Ideen-Feuerwerk: London Design Festival
Paul Cocksedges „Sitzwelle“, Kengo Kumas Bambus-Skulptur, Camille Walalas pop-style Möbel und unzählige andere Werke: Das London Design Festival zeigt Trends und Stars der Branche – überall in der Stadt, zum „Anfassen“ und Staunen.
Man braucht kein Design-Spezialist zu sein, um diese Veranstaltung zu lieben. Denn was beim London Design Festival geboten wird, ist ungeheuer spannend. Nicht ganz so groß wie die Mailänder Möbelmesse, aber mit schillerndem Programm, gilt es längst wichtiger Szene-Treff. Zwischen 14. und 22.September präsentiert das Festival erneut ein veritables Ideen-Feuerwerk – mit Events, Ausstellungen und Installationen in der ganzen Stadt.
Kreativ-Hotspot London
Zu den beeindruckendsten Projekten des Design Festivals zählt etwa die riesige „Sitzwelle“ des britischen Designers Paul Cocksedge. Seine Installation „Please Be Seated“ (siehe Beitragsbild) lädt am Finsbury Avenue Square zum Verweilen und Plaudern ein. In Zusammenarbeit mit White & White Interiors aus wiederverwertetem Bauholz geformt, fördert Cocksedges Stadtmöbel urbane Kommunikation.
Mit Wiederverwertung befasst sich auch Sam Jacobs‘ Festival-Beitrag im Entree des Victoria and Albert Museums: Die Installation „Sea Things“ soll die Notwendigkeit hervorheben, Kunststoffsysteme und ihren globalen Einsatz neu zu überdenken.
Der verspiegelte, hängende Würfel mit animierter Grafik im Inneren reflektiert die Weite des Ozeans und die die Dimension der aktuellen Herausforderungen der weltweiten Plastik-Krise zugleich. Das Architekturstudio Sam Jacob erhielt jüngst auch den Zuschlag, den Eingang an der Cromwell Road neu zu gestalten.
Festival der Design-Trendsetter
Dass der japanische Architekt Kengo Kuma mit seinen innovativen Werken immer wieder Trends setzt, ist bekannt. Sein „Bamboo Ring“ vor dem Victoria and Albert Museum steht für das Verbinden von Menschen und Umgebung: Aus Bambus und Kohlefaser gewoben, ist er ein künstlerisches Experiment mit den Faktoren Biegsamkeit, Präzision, Leichtigkeit und Stärke.
Und wieder spielt Nachhaltigkeit eine Rolle: Der in der japanischen Architektur traditionell verwendete, flexible Bambus ist ein Symbol für Kraft und schnelles Wachstum. Durch die Kombination mit Kohlefaser erhält die Installation Festigkeit, ohne die Vorteile und natürliche Schönheit des Holzes einzubüßen. „Bamboo Ring“ repräsentiert so Kengo Kumas Kindheitserinnerungen und zugleich einen Blick in die Zukunft der Architektur.
Klimawandel als Design-Thema
Im Flur der Victoria and Albert Gallery findet sich das Projekt „Avalanche“ des kanadischen Designers Matthew McCormick. Die temporäre Installation will zum Nachdenken über die Auswirkungen des Klimawandels anregen. McCormicks Mittel: Eine Interpretation des Momentes, in dem die eigene Endlichkeit bewusst wird – am Beispiel einer Lawine (englisch: Avalanche).
Provokativ im historischen Umfeld aufgebaut, erwartet die Besucher ein schwach beleuchteter, verwirrend reflektierender Raum, der – wie eine Falle – dazu drängt, nach einem sicheren Ausweg zu suchen.
McCormick sieht sein Projekt als poetische Metapher: „Gedacht, um den Besuchern eine Möglichkeit zu geben, zwischen Dunkelheit und Licht zu verweilen. Wir erkennen, dass einer kritischen Masse bedarf, sozialen Wandel anzuregen, wenn es um Veränderungen in unserer Umwelt geht. Dieses kollektive Bewusstsein muss jedoch mit dem Einzelnen beginnen“.
Neuer Blick auf Licht und Farben
Im Atrium des historischen Fortnum & Mason Stores am Piccadilly indes spielen Licht und Farben die Hauptrolle: An der Decke prangt Künstlerin Liz Wests changierendes, mit hochreflektierendem Material beschichtetes Gerüst. Die Installation „Iri-Descent“ will dem Betrachter neues Licht- und Farbempfinden vermitteln. Und ein neues Gefühl für die Umgebung, abseits jeder Gewohnheit.
