Haus der Musik im Blätterwald
Sou Fujimotos Haus der Musik in Budapest hat vor kurzem die Pforten geöffnet. Es ist ein sowohl von der Musik als auch von der Natur inspirierter Bau in drei „Sätzen“ – oder besser gesagt Ebenen. Das sehr extravagante House of Hungarian Music huldigt nicht nur der ungarischen und nicht nur der klassischen Musik.
Ein Haus der Musik würde man im „Kleid“ dieses zeitgenössischen Kulturdenkmals im Budapester Stadtpark nicht zwingend erwarten. Das ist freilich eine sehr subjektive Meinung. Wiewohl man Musik, Klang und Hören, Lauschen natürlich als Erfahrung perzipieren kann, die die Grenzen von Natur- und Kulturlandschaft aufhebt. Zumal Schallwellen die diversen Aggregatszustände als mechanische Schwingungen transzendieren.
Die Rede ist vom neuen, von Sou Fujimoto Architects designten Haus der Ungarischen Musik, das vor kurzem für das Publikum öffnete.
Die Gestaltung des Bauwerks ist originell, um nicht zu sagen extravagant. Zugleich hat das House of Hungarian Music im Vorfeld für politische Debatten gesorgt: In Medienberichten wurde die aufsehenerregende „Skulptur“ verdächtigt, dem umstrittenen ungarischen Staatschef Viktor Orbán als kulturelle Polit-Spielwiese zu dienen.
Größtes Kulturprojekt Europas
Ob Orbán statt ein Erbe großer kultureller Schätze zu hinterlassen sich in erster Linie selbst ein Denkmal setzen will? Fast könnte man angesichts des Volumens und finanziellen Rahmens des Gesamtprojekts geneigt sein, dies zu vermuten: Das Haus der Ungarischen Musik ist eingebettet in das in Summe auf eine Milliarde Euro veranschlagte Liget-Projekt. Dieses wird damit aktuell als größtes Kulturprojekt Europas gehandelt.
Im Városliget-Viertel, dem Areal rund um den Stadtpark, dem Ort des Geschehens, ist nicht nur die Huldigung an die Musik vorgesehen. Es beherbergt unter anderem auch ein neues Museum für Völkerkunde. Geplant ist des weiteren eine Nationalgalerie. Der „Biodom“ als Erweiterung des Zoos wurde zwar offiziell fertig gestellt aber der Betrieb vorerst auf Eis gelegt.
Sou Fujimoto habe sich zudem von seinem Ursprungsentwurf, der einem minimalistisch, japanisch geprägtem Stil entsprach, entfernt – um das Projekt an den sezessionistischen Palast der Liszt-Musikakademie anzulehnen. Dies spiegelt sich in den goldenen Blättern wider, mit denen die Decke ausgekleidet ist.
Klang, Natur und Licht
Der nach dem Entwurf des japanischen Star-Architekten umgesetzte Bau liegt inmitten des 122 Hektar großen Stadtparks in Budapest – umgeben von Bäumen. Es sei inspirierend gewesen, in einem der ersten öffentlichen Parks der Welt zu arbeiten und das Parkerlebnis in die Architektur, in das Gebäude einzubringen, zitierte das Architektur-Portal Dezeen Fujimoto.
Das Innere ist fast so etwas wie die Fortsetzung des Äußeren, der natürlichen Umgebung. Denn durch die großen Glaspaneele und die durchbrochene Dachstruktur sind die Bäume auch im Inneren präsent und integriert. Die Glasfassade besteht aus 94 horizontal ungeteilten wärmegedämmten Paneelen. Einige erreichen eine Höhe von fast 12 Metern.
Bäume ringsum: Parkerlebnis auch im Inneren
Das weiße, in Analogie zur Idee der Schallwellen gewellte Dach ist mit fast 100 Löchern durchsetzt. Diese Öffnungen sind gleichzeitig auch Ausgangspunkt der Lichtschächte, die das Licht bis in die unterste Ebene leiten.
Die Dachfläche weist zudem unterschiedliche Höhen auf. Dies schafft einen unterschiedlichen Lichteinfall und verstärkt noch den Eindruck, auch im Inneren zwischen den Bäumen fast wie im Freien zu wandeln. Innen und Außen verschmelzen.
Optisches Highlight aber sind die rund 30.000 Deko-Baumblätter.
Musikalische Reise in drei Sätzen durch Europa mit Fokus Ungarn
Im 9.000 Quadratmeter umfassenden Projekt sind Konzertsäle, Ausstellungsräume und eine Open-Air-Bühne untergebracht. Die Besucher treten eine Reise an, die sie einerseits durch die europäische Musikgeschichte führt, andererseits zu Ausflügen in die Geschichte der ungarischen Popmusik von 1957 bis 1990 mitnimmt.
