Ideen-Welle für die Küste
Natur zurückholen und schützen, zugleich aber ein modernes Stadtviertel am Meer errichten: Geht denn das? Das niederländische Büro KCAP ist überzeugt davon. Und sein Konzept für den Yantai Seafront Garden im Nordosten Chinas verspricht, dies zu beweisen.
Das Vorhaben, um das es bei einem Wettbewerb im Juni 2022 ging, hat Gewicht. Denn die chinesische Millionenstadt Yantai will ein wenig genutztes Küstenareal in ein lebendiges Viertel mit schöner, natürlicher Uferlinie verwandeln. Als aufstrebende wirtschaftliche und technologische Entwicklungszone gilt die auf der Halbinsel Shandong gelegene Metropole längst. Das aktuelle Großprojekt soll diesen Ruf eindrucksvoll unterstreichen. Weil das Konzept für den Yantai Seafront Garden, mit dem das niederländische Erfolgsbüro KCAP den Wettbewerb gewann, mit vielen spannenden Ideen aufwartet. Vor allem auch, was Nachhaltigkeit und Umweltschutz betrifft.
Zukunftsvision Yantai Seafront Garden
KCAPs Vision des Yantai Seafront Garden umfasst mehrere Ebenen. Und sie wurzelt in der Entwicklung der Stadt vom historischen „Tor“ Nordostchinas Richtung Japan und Südkorea zum modernen, zukunftsorientierten Wirtschafts-Hotspot. „Unserer Ansicht nach ist eine Küstenlinie nie nur eine einfache ,Linie‘, sondern ein System, das alle umliegenden Elemente umfasst. Im Fall von Yantai bedeutet dies, dass ein mehrdimensionaler Ansatz erforderlich war, der die Stadt, die Berge und die Küstenlandschaft einbezieht“, schildert KCAP Associate Partner Ya-Hsin Chen.
Die Architekten sehen die neu gestaltete Küstenlinie als weitläufige Zone und integralen Bestandteil des bestehenden Stadtraums. Der Entwurf respektiert Bestehendes, ist jedoch innovativ und auf aktiven Lebensstil ausgerichtet. Zudem sei „wie bei jeder langfristigen Planungsstrategie, Anpassungsfähigkeit von Nöten“. Weil, wie es in der Projektbeschreibung heißt, „Planung und Verwaltung eines Projekts dieser Größenordnung immer ein dynamischer Prozess ist“. Und somit also „jeder Schritt nach vorn eine Vorgabe, die die nächsten Maßnahmen und Projekte auslöst“.
Wir haben eine Strategie der Wiederherstellung, des Schutzes und der Befestigung der Küstenlinie sowie ein dreifaches Schutzkonzept gewählt: Vor der Küste, in der Gezeitenzone und mit einem Deich.
KCAP Partner Ruurd Gietema
Yantai Seafront Garden ist eine Planungsstrategie für das große Entwicklungsgebiet mit einer Reihe von detaillierten räumlichen Rahmenplänen. KCAP hat ein Gesamtkonzept für einen 95 Kilometer langen Abschnitt entworfen, von dem 27,3 Quadratkilometer unmittelbar auf die Küste entfallen. Innerhalb dieses großen „Ganzen“ gilt einem 18 Kilometer langen Schlüsselgebiet besonderes Augenmerk. Und für einen, rund einen Quadratkilometer umfassenden Abschnitt davon haben die Architekten bereits detaillierte Entwürfe vorgelegt.
Vier neue „Lebensräume“
Dass KCAP weit über bloße Küstengestaltung hinausdenkt, macht der Entwurf deutlich. So setzt das Team etwa vier unterschiedliche „Lebensräume“ ins Planungsareal: Eine Zone zwischen den Bergen und der Stadt, die für den Wasserrückhalt genutzt wird. Das urbane Zentrum, das als Schwammstadt konzipiert ist. Die Küste, die zum widerstandsfähigen Gezeitengebiet gemacht wird. Und das Meer selbst.
Was für sichere und ökologisch fundierte Entwicklung von Stadt und Küste sorgen soll, erklärt KCAP Partner Ruurd Gietema: „Wir haben eine Strategie der Wiederherstellung, des Schutzes und der Befestigung der Küstenlinie sowie ein dreifaches Schutzkonzept gewählt: Vor der Küste, in der Gezeitenzone und mit einem Deich.“
Künstliches weicht wieder der Natur
Die Wiederherstellung der Küstengebiete ist essenzieller Teil des Plans. Dafür werden der bestehende, künstlich errichtete Küstenstreifen und die Produktionsanlagen (wie etwa Fischteiche) der Natur zurückgegeben. Zum Schutz vor Erosion und zur Schaffung neuer ökologischer Lebensräume stehen gut durchdachte Maßnahmen auf dem Programm.