Am Coal Drops Yard bereichert der italienische Designer Martino Gamper die King’s Cross Architektur auf spielerische Art: Die bunte Neu-Interpretation einer traditionellen italienischen Diskotheken-Fassade trägt den Titel „Disco Carbonara“.
Bunte Design-Idee aus „Mist“
Eine Art „Potemkin‘sches Dorf“, das wiederum zum Thema Umweltschutz führt: Das Werk besteht ausschließlich aus Materialien, die aus Müll und Recycling gewonnen wurden. Zugleich wird am Coal Drops Yard „Idiosincratico“ präsentiert: Eine Ausstellung Gampers vielseitiger Werke.
Das „Life Labyrinth“ des Künstlerinnen-Duos Anna Murray und Grace Winteringham lockt zur Piazza vor der Westminster Cathedral. Die Idee: Wiederbelebung der heilsamen Kräfte eines der ältesten geometrischen Symbole.
Alte Symbole beim neuen Design Festival
Die für ihre Muster bekannten „Patternity“-Designerinnen haben ein einen meditativen Irrweg gestaltet. Das Labyrinth soll sich wohltuend auf Körper und Geist auswirken. Ein Spaziergang durch die stilistische Hommage an den Ziegelbau der Kathedrale wird von sanften Klängen begleitet. Und es gibt eine „Benutzeranleitung“ mit Tipps für bewussteres Atmen und Betrachten.
Das Werk der französisch-stämmigen Designerin Camille Walala hingegen hat anderes als Ruhe im Sinn: Ihre „Walala Lounge“ belebt während des London Design Festivals die South Molton Street im West End.
Ein „Wohnzimmer“ im Freien
Die zehn farbstarken Bänke, die Pflanzenständer und Fahnen verwandeln die Fußgängerzone in einen Ort, an dem man gerne Pause macht. Walalas Ziel: Ein Wohnzimmer im Freien, das Lebensfreude weckt.
In der Saatchi Gallery an der King’s Road zeigt das London Design Festival die Edition „I-MADE“ (Italian Manufacture, Art and Design Exhibition). Geboten wird ein Fest für Fans italienischer Design-Ikonen von Alias, Moroso und Living Divani bis Poltronova und Porro. Das Plus: Ein von Giulio Cappellini gestaltetes „Take a Seat“-Showcase als Hommage an legendäre Gestalter edler Sitzgelegenheiten wie De Padova, MDF Italia, Giorgetti und Poltrona Frau.
Londons Kultur, von Design-Stars umgesetzt
Im Vorfeld des Design Festivals wurden die Leiter von Londoner Kulturinstitutionen eingeladen, persönliche Ideen einzubringen. Diese wurden von namhaften Designern verwirklicht. Unter dem Titel „Legacy“ sind sie im Victoria and Albert Museum und Naturhistorischen Museum zu sehen.
Von 19. Bis 22.September fügt sich auch die London Design Fair ins Festival ein. Und zwar mit 550 Ausstellern aus mehr als 40 Ländern. Präsentiert werden aktuelle Neuheiten in Sachen Möbel, Beleuchtung, Textilien, Materialien und konzeptuelle Installationen aus aller Welt.
Erlebniswelt Design Festival
Manch ein Projekt, das beim London Design Festival geboten wird, versetzt geradezu in andere Welten. Zum Beispiel das von Designer Dan Tobin Smith, Kreativstudio „The Experience Machine“ und Gemfields präsentierte „VOID“. Diese multisensorische Installation in der Collins Music Hall lässt Besucher durchs Innere von Edelsteinen wandeln.
Hinterm Horizont geht’s weiter
Nicht minder aufregend: „Take the Plunge“ von Volume Creative und Virgin Voyages. Die verspielte, interaktive Installation (The Bargehouse, Oxo Tower Wharf) wurde eigens fürs London Design Festival entwickelt. Sie vermittelt beim Betreten ein besonderes Gefühl: Hinter endlosem Horizont eröffnet sich ein neuer Raum – wie ein Sonnenuntergang unter dem Meer.
Ob Einblick in modernste Techniken, Erlebniswelten oder innovative Interieur-Ideen: Das London Design Festival liefert alljährlich Inspiration ohne Ende. Mit nachhaltiger Wirkung. Ein künstlerisches Feuerwerk, das Kreativität huldigt und Trends aufzeigt. Don’t miss it next time!
Text: Elisabeth Schneyder
Fotos: Ed Reeve, Dan Tobin Smith, Stagg Studio, Mark Cocksedge, London Design Festival