Ein düsteres Gefängnis in einen einladenden Ort zu verwandeln, ist nicht einfach. Dass es auch glücken kann, zeigt die einfühlsame Transformation des Hotel Wilmina in Berlin Charlottenburg durch das Architekturbüro Grüntuch Ernst.

Besucher betreten das Hotel Wilmina über die Wilhelminische Fassade des ehemaligen Schöffengerichts in Berlin Charlottenburg. Der Eingang an der westlichen Kantstraße erschließt über eine Reihe von Höfen den verschachtelten Gebäudekomplex. Die Architekten Adolf Brückner und Eduard Fürstenau schufen ihn im Jahr 1896 als Strafgericht mit angeschlossenem Gefängnis. Über den ehemaligen Schleusenhof, der heute das Restaurant Lovis beherbergt, gelangt man in einen verwunschenen Garten. Während hier bis vor wenigen Jahren noch jeder Zentimeter versiegelt war, grünt und blüht es heute aus jeder Ecke. Als wäre diese zwischen alten Backsteinmauern versteckte Oase immer schon da gewesen. 

Hotel Wilmina, Berlin, Charlottenburg, Transformation, Gefängnis, Re-Use
Die Innenhöfe, die zum Hotel Wilmina führen, wurden entsiegelt und begrünt.

Ein neues Raumgefühl

Im Hinterhaus des Ensembles, wo sich früher das Frauengefängnis befand, gehen heute die Hotelgäste ein und aus. Die Transformation vom Gefängnis zum Hotel haben schon einige versucht, aber in den wenigsten Fällen ist es wirklich gelungen, das atmosphärische Regiment der Isolation und Strenge gegen ein Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit zu tauschen. Denn, auch wenn die Geschichte des Ortes am Ende der Transformation noch ablesbar sein soll, so muss sich das Raumgefühl von Grund auf ändern.

Es war ein Ort der Dunkelheit, und wir haben ihn zu einem Ort des Lichts gemacht.

Armand Grüntuch, Architekt

Dass der Spagat im Fall des Luxushotels Wilmina tatsächlich gelungen ist, geht auf das persönliche Engagement eines Berliner Architektenpaares zurück. „Es war ein Ort der Dunkelheit, und wir haben ihn zu einem Ort des Lichts gemacht“, erklärt Architekt Armand Grüntuch. „Ein Problem, das wir hatten, waren die vielen Wände, die es im Gebäude gibt. Die ersten beiden Jahre verbrachten wir nur damit, Wände zu entfernen.“

Lobby, Hotel Wilmina, Berlin, Charlottenburg, Transformation, Gefängnis, Re-Use
Um Luftraum zu schaffen, wurde die Lobby ein halbes Geschoss tiefer gelegt.

Architektenpaar übernimmt Bauherrschaft

Seinen Anfang nahm das Projekt Ende der 2000er-Jahre, als das Gebäudeensemble zum Verkauf stand und ein privater Bauherr das Architekturbüro Grüntuch Ernst mit einer Machbarkeitsstudie beauftragte. Doch eine adaptive Umnutzung ist höchst komplex, Widersprüche müssen versöhnt und vielschichtige Probleme gelöst werden. Im Gegensatz zum linearen Neubau erfordert dies eine Menge Fantasie, die dem abtrünnigen Auftraggeber offenbar fehlte. Schließlich kauften Almut Grüntuch-Ernst und ihr Mann die Gebäude selbst und steckten zehn Jahre und sehr viel Hingabe in die Transformation. 

Wenn man heute das Hotel betritt, so tut sich ein hoher Empfangsraum auf, der auf Anhieb Ruhe vermittelt und vom geschäftigen Treiben Charlottenburgs eine lange Reise entfernt scheint. Es ist ein Ort, der jene Form von Einkehr verspricht, die man sich von einer Auszeit abseits des Alltags erwartet. Und auch wenn in den Zimmern die Gitterstäbe noch halb über die Fenster ragen, so muss der Gast an keiner Stelle das Gefühl haben – so wie einst die Häftlinge –, gesiebte Luft zu atmen.

Steigenaufgang, Hotel Wilmina, Berlin, Charlottenburg, Transformation, Gefängnis, Re-Use
Der Stiegenaufgang wurde großteils belassen, wie er ist. Nur die Leuchtensembles von Bocci sind ein wiederkehrendes Motiv im Hotel.

Chirurgische Eingriffe in die Substanz

Ein wichtiger Schritt in der Umgestaltung war es, Räume aufzumachen und Licht hineinzulassen, ohne die Vergangenheit, die im alten Gemäuer steckt, zu verraten. Um der Lobby eine gewisse Großzügigkeit zu verleihen, versetzten sie den Boden des Hochparterre um ein halbes Geschoss nach unten. So kommt der Gast ebenerdig ins Hotel und wird mit einem freizügigen Luftraum empfangen. Ein ehemaliges Fenster wurde bis zum Bodenniveau aufgemacht und bildet das neue Entree.

Um mehr Licht in die Zimmer zu bringen, schnitt man die ursprünglich hochgelegenen Zellenfenster auf und setzte das Fensterbrett – einem chirurgischen Eingriff gleich – weiter unten wieder ein. Die entfernten Backsteine ließen die Architekten nicht entsorgen, sondern an anderer Stelle wieder einsetzen. Der neue Anbau des Restaurants konnte also aus dem gesicherten Material des Abbruchs gebaut werden. 

Zimmer, Hotel Wilmina, Berlin, Charlottenburg, Transformation, Gefängnis, Re-Use
Die Zimmer sind sehr hell gehalten und haben trotz der vergitterten Fenster keine Zellenatmosphäre.

So entstand nicht nur ein harmonisches Gesamtbild, das Alt- und Neubau kaum voneinander trennen lässt, es konnte auch Primärenergie und in der Folge CO2-Emissionen eingespart werden. Das ist angewandte Kreislaufwirtschaft. Nicht umsonst wurde das Hotel Wilmina mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur ausgezeichnet.

Vom Schleusenhof zum Restaurant

Den einstigen Schleusenhof, der früher als Zugang zu den einzelnen Gefängnistrakten diente, haben Grüntuch Ernst überdacht und zum Restaurant Lovis gemacht. So konnte ein größerer gemeinschaftlicher Raum geschaffen werden, die im Gefängnis nicht vorgesehen waren. „Wenn man im Restaurant ist, spürt man, dass man von Außenmauern umgeben ist, die über Jahrhunderte Wind und Wetter ausgesetzt waren. Es hat eine sehr ambivalente Atmosphäre, die wir sehr schätzen“, sagt Architektin Almut Grüntuch-Ernst, die seit 2011 einen Lehrstuhl an der TU Braunschweig hat. 

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Für das Restaurant Lovis wurde der alte Schleusenhof überdacht.

Wenn man im Restaurant ist, spürt man, dass man von Außenmauern umgeben ist, die über Jahrhunderte Wind und Wetter ausgesetzt waren. 

Almut Grüntuch-Ernst, Architektin

Eine Familienangelegenheit

Diese ruhige und zugleich erwartungsvolle Atmosphäre, die jede Ecke zur potenziellen Filmkulisse macht, zieht sich durch die gesamte Anlage. Es ist schwer festzumachen, wo sie genau herrührt. Ob von den unverhohlenen Spuren der früheren Nutzung, die Grüntuch Ernst als „Narbengewebe“ bezeichnen. Wie etwa die Verankerungen im weiß verschlämmten Mauerwerk des Atriums, wo früher Netze hingen, um den Suizid der Insassen zu verhindern. Oder von der eigenen Architektursprache, die sie entwickelten, um den Bestand umzuformulieren und kapitelweise neu zu schreiben. Vermutlich ist es die nicht ganz greifbare Summe aller Dinge.

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Der ehemalige Zellentrakt wird durch ein Atrium mit Tageslicht versorgt.

Ein Projekt, in dem so viel Herzblut steckt, kann man vermutlich nur sehr schwer wieder loslassen. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die Architekten heute auch die Betreiber des Hotels sind. „Das ganze Projekt ist eine Familienangelegenheit“, sagt Armand Grüntuch. „Und ich nenne es nicht gerne ‚Hotel‘, denn es hat sich immer mehr wie ein Gästehaus angefühlt.“

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Patricia Parinejad, Robert Rieger, Markus Gröteke

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