Das Hotel der Wahrheit
Der Monte Verità nahe Ascona zieht schon seit dem Jahr 1900 viele illustre Köpfe in seinen Bann. Von 1927 an gilt dies auch für das Bauhaus-Hotel Monte Verità. Entworfen wurde das Albergo von Bauhaus-Superstar Mies van der Rohe.
Ida Hofmann, eine deutsche Pianistin, Musikpädagogin und Autorin, Henri Oedenkoven, Sohn eines belgischen Industriellen und der ehemalige habsburgische Soldat Karl Gräser sind die Initiatoren der Siedlung Monte Verità. Auf dem idyllischen „Hügel der Utopien“ über dem Lago Maggiore schaffen sie 1900 eine Pilgerstätte der aufkeimenden Lebensreformbewegung.
Die wahrhaft wilden Anfänge
Bunt gemischt wie das Gründer-Team sind auch die ersten Besucher des Monte Verità. Bildende Künstler, Musiker und Literaten finden hier in spartanischen „Licht-Luft-Hütten“ zusammen, um im Einklang mit der Natur zu leben und zu arbeiten. Zur Finanzierung des Projekts gründen Oedenkoven und seine Lebenspartnerin Hofmann die „Naturheilstätte Sonnen-Kuranstalt“ und das „Sanatorium Monte Verità“ für zahlende Gäste.
Mit dem Erfolg, dass auch den Freigeistern nach und nach solidere Behausungen und etwas mehr Komfort winken. Dennoch verliert das allzu vielgestaltige Projekt mit den Jahren an Markanz und Anziehungskraft. Um 1920 ist die Boheme in das Dorf Ascona und entferntere Täler abgewandert; die positive Aura des Ortes bleibt jedoch glücklicherweise bestehen.
Neue Blüte in perfekter Natur
Auf Empfehlung der russischen Malerin Marianne von Werefkin kauft der deutsch-schweizerische Bankier, Kunstsammler und Mäzen Eduard von der Heydt 1926 die gesamte Anlage. Mit der Ankunft des Barons auf dem Hügel zieht die moderne Architektur gleich mit ein. 1927 beauftragt von der Heydt keinen geringeren als Mies van der Rohe, ein Hotel im funktionalen Bauhaus Stil zu entwerfen.
Ausgeführt wird das ambitionierte Vorhaben von Emil Fahrenkamp, der sich mit dem Bau des Hotels Breidenbacher Hof in Düsseldorf bereits einen Namen gemacht hatte. Das ursprüngliche Albergo Monte Verità wird nach zwei Jahren Bauzeit 1929 mitten in einem über hundertjährigen Park fertig gestellt. Dank des mediterranen Klimas gedeihen hier nicht nur wegweisende Ideen und hochmoderne Bauten, sondern auch viele einheimische und exotische Pflanzen. Gesteigert wird dieses einzigartige Naturerlebnis lediglich durch den spektakulären Ausblick auf Ascona und den Lago.
Hotel, Kunsthalle und Hotspot
Dem Felsen vorgebaut und mit linearen Formen, breiten Fenstern und Flachdächern versehen, hebt sich das innovative Gebäude nach außen hin deutlich ab. Im Innern wartet das Albergo mit schlichten Zimmerfluchten, lichtdurchfluteten Gesellschaftsräumen und mit ausgeklügelten Übergängen auf. Sogar das Mobiliar folgt der klaren Bauhaus Linie. „Wassily Chairs“ und „Freischwinger“ der Bauhaus-Lehrer Marcel Breuer und Mart Stam zieren die Hotelzimmer ebenso wie die legendären „Wagenfeldleuchten“.
Und von der Heydt setzt noch einen Akzent mehr. Er gönnt den Hotelgästen einige Werke seiner Kunstsammlung. Und die umfasst – nach heutiger Kenntnis – etwa 500 Prachtstücke des 16. bis 20. Jahrhunderts, unter anderem auch aus China und Japan. So gewinnt das Albergo sehr rasch an Bekanntheit und es wird zum neuen Wahrzeichen des Monte Verità. Schon bald finden sich hier die namhaftesten Größen aus Politik, Kunst und Gesellschaft ein; die stattliche Gästeliste liest sich – nicht nur rückblickend – wie das Who-is-Who der Moderne.
Sogar das Bauhaus kommt zu Besuch
Dem Bau des Albergo ist es auch zu verdanken, dass viele Meister des Bauhauses wie Walter Gropius, Josef Albers, Herbert Bayer, Marcel Breuer, Lionel Feiniger, Oskar Schlemmer, Xanti Schawinsky und Lásló Moholy-Nagy das noch recht verschlafene Ascona besuchen und den Monte Verità kennen lernen. Sie alle erleben, was die Lektorin Ilse Gropius, Ehefrau von Walter Gropius, rückblickend ebenso schwärmerisch wie präzise auf einen Nenner bringt: „Hier ist der Ort, an dem unsere Stirn den Himmel berührt.“
Erlebte und gefühlte Zeitlosigkeit
Wer das heutige Bauhaus-Hotel Monte Verità besucht, tritt eine wahre Zeitreise an. Der Esprit des Monte Verità und die Aufbruchsstimmung des Bauhauses sind hier nach wie vor lebendig. Wie einst fängt die Gebäudegeometrie alle Parkanlagen, den See und die umliegenden Berge wie ein Bilderrahmen ein.
Das Innere des 1970 sanierten, 1991 erweiterten und von 2008 bis 2013 stilgerecht renovierten Hotels präsentiert sich annähernd im Originalzustand – und lädt dank seiner zeitlosen Eleganz zum entspannten Verweilen ein. Ein ebenso erstaunliches wie bezeichnendes Detail: An den Gästezimmern fallen kaum zusätzliche Arbeiten an, da sie bereits 1929 mit großzügigen Bädern ausgestattet wurden. Der einladende Hotelkomplex beweist also einmal mehr, wie zukunftsorientiert, nachhaltig und aktuell die gefeierte „Bauhaus Denke“ ist. Unmittelbar nach der fünfjährigen Restaurierung wird das Monte Verità mit der prestigeträchtigen ICOMOS-Auszeichnung „Historisches Hotel des Jahres 2013“ geehrt.
Text: Tobias Sckaer