Wie die drei Sätze einer Partitur besteht das Gebäude aus drei Ebenen: Im unterirdischen Bereich ist Raum für die Dauer- und Wechselausstellungen untergebracht. Die Ausstellungsräume widmen sich der europäischen Musikgeschichte mit Schwerpunkt Ungarn. Ganz unten befindet sich auch die außergewöhnliche Klangkuppel.
Lern-Angebot zur Förderung junger Musik-Talente
Die Parkebene beherbergt neben dem gläsernen Konzertsaal auch eine Open-Air-Bühne. Im großen Konzertsaal können 320 Menschen Platz nehmen. Die versenkbare Bühne verspricht jetzt schon musikalische Überraschungen.
Die Freilichtbühne beim Gebäudeeingang kann tagsüber und abends für Konzerte genutzt werden. Die Besucher können ihnen auch auf dem Hang gegenüber der Bühne in der angrenzenden Gartenterrasse beiwohnen.
Das Obergeschoß ist ganz der Bildung und dem Lernen gewidmet, so András Batta, geschäftsführender Direktor des House of Hungarian Music: Hier sind die Unterrichtsräume, eine Bibliothek sowie die Administrations- und Büroräume. Diese sind über eine Wendeltreppe zu erreichen.
Vorgesehen sind Workshops für Schul- und Kindergruppen, daneben auch ein aus Kursen und Kurzvorlesungen bestehendes offenes Universitätsprogramm. Abgerundet wird das Lern-Angebot mit einer Multimediabibliothek.
Für die Weltausstellung in Osaka im Jahr 1970 baute Deutschland – der Architekt war Fritz Bornemann – nach den künstlerischen Vorstellungen von Komponist Karlheinz Stockhausen und einem audiotechnischen Konzept des Elektronischen Studios der TU Berlin erstmals einen einzigartigen kugelförmigen Konzertsaal. Das Publikum saß auf einem schalldurchlässigen Gitterrost. Ringsherum hingen 50 Lautsprechergruppen. Stockhausen gab mit seinem Ensemble während der 180-tägigen Ausstellung Live-Konzerte; unter anderem wurden Werke von Bach und Beethoven und von Mehrspurband Werke von Bernd Alois Zimmermann und Boris Blacher eingespielt.
Heute gibt es eine globale Gruppe von Musikenthusiasten, die zum Ziel hat, Bausätze für einen kugelförmigen Konzertsaal für weniger als 1.000 US-Dollar zu entwickeln.
Halbkugelförmige „Klangkuppel“ nach berühmtem Vorbild
Eines der markantesten Merkmale des Museums ist die bereits erwähnte halbkugelförmige Klangkuppel. Bis zu 60 Hörerinnen und Hörer können hier ganz in ein 3D-Klangerlebnis eintauchen. Dieses wird möglich durch die Bauweise mit 360-Grad-Surround-System. Mehr als 30 Lautsprecher beschallen Raum und Menschen in verschiedene Richtungen. So entstehen „hologrammartige“ Klangwände.
Die permanente Klanginstallation wird per Projektor visuell unterstützt. Abends dient die Kuppel als Veranstaltungsort für DJ-Acts, Vorführungen und kleinere Konzerte, heißt es beim Auftraggeber Liget Budapest Projekt.
Architektonisches und musikalisches Wahrzeichen
Das Projekt sei von Nagata Acoustics durchgeführt worden. Das japanische Unternehmen hat schon für die akustische Gestaltung der Walt Disney Conert Hall und der Elbphilharmonie verantwortlich gezeichnet.
Das Gebäude hat von den American Music Citiy Awards, die Immobilienentwicklungen im Hinblick auf Musik, Handel und Development vergeben, den Titel „Best Use of Music in Property Development/Real Estate“ erhalten. Nicht nur die „einzigartige architektonische Vision, auch das inhaltliche Konzept der Institution“ habe überzeugt. Gezeigt werde auch die „Kunst, Musik zu machen“.
Nach BREEAM zertifiziert
Das Objekt ist mit speziellen Heiz- und Kühl- sowie Regenwassersammel-Systemen ausgestattet. Der Energiebedarf wird hauptsächlich durch geothermische Energie und andere erneuerbare Quellen gedeckt. Zum Einsatz gelangt auch eine Auswahl an einheimischen und wenig wasserintensiven Pflanzenarten. Daher wurde das Projekt mit dem BREEAM-Zertifikat ausgezeichnet.
Das Haus der Ungarischen Musik wurde zudem bei den International Property Awards mit dem Preis für das beste internationale öffentliche Gebäude und dem Preis für das beste europäische öffentliche Gebäude bedacht.
Text: Linda Benkö
Fotos: wikimedia (takato marui / was a bee), Liget Budapest / György Palkó