Der Yantai Seafront Garden wird, wie erwähnt, die Berge und das Meer wieder miteinander verbinden. Durch Aufbau zusammenhängender Naturräume wird das Ökosystem wiederhergestellt und die Artenvielfalt belebt. Der Plan fördert auch Entwicklung und Umwandlung von Yantai zu einer ökologisch ausgerichteten Gemeinschaft. Ziel ist es, abrupte Ad-hoc-Urbanisierung zu verhindern, weil diese zu einer weiteren Fragmentierung der Naturgebiete führen könnte.
Herzstück „Communication Bay“
Auf das 18 Kilometer lange „Schlüsselgebiet“ fokussieren die Architekten, weil es mit einem besonderem Potenzial aufwartet: Als offenstes und grünstes „Tor“ kann es als treibende Kraft für die Gesamtentwicklung fungieren. Dort, in der Huangshi Talent Bay, findet sich ein idealer Raum für öffentliche und soziale Zusammenkünfte, Interaktion unterschiedlicher Lebensstile und die Verschmelzung der Landschaften. Und es gibt hier eine einen Quadratkilometer große Zone, der KCAP besondere Aufmerksamkeit widmet: Die „International Communication Bay“.
Innerhalb dieser landschaftlich detailliert gestalteten „Bucht der Kommunikation“ definieren die Planer wiederum drei eigene Cluster. Erstens: Den eindeutig urbanen „Talent Port“, der viele öffentliche Funktionen umfasst, die entlang einer zentralen Achse zwischen Bahnhof und Hafen errichtet werden. Im Mittelpunkt steht das Internationale Kommunikationszentrum, das von verschiedenen öffentlichen Grünflächen wie dem Open-Air-Veranstaltungsort Expo-Park umgeben wird.
Drei Cluster mit viel Potenzial
Cluster Nummer zwei dieses Teils des Yantai Seafront Garden ist die „Tidal Community“ (siehe auch Beitragsbild), bei der KCAP die Natur in den Vordergrund hebt: „Wir stellen die natürliche Gezeitenzone wieder her, indem wir die Straße und die künstliche Uferlinie entfernen und stattdessen die Gezeitenbewegungen nützen, um Salzwiesen anzulegen“. Durch Nutzung der natürlichen Stärken des Gebiets soll die Landschaft erweitert und eine Übergangszone zwischen Wohn- und Feuchtgebieten geschaffen werden. Diese Zone wird sowohl als Park am Meer als auch als ökologischer Lebensraum dienen.
Den dritten Cluster bezeichnen die Architekten als „Lagoon Community“. In die Uferlandschaft eingebettet, wird diese von neu angelegten, entsalzten Lagunen dominiert. Sie bieten Raum zum Schwimmen und für soziale Kontakte, haben aber auch eine ökologische Funktion. Der neue Stadtteil ermöglicht schöne Naturerlebnisse und ist als verlockender Freizeit-Treff für die gesamte Huangshi Talent Bay gedacht.
Integratives Design mit vielen Facetten
Wie Architekt Ya-Hsin Chen betont, steht der Entwurf des Yantai Seafront Garden für KCAPs Vision integrierten Designs. Die Planungsstrategie respektiere nicht nur die lokalen und natürlichen Ressourcen, sondern betrachte auch das Meer, die Küste, die Berge und die Stadt als Einheit: „Das Projekt untersucht Möglichkeiten und Lösungen für die Entwicklung der Küste auf verschiedenen Ebenen und zu verschiedenen Themen und liefert einen mehrstufigen, nachhaltigen Ansatz. Unser Ziel ist es, das Landschaftskonzept, den Naturschutz, ein nachhaltiges Wassersystem und die Stadtentwicklung zu integrieren. In ihrer Kombination bilden sie die Grundlage einer hochwertigen Umwelt für Mensch und Natur“.
Auftraggeber des großen Vorhabens ist das Yantai Economic and Technological Development Zone Construction and Transportation Bureau. Und mit KCAP hat ein für kreative Lösungen bekanntes Architektenteam den Wettbewerb ums spannende Projekt gewonnen. Denn das niederländische Top-Büro hat etwa auch schon mit seinen außergewöhnlichen Designs fürs Eindhovener Bahnhofsareal, das OKU House in Amsterdam oder das „Urban Village“ in Singapur längst international Applaus geerntet. Gute Aussichten also für Chinas Yantai Seafront Garden und die Bewohner der Millionenstadt am Meer.
Text: Elisabeth Schneyder
Bilder: KCAP