtstrahl aussenden. Die daraus resultierenden Schattenbilder erinnern an ein U-Boot, das in einen Wasserstrudel hinabsteigt. An der Decke bilden glitzernde Lichtpunkte das Sternbild Wassermann nach, das Sternzeichen von Jules Verne. Ein Lochblechgitter dient als Trennwand zwischen dem öffentlichen Bereich und den Bänken im Speisesaal, neben einem Bronzebogen, der einen pompösen Eingang vom Museum L’Île Mystérieuse zum Restaurantbereich markiert.
Toiletten mit Motto
Das gestalterische Motto zieht sich bis hin zu den Toiletten am unteren Ende der runden Treppe. Sie sind in „die Schwärze des Abgrunds getaucht“, so die Planer. Die eigens für dieses Projekt entworfene Tapete zeigt Totenköpfe, unheimliche Fische und goldene Korallen vor einem düsteren Hintergrund. Ein kleiner Scheinwerfer streut zaghaft Licht, wie ein Laternenfisch. Unter einer großen Spiegelkuppel am Waschbecken hat der Besucher den Eindruck, unter einer Lupe oder durch ein Teleskop beobachtet zu werden.
Abenteurer müssen essen
Wenn man sich an den Abenteuern des berühmten Autors sattgesehen hat, aber anderweitig hungrig ist, wartet nebenan ein Restaurant. „Wir haben das Gastronomie-Konzept hinzugefügt, damit es sich lohnt“, gibt Jacquelin Bouchard unumwunden zu.
Doch es ist nicht irgendein Küchenchef, der dort wirkt und werkt. Das kulinarische Angebot wurde von Dominique Truchon aus dem benachbarten „Chez Truchon“ zusammengestellt, jenem Koch, der die Ehepartner der Staats- und Regierungschefs, die 2018 am G7-Gipfel in La Malbaie teilnahmen, an seinem Tisch begrüßte. Der Eingang des Restaurants ist – wie das Museum – mit einer riesigen, hintergrundbeleuchteten Karte der geheimnisvollen Insel ausgestattet, während ein Erkerfenster und ein Bullauge maritime Szenen und Kreaturen zeigen.
Die Schatzsuche geht weiter
L’Île Mystérieuse ist eine Hommage an Jules Verne und natürlich Kapitän Nemo. Es ist aber auch eine Hommage an den Großvater, den Vater und die Brüder des Miteigentümers Dominique Truchon, die alle als Schiffskapitäne auf dem Sankt-Lorenz-Strom tätig waren. In erster Linie ist es aber die Geschichte der Leidenschaft eines Sammlers.
Diese Leidenschaft glüht weiterhin, die Schatzsuche ist noch nicht abgeschlossen. Jacquelin Bouchard ist schließlich ein Besessener. Noch fehlen ihm sechs Erstausgaben der vielen Bücher von Jules Verne. Und er ist nach wie vor auf der ganzen Welt unterwegs, um sie und andere Artefakte aufzuspüren. Derweil arbeitet er zudem an der Katalogisierung seiner Sammlung.
Wenn es uns gelingt, das Interesse auch von Menschen zu wecken, die Jules Verne nicht oder nur wenig kennen, ist das ein Erfolg.
Jacquelin Bouchard, Gründer des Jules-Verne-Museums L’Île Mystérieuse
Ab auf die Insel
Der Besuch von L’Île Mystérieuse ist übrigens kostenlos, aber – so hofft Bouchard – nicht umsonst: „Wenn es uns gelingt, das Interesse auch von Menschen zu wecken, die Jules Verne nicht oder nur wenig kennen, ist das ein Erfolg“, sagt er bescheiden. „Ich betrachte ihn als Einflussnehmer. Er schrieb Romane über die Schöpfung und das Vertrauen in die Zukunft.“ Und letzteres sei heute so wichtig wie nie zuvor.
Text: Daniela Schuster
Bilder: GoXplore via v2com-newswire